Mülheim. .
Kurz vor seinem Urlaub erreichte Rainer Komers noch die freudige Nachricht: Sein Kurzfilm „25572 Büttel“ ist zur „Viennale 2012“ im Oktober nach Wien eingeladen. „Es freut mich besonders“, sagt Komers, im 50. Jubiläumsjahr dieses internationalen Film-Festivals dabei zu sein. Daneben wurde Komers’ neuestes Fünfminuten-Werk für das Zebra Poetry Filmfestival in Berlin ausgewählt und bei einem Literaturwettbewerb für ein Gedicht, das verfilmt werden sollte.
In Büttel mit der vorangestellten Postleitzahl geht es um ein Dorf zwischen Brokdorf und Brunsbüttel, „das fast gänzlich abgerissen wurde“, sagt Komers. Von ehemals 770 seien nur noch 35 Einwohner übrig geblieben. Wenn man „Büttel“ googelt, erscheint die Adresse vom „Dorfkrug“ mehrfach und lange danach nichts. „Da stehen heute fast nur noch Hütten und Wohncontainer“, sagt der Filmemacher. Eingekesselt ist Büttel von den Kernkraftwerken Vattenfall, „das seit Jahren still liegt, während Brokdorf weitermacht“, so Komers. Außerdem sei die Gegend voll mit Stromaggregaten und Windrädern. Das alles will für ihn nicht recht zusammenpassen. So hat er sich mit kritischen Bildern der eingeläuteten „Energiewende“ genähert.
Seine Kurzfilme handeln oft von Orten und Städten, die von der Zerstörung betroffen sind. Sie sind oft still und ohne Text. Lange Landschaftsaufnahmen von einem Niemandsland mit verfallenen Häusern und Gebäuden, verrosteten Werken und Hallen und chemieverseuchten Flüssen: untermalt von Geräuschen wie Wind und Wasser sind es Bilder, die für sich sprechen und manchmal kommen darin auch Menschen zu Wort. Wie Milltown, ein Ort im Westen Montanas, einst die größte Bergbaustadt der USA.
Ruhrgebietstypen mit Klappe, Ecken und Kanten
Es sind atmosphärische Kunstwerke, die Rainer Komers als ästhetische Dokumente einer längst vergangenen Zeit hinterlässt. Immer wieder schön und zum Schmunzeln ist „Ein Schloss für alle“ (2000), in dem er die Menschen reden lässt, die er im Schloß Styrum angetroffen hat – echte Ruhrgebietstypen mit Klappe, Ecken und Kanten.
Filme aus dem Ruhrgebiet
Seine Arbeit hat ihn schon durch Europa, nach Alaska, Ekuador, Indien, Japan, Jemen und sonst wohin geführt. Mit seinen Filmen ist der Mülheimer zu Festivals auf der ganzen Welt eingeladen. Immer wieder ist Komers gern gesehener Gast auf Ruhrgebiets-Festivals wie den Oberhausener Kurzfilmtagen. Ausgestrahlt werden seine Werke von 3sat, Arte und dem ZDF – natürlich nicht in der Primetime. „Kobe“ über die vom Erdbeben zerstörte Stadt, und „Mar’ib“ am Rande der Wüste im Jemen laufen im Oktober in zwei Kreuzberger Kinos.
Mit dem Deutschen Kurzfilmpreis, einer goldenen Lola, wurde sein Film „Nome road system“ als bester Dokumentarfilm 2004 ausgezeichnet. Einige Auszeichnungen hat der 68-Jährige mit seinem Schaffen bereits eingeheimst, darunter den Hessischen Filmpreis, aber auch den Ruhrpreis seiner Heimatstadt in 2006. Um es gleich zu sagen: Rainer Komers ist zwar in der Kurzfilmszene berühmt, aber nicht reich. Preisgelder? „Na ja, die stecke ich dann wieder in neue Projekte.“ Wie seine Filme sind, so ist auch er keiner, der seine Persönlichkeit nach außen kehrt, sondern eher ein leiser und nachdenklicher Mensch.
Gedichte und Artikel
So wundert es nicht, dass er auch Gedichte schreibt. Mit einem davon ist er zum dritten Mal in der Anthologie „Versnetze“ vertreten, die im Juli erschienen ist. Und er schreibt Artikel und Reiseberichte in überregionalen Zeitungen. Im Kulturteil der „taz“ ist kürzlich ein einseitiger Bericht von ihm über den afroamerikanischen Lyriker Spoon Jackson erschienen, der wegen Mordes lebenslänglich im Gefängnis sitzt. Seit 2009 korrespondiere er mit Jackson. Der Kontakt sei durch die Oberhausener Kurzfilmtage entstanden, wo er in der Jury gesessen habe und Jackson einen Preis bekommen habe.
Im August beginnen die Dreharbeiten für „Ruhrurbia“, einen Dokumentarfilm, der im Ruhrgebiet spielt, „das sich verändert hat“. Ein Film in der Reihe „Vier Elemente“ passend zu „Feuer und Licht“. „Das traditionelle Revier, das die Bundesrepublik nach dem verlorenen Krieg wirtschaftlich nach vorne gebracht hat, sucht nach neuen Perspektiven.“ Komers braucht jetzt auch erstmal einen Perspektivwechsel und bricht zur Flusswanderung mit Zelt auf, „da, wo Angler und Kanuten unter sich sind“, sagt er. Ob die Kamera wohl im Gepäck ist?