Mülheim. .
Der Nachhilfe-Markt ist riesig. Rund 1,1 Millionen Schüler in Deutschland nutzen diese Lernunterstützung. Zwischen 942 Millionen und 1,4 Milliarden Euro werden jährlich umgesetzt, schätzte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung 2010.
So wirbt ein großes Nachhilfe-Unternehmen, mit Dependance in der Mülheimer Innenstadt, im Internet mit 8,70 Euro für 45 Minuten Unterricht. Erst im Kleingedruckten erfährt man, dass es sich um einen Jahresvertrag handelt, die Monatsgebühr 139 Euro beträgt und je nach Standort 49 Euro einmalige Anmeldegebühr hinzukommen.
Kinder mit schulischen Problemen, deren Eltern sich solche Nachhilfe nicht leisten können, droht die Gefahr, dass sie aus der Bildungs- und Leistungsgesellschaft herausfallen. Was machen Mütter und Väter, die zu wenig verdienen für den teuren Privatunterricht – aber zu viel für einen Bildungsgutschein? Die ihre Kinder zu Hause nicht fördern können – sei es aufgrund von sprachlichen Barrieren, mangelnder Eigenbildung oder schlicht fehlender Zeit?
Jedes Kind soll einen Abschluss machen
Eine Lösung bietet die Diakonie: Vor sechs Jahren begann sie mit der kostenlosen Lernförderung in der Familienstation auf dem Kirchenhügel. Weil der Bedarf immer größer wird, hat sie nun ihr Angebot ausgeweitet, fördert auch Kinder an Schulstandorten. Superintendent Helmut Hitzbleck begründet: „Die evangelische Kirche befasst sich schon lange mit der Frage der Zukunft der Kinder.“ Bildungs- und Chancengleichheit würden zusammenhängen. „Jedes Kind in Mülheim soll einen Schulabschluss haben. Das ist die Parole, um die es sich zu kämpfen lohnt.“
Wie dringend die Hilfe benötigt wird, verrät ein Blick auf die Zahlen: Innerhalb von einem Jahr habe sich die Anzahl der Kinder, die zur Hausaufgabenhilfe und Lernförderung in die Familienstation kommen, verdoppelt, erklärt Birgit Hirsch-Palepu, Leiterin der Abteilung Soziale Dienste des Diakonischen Werkes. Aktuell sind es 98 Jungen und Mädchen, von der Grundschule bis zur Oberstufe.
Hinzu kommen die Schüler, die im neusten Diakonie-Angebot betreut werden. Dabei wird Hausaufgaben- und Lernhilfe in der Schule organisiert. An der Grundschule Heinrichstraße sind es zwischen zehn und 15 Kinder, an der Willy-Brandt-Gesamtschule ebenso viele und an der Wilhelm-Busch-Förderschule 40 Schüler. Geplant ist der Ausbau der schulnahen Förderung.
Kommerzielle Nachhilfe ist für viele Eltern zu teuer
Viele Eltern hätten einfach nicht das Geld für eine kommerzielle Nachhilfe, sagt Hirsch-Palepu. In die Familienstation kommen „Kinder, die in ihrem heimischen Umfeld nicht so gefördert werden können“, erklärt der Superintendent: „Nicht jeder ist in der Lage, teure Nachhilfe zu finanzieren.“ 80 Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund. Zehn Prozent der Jungen und Mädchen, die die Familienstation besuchen, haben einen Bildungsgutschein.
Die schulnahe Förderung wird komplett aus dem Bildungs- und Teilhabepaket finanziert. Die Bildungsgutscheine, warnt Hitzbleck, sind „eine punktuelle Hilfe, die das Problem nicht lösen. Solange man gesamtpolitisch auf Schadensbehebung statt auf Prävention setzt, solange wird es das Problem geben.“ Der finanzielle Bedarf für die Förderung liegt bei 70.000 bis 80.000 Euro jährlich, finanziert aus Diakonie-Haushalt und Spenden.