Mülheim. . Die Ratsfraktion Wir-Linke klagt über wiederholte Anschläge auf ihre Fraktionsgeschäftsstelle, die im Eintreten einer Scheibe nun ihren Höhepunkt fanden. Schuld sollen die Rechten sein - die Polizei ermittelt allerdings “in alle Richtungen“.

Die Polizei ermittelt ausdrücklich „in alle Richtungen“, die Ratsfraktion Wir-Linke hält die Indizienlage für eindeutig: Sie klagt öffentlich über einen „faschistisch motivierten Anschlag“ auf ihre Fraktionsgeschäftsstelle am Rathausmarkt. Wie steht es um die rechte Szene in Mülheim? Aus aktuellem Anlass der Versuch einer Annäherung.

Die Fraktion Wir-Linke sieht sich seit Längerem schon „im Visier der Rechten“, wie Vorstandssprecherin Sabine Schweizerhof sagt. Immer wieder habe es Provokationen gegeben, sei nachts gegen die Schaufensterscheiben der Geschäftsstelle am Rathausmarkt gespuckt, gegen die Eingangstür, Anfang Dezember gar durch den Türschlitz hindurch uriniert worden.

Am vergangenen Wochenende nun traten Unbekannte die Scheibe der Eingangstür gar ein. Dass es sich um Täter aus der rechten Szene handelt, ist für Sabine Schweizerhof eindeutig. Sie macht es daran fest, dass zum wiederholten Male auch ein Aufkleber mit der Aufschrift „Gemeinsam gegen Rassismus und Faschismus – für Solidarität und Völkerverständigung“ beschädigt wurde. Die Fraktion hat Strafanzeige erstattet.

"Wir können nur tätig werden, wenn wir etwas wissen"

Vor rund sieben Monaten, so die Polizei, hätte sie es auch tun sollen, denn „wir können nur tätig werden, wenn wir etwas wissen“, so ein Polizeisprecher. Damals, erinnert sich Fraktionsgeschäftsführer Cevat Bicici, waren plötzlich zwei Männer, Mitte 30, in die monatliche Stammtischrunde geplatzt, hätten Anwesende übel wegen ihrer linken Gesinnung angeraunzt. Nach kleinem Handgemenge habe man die ungebetenen Gäste zwar aus dem Haus bekommen, doch seien die Männer auch die folgenden Tage um das Büro herumgeschlichen, offensichtlich, um einzuschüchtern.

Auch das Styrumer Büro der Fraktion an der Oberhausener, Ecke Dümptener Straße ist nach der Eröffnung im Mai nicht verschont geblieben. Ratsherr Achim Fänger berichtet über Spuckattacken, über Aufkleber der rechten Szene, die man in unschöner Regelmäßigkeit habe vom Schaufenster abknibbeln müssen. „Man muss deswegen nicht in Panik geraten, aber doch sollten die Bürger wachsam bleiben“, sagt Fänger.

Seine Fraktion prangert seit Monaten öffentlich an, dass Rechte in Oberhausen eine Hetzjagd auf den linken Betriebsrat eines Großunternehmens machen. Erst am Sonntag erreichte ihn wieder ein Drohbrief: „Unser Führer hat die Bolschewisten vergast, wir werden dich in Oberhausen am nächsten Baum aufhängen.“

Was in der Nachbarstadt passiere, habe auch Mülheimer zu interessieren, ist der Standpunkt von „Wir-Linke“. Der Staatsschutz sieht allerdings, was die rechte Szene angeht, unaufgeregt nach Mülheim. Laut Pressestelle der Polizei habe es in der Stadt in den vergangenen Jahren keine auffällige Häufung rechter Straftaten, meist Propagandadelikte, gegeben. Von einer „Szene“ könne nicht die Rede sein. Ein paar Mülheimer seien doch auffällig. „Die haben wir natürlich im Auge.“

Vernetzung mit NPD-Gruppierungen

Mit dabei dürfte Marc Rostkowski sein. Der Mann, der nach WAZ-Informationen auf der Heimaterde lebt und sich in verschiedenen Gewerben, unter anderem einem Kneipenbetrieb an der Bülowstraße in Broich, versucht hat, steht dem NPD-Ortsverband in Mülheim vor. Der hat sich im Februar gegründet.

Öffentlich in Erscheinung getreten ist die NPD bislang nur einmal: Am 30. April provozierte der Aufmarsch eines überschaubaren Haufens von rund einem Dutzend Rechtsgesinnter auf dem Kurt-Schumacher-Platz vor dem Forum eine eilig organisierte, deutlich größere Gegendemo.

Rostkowski, so ist im Internet nachzulesen, ist eng vernetzt mit NPD-Gruppierungen im nahen Umfeld. Er hält Kontakte zu Marcel Haliti, für die NPD im Essener Stadtrat. Auf einer Saalveranstaltung der Mülheimer NPD soll auch Dennis Bruglemans, Vorsitzender der Jungen Nationaldemokraten in Gelsenkirchen, gesprochen haben. Im November 2010 trat Rostkowski als Redner bei einer NPD-Veranstaltung auf dem Katernberger Markt in Erscheinung. Die Kundgebung war Teil der Kampagne „Nein zur Überfremdung unserer Schulen“.

