Mülheim. . Warum sich die IGBCE um Seton sorgt und warum das Teil der Lösung sein könnte
Einmal mehr bemühten die Gewerkschafter die symbolisch aufgeladene Uhr. Fünf vor 12 ist es demnach wieder einmal, glaubt die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie und ruft für den 8. Juni zu einer Demonstration auf. Der Grund ist die Sorge um Arbeitsplätze, viele Arbeitsplätze, nämlich die knapp 350 bei der Traditionsfirma Seton mit Standorten im Hafen und am Kassenberg. Dabei ist es diesmal nicht so, dass Betriebsrat und Gewerkschaft schon von schlechten Nachrichten wüssten. Ihr Problem und das der Mitarbeiter ist: Sie wissen nichts, zumindest viel zu wenig, um beruhigt zu sein.
Die Sorgen um Seton sind dabei Sorgen mit Ansage. Seit Generationen stellt das Unternehmen Leder her, ist profitabel und hat heute einen weltweiten Ruf in der Anfertigung feiner Lederwaren für feine Automarken. Von zentraler Bedeutung für die sehr wasserintensive Produktion ist dabei der Standort am Kassenberg. Dort hat das Unternehmen traditionell verbriefte Wasserrechte zu Konditionen, die, vornehm ausgedrückt, ebenso traditionell sind wie das Unternehmen selbst. Daran hat sich auch nichts geändert. Geändert haben sich die Grundstücksverhältnisse.
Farbikgelände wird zur Wohngegend
Seton war am Kassenberg Untermieter des Lederunternehmers Lindgens, der 2011 das Areal plötzlich verkaufte, nachdem das Grundstück am Fluss als Standort der Fachhochschule ausgeschieden war. Die Käufer: das Konsortium aus Mülheimer Wohnungsbau, dem Immobilienunternehmer Jochen Hoffmeister und der Sparkasse, die zuletzt - und für manchen zu kurzzeitig - Eigentümer der neuen Feuerwache an der Duisburger Straße waren. Wohnen am Wasser, diese Idee stand hinter dem Kauf. Eine Idee, die ab 2014, zum Zeitpunkt eines möglichen Baubeginns, eine Fabrik ausschließt - was Seton, nach allem was bekannt ist, gewusst und akzeptiert hat.
Ein Problem wurde darin im vorigen Jahr nicht erkannt, heißt es aus damaligen Verhandlungskreisen, eines, das sich der magischen Uhrzeit 12 Uhr nähert, schon gar nicht. 2014 war lang hin und bis dahin, davon war auch die Wirtschaftsförderung überzeugt, würde sich schon ein alternatives Grundstück finden, das Unternehmen und Arbeitsplätze in Mülheim hält und sei es, dass die Firma ihre Aktivitäten am Hafen konzentriert. Seton galt seinerzeit auch im Rathaus keineswegs als ernstes Dilemma. Wie auch? Weder MWB, noch Hoffmeister und erst recht nicht die Sparkasse können es sich leisten, Rendite auf dem Rücken von 350 Jobs zu machen.
Kassenberg wurde mit der Zeit überflüssig
Inzwischen aber hat sich manches geändert - beim Unternehmen selbst. Seton wird heute aus den USA gemanagt, zum Eigentümerkreis gehört ein japanischer Bankenfonds. Viel spricht dafür, dass dem Management sozusagen erst unterwegs aufgefallen ist, welchen hohen finanziellen Wert die Wasserrechte am Kassenberg haben. Zu Details schweigt das Unternehmen, nicht nur gegenüber der Presse, sondern auch, siehe oben, gegenüber der Belegschaft.
Der Mangel am Kommunikation wird durch die Intensität der Verhandlungen konterkariert. Mittlerweile bewältigen die US-Manager die Strecke vom Flughafen Düsseldorf in die Mülheimer Innenstadt ohne Navi, so oft waren sie bereits hier. Einer Lösung nähert man sich, im angloamerikanischen Management nicht unüblich, im Schneckentempo und selbstverständlich werden in den Gesprächen im Ringen um Profitpromille leidenschaftslos alle Szenarien in die Waagschale geworfen, auch das Szenario einer Verlagerung ins Ausland oder der Zukauf einer Fertigungsstufe, die den Kassenberg buchstäblich überflüssig machte. „Die machen Druck, aus ihrer Sicht durchaus verständlich“, heißt es aus Verhandlungskreisen.
Währung wird entscheiden
Dennoch kann von Alarmstimmung bei den Unterhändlern keine Rede sein, was auch der Gewerkschaft durchaus bekannt ist, andernfalls hätte sie wohl kaum eine Fünfvorzwölf-Demo mit 14 Tagen Vorlauf angekündigt. Ob bis zum 8. Mai bereits alle Fragen geklärt sind, ist natürlich ungewiss. Eine mögliche Lösung ist gleichsam als doppelter Boden schon vorbesprochen worden. Denkbar wäre, dass MWB, Hoffmeister und Sparkasse ihre Idee vom Wohnen am Wasser auf einen späteren Zeitpunkt verschieben und Seton einfach da bleibt, wo es heute ist.
Ob es dazu kommt, ist allerdings eine Frage von Euro und Dollar und nicht von Stunden und Minuten.