Mülheim. .

Während Gewerkschaft und Betriebsrat der letzten in Mülheim verbliebenen Lederfabrik Seton für den produktionsfreien Brücken-Freitag aus ihrer Sorge um gut 300 Arbeitsplätze zum Demonstrationszug aufrufen, äußerte sich gestern erstmals öffentlich Seton-Geschäftsführer Thomas Bee. Er kündigte gegenüber der WAZ an, im engen Zeitfenster von vier bis sechs Wochen Klarheit zur Standort-Frage schaffen zu müssen.

Wie berichtet, steht Seton vor der Aufgabe, die Zukunft seiner Nachgerbung für die Produktion hochwertiger Leder für die Automobilbranche zu klären. Am Standort Kassenberg läuft Ende Mai 2014 der Mietvertrag aus. Die Investorengruppe SMW (Sparkasse, Mülheimer Wohnungsbau, Hoffmeister-Gruppe) hat das Areal dort vom ehemaligen Lederfabrikanten Kurtludwig Lindgens erworben. Zumindest bislang war geplant, am Ort neues Baurecht zu schaffen, das industrielle Nutzung ausschließt und Raum gibt für attraktives Wohnen und Gewerbe.

Suche nach Mülheimer Lösung

Seton, 2011 von der amerikanischen GST Autoleather übernommen, ist unter Zeitdruck, die Zukunft der Nachgerbung in trockene Tücher zu bringen. Die Suche nach alternativen Standorten für eine Produktion mit rund 50 Beschäftigten ist ergebnisoffen. Das Unternehmen hat zum Verdruss der Beschäftigten Standorte in Bayern und Sachsen im Auge, laut Bee wird intensiv aber auch über eine Mülheimer Lösung verhandelt.

Eine von der Stadt angebotene Ansiedlung in einer ehemals für die Süßwarenfabrik Wissoll gebaute Lagerhalle auf dem nördlichen Mannesmann-Areal in Styrum lehnt Bee ab. Erstens sei die Halle noch bis September vermietet, zweitens eine industrielle Produktion in unmittelbarer Nähe zum Hochschulbetrieb unzulässig, drittens seien die Umbaukosten zu hoch und viertens sei die Zeit für den Umbau zu knapp. Abgesehen von der Kostenfrage, die letztlich die von einem asiatischen Hedgefonds gesteuerte amerikanische Seton-Eigentümerin für sich zu beantworten hat: Insider glauben, der Standort sei sehr wohl geeignet. Für die wenigen Monate zwischen Mai 2014 und dem Umzug der Hochschule an ihren neuen Standort an der Duisburger Straße ließen sich sicher Lösungen finden.

Nicht tragfähig

Doch ist die SMW derzeit einzige Verhandlungspartnerin am Ort. Zwei Möglichkeiten gilt es durchzudeklinieren: Einerseits könnte die SMW Seton den Mietvertrag verlängern, um der Lederfabrik Luft zu verschaffen. Andererseits wurde Seton eine Erweiterungsoption am Kassenberg aufgezeigt, so könnte der Betrieb dort auch seine Verwaltung und Weiterverarbeitung vom Hafen unterbringen.

Die Mietvorstellungen der SMW für einen Hallenneubau liegen laut Bee aber auf Wohnungsmarktniveau, das sei wirtschaftlich nicht tragfähig. Zumal bei einer Zentrierung am Kassenberg Umzugskosten von mehr als 2,5 Mio. Euro zu schultern wären.

Bei der SMW, die sich zu den vertraulichen Gesprächen nicht äußern mag, gibt es laut WAZ-Information indes auch wirtschaftliche Zwänge, die einem Entgegenkommen Grenzen setzen. So soll das Konsortium die Kaufsumme von gut 6,5 Mio. Euro für das Lindgens-Areal komplett fremd finanziert haben. Zu hören ist, dass die aktuelle Seton-Miete gerade mal reicht für den Zinsdienst. Um da mal eben noch eine Halle für Seton zu bauen, war wohl a) der Kauf des Grundstücks mit der Absicht der Wohnbauvermarktung zu kostspielig und müsste b) Seton wohl per langfristiger Mietgarantie eine Amortisation des Hallenbaus für die SMW absichern. Knackpunkte, die die Verhandlungsseiten offensichtlich noch weit voneinander entfernt sein lassen.

Kritik an Gewerkschaft

Dabei hat die WAZ die gesicherte Information, dass Seton selbst sich Druck gemacht hat. Und zwar mit einem Verzicht im Jahr 2008 auf ein per Grundbuch-Eintrag abgesichertes Vorkaufsrecht für das Lindgens-Areal. Kurtludwig Lindgens benötigte die Erklärung seinerzeit, um sein Grundstück für eine mögliche Hochschulansiedlung ins Spiel zu bringen. Seton ließ sich darauf ein – und steht jetzt vor der Frage, wie es weitergehen soll. Weder Seton noch die jetzige Eigentümerin GST, so Bee, hätten Interesse an einem Kauf gehabt.

Er kritisiert die Äußerungen von Gewerkschaft und Betriebsrat, die eine komplette Aufgabe des Standortes und den Verlust von über 300 Arbeitsplätzen befürchten. „Ich habe in der Betriebsversammlung am letzten Freitag deutlich gesagt, dass wir nicht über eine Aufgabe des Standortes an der Lahnstraße sprechen, wo wir den Mietvertrag bis 2024 einhalten wollen, sondern nur über den Kassenberg.“