Mülheim. .
Wer früh kommt, erwischt noch frischen Käse. Oder eine Tüte Milch. Ansonsten gibt es Brot, Bananen, Tomaten oder Salatköpfe. Aus diesen wenigen Zutaten müssen sich die meisten Menschen, die in der Georgstraße Schlange stehen, ein Weihnachtsessen kochen. Und die Schlange wird immer länger. Denn die Zahl der Bedürftigen, die sich bei der Mülheimer Tafel mit Lebensmitteln versorgt, hat mit 1000 Besuchern täglich einen traurigen Rekord erreicht.
In der Halle des Diakoniewerks friert trotz Kälte keiner. Im Gegenteil: Kathleen Krebs, Jona Leimkugel und ihre Mitschüler kommen ins Schwitzen. Zwölf Schüler der Otto-Pankok-Schule helfen am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien bei der Mülheimer Tafel aus – einen ganzen Tag lang. Eigentlich würden sie sich heute um ihre eigene Mahlzeit kümmern. „Sonst frühstücken wir am letzten Schultag miteinander“, erklärt Kathleen (18). „Doch danach schmeißen wir immer viele Lebensmittel weg, so dass wir an die denken mussten, die nicht so viel haben.“
Anpacken ist sinnvoller
So kamen die Schüler auf die Idee, mit anzupacken. „Das ist viel sinnvoller“, finden die Dreizehner der beiden Sowi-Grundkurse. Und es ist das erste Mal, dass so viele Jugendliche aushelfen.
8 Uhr: Der Tag beginnt mit Einräumen und Aussortieren. Denn: „Wir fahren 50 Lebensmittelgeschäfte und Bäckereien in der Stadt ab“, erklärt Michael Farrenberg, Leiter der Mülheimer Tafel, die vom Diakoniewerk Arbeit & Kultur betrieben wird. „Die Händler geben uns das, was sie nicht mehr verkaufen können.“ Obst mit Macken, Brot vom Vortag oder Lebensmittel kurz vorm Ablaufen des Mindesthaltbarkeitsdatums. Jeden Tag ist das Sortiment anders bestückt, je nachdem, was die Händler abzugeben haben.
Die längste Tischdecke
Bis 11 Uhr räumen Kathleen und ihre Mitschüler Transporter aus, Regale ein und sortieren die Lebensmittel. Welke Salatblätter kommen in die Tonne, genau wie angeschimmelte Orangen oder hartes Baguette. „Alles, was sie selbst nicht mehr essen würden, kann weg“, erklärt Daniela Christians von der Diakonie. Sie ist eine von 15 Mitarbeitern der Tafel und gibt den Schülern Anweisungen. Schließlich muss es zügig gehen, wenn hunderte Leute zur Essensausgabe kommen. „Zum Monatsende sind es besonders viele“, weiß Farrenberg. Jede Hilfe ist da willkommen. Verteilt wird an Menschen, die sich selbst als bedürftig einstufen – „also ohne Nachweis über Bedürftigkeit.“
11.15 Uhr: Die Schlange reicht nun über den gesamten Innenhof. Vor den Schülern drängen sich Menschen mit Tüten am Tresen, sie rufen und bitten: „Mehr Brot bitte, ich habe sechs Kinder!“ Die Jugendlichen packen Radieschen und Salate in die Taschen, tüten Tomaten ein und müssen auch schon mal „Nein“ sagen, wenn jemand nach mehr verlangt, als ausgegeben werden darf. „Das ist sehr schwer“, findet Kathleen. Besonders beliebt sind Frischwaren wie Käse oder Milch, sie sind schnell vergriffen. Dafür stehen die Tafelbesucher bereits Stunden vor Öffnung auf der Straße an.
Anstrengend, aber schön
Es ist laut, hektisch, da jeder nach vorne drängt. Doch Kathleen, Jona und die Anderen bleiben ruhig, packen Lebensmittel in die Beutel und wünschen jedem frohe Weihnachten. Nach einer halben Stunde ist der Andrang vorbei und die Menschen schleppen volle Tüten vom Hof.
„Es war sehr anstrengend“, resümiert Jona. „Aber es ist schön, wenn man sieht, dass die Leute glücklich gehen.“ Der Tag bei der Tafel habe ihre Blickwinkel geweitet: „Jetzt weiß man zu schätzen, was man hat.“ Das Weihnachtsfest mit der Familie zu feiern mit so vielem, gutem Essen, sei nicht selbstverständlich. Sondern Privileg.
Die Mülheimer Tafel gibt es seit September 2000. Sie ist ein Projekt in Trägerschaft des Diakoniewerks Arbeit & Kultur in Kooperation mit dem Sozialamt der Stadt. Finanziert wird die Tafel aus Geld- und Sachspenden von Supermärkten oder Bäckereien sowie von Privatpersonen oder Kirchengemeinden. Die Ausgabezeiten: montags bis freitags, 11 und 13 Uhr.