In Mülheim sind sich gegen Rechts gewandte Organisationen sicher, dass sich schnell ein breites Bündnis von Demokraten zusammenfinden würde, wenn es nötig sein sollte. So wie im Frühjahr 2010, als sich hunderte Bürger gegen den Anti-Minarett-Aufmarsch von „Pro NRW“ an der Sandstraße stellten.

Die schlafenden Hunde sind bereist wach

Drohgebärden von Rechts sind in Mülheim nichts Neues. Im Jahr 2008 wurden nacheinander SPD-Ratsherr Dieter Spliethoff und die Landesschatzmeisterin der Linken, Nina Eumann, von Rechten bedrängt und mittelbar bedroht. Tote Fische fanden sich auf ihren Autos, Hakenkreuze wurden in den Lack geritzt, Sekundenkleber wurde ins Türschloss gespritzt, vor Spliethoffs Tür wurde Erbrochenes platziert. Als die NPD im Februar ihren Mülheimer Ortsverband gründete, postete ein Sympathisant auf Facebook: „. . . der arme Dieter Spliethoff fängt sicherlich jetzt schon an zu zittern.“

„Weck keine schlafenden Hunde!“ – Inamaria Wronka von der Mülheimer Initiative für Toleranz mag diesen viel beschworenen Satz angesichts der aktuellen Rechtsextremismus-Debatte nicht mehr hören. „Wir sind lange schon an einem Punkt“, sagt sie, „wo die Hunde sehr wach, sehr laut sind.“ Ein Gespräch mit engagierten Antifaschisten.

Der rechte Terror, die jüngst aufgedeckte Mordserie, machen auch in Mülheim fassungslos. „Ich habe keine Lust, immer weiter an einem immer gefährlicher werdenden Hund vorbeizuschleichen, bis er mich irgendwann beißt“, sagt Hartmut Kremer, friedensbewegter Leiter des Agenda-Büros. Vor kurzem erst wieder hat Kremer sich eine Stehleiter über die Schulter gehängt, ist zur Friedenstreppe in der Altstadt marschiert und hat an den Masten dort Aufkleber der Jungen Nationalen entfernt. Kremer macht das in ungewollter Regelmäßigkeit. „Alle paar Wochen“ klebten dort neue Parolen. Kremer will das nicht ertragen.

Das Treiben der äußersten Rechten in Mülheim

Ein Gastronomiebetrieb in der Nähe soll Treffpunkt von Mülheims rechter Szene sein, so die Beobachtung der neuen Vorstandssprecherin der Mülheimer Grünen, Franziska Krumwiede. Deshalb wohl immer wieder die Aufkleber im Umfeld. Für Krumwiede ein Treppenwitz: Der Türsteher des besagten Tanzlokals sei: türkischer Mitbürger . . .

Viel ist nicht bekannt über das Treiben der äußersten Rechten in Mülheim. Im Februar gründete sich ein Ortsverband, Ende April gab es eine von lautstarkem Protest begleitete Kundgebung der NPD am Kurt-Schumacher-Platz. Um rund ein Dutzend Gleichgesinnter zusammenzubekommen, hatte die NPD gar auswärtige Mitstreiter rekrutiert. In den letzten Monaten haben Unbekannte des Öfteren die Fraktionsbüros von „Wir Linke“ in Styrum und am Rathausmarkt heimgesucht, Aufkleber angebracht, Scheiben bespuckt, durch den Türschlitz uriniert, zuletzt gar eine Tür eingetreten. Die Linke vermutet rechte Täter dahinter, denn auch Aufkleber „gegen Rechts“ nahmen Schaden.

Viel mehr ist nicht wahrzunehmen von einer rechten Szene in Mülheim, die der Staatsschutz wegen ihrer überschaubaren Größe nicht mal „Szene“ nennen mag. Ist es da angebracht, die Aufmerksamkeit auf jüngste Entwicklungen am rechten Rand zu richten? Sollte man nicht lieber durch Verschweigen Öffentlichkeit verwehren – hält das die extreme Rechte klein?

"Nur zu sagen: Ich kümmere mich nicht um Politik, reicht nicht"

Helmut Hermann von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, ist da anderer Ansicht. Umfragen zeigten doch die weite Verbreitung rechten Gedankentums, siehe nur den großen Erfolg des Sarrazin-Buches. 18 bis 25 % der Bevölkerung verträten rechte Einstellungen. Hierzu müsse der Rest der aufrechten Demokraten eine Einstellung vertreten. „Nur zu sagen: Ich kümmere mich nicht um Politik“, so Hermann, „reicht nicht.“

„Wir sind an einem Punkt, wo wir dem mit aller legalen Kraft entgegentreten müssen“, glaubt Inamaria Wronka. Sie will nicht erleben, dass Bürger, die von den etablierten politischen Kräften in Mülheim enttäuscht sind, ihr Kreuzchen bei der nächsten Kommunalwahl bei der NPD machen und dieser möglicherweise gar Mandate im Stadtrat verschaffen. „Ich weiß nicht, ob Mülheim davor gefeit ist“, sagt sie. „Machen wir uns nichts vor: Die NPD ist nicht nur in thüringischen Hinterwäldchen stark. Auch hier gibt es Sympathisanten.“

Die Partei fahre ihre Anti-Gewalt-Taktik seit Jahren mit Bedacht, um sich breiteren Schichten als Wahlalternative anzubiedern. Immerhin habe der starke Gegenprotest sie bei ihrem Aufmarsch vor dem Forum am 30. April spüren lassen, in Mülheim nicht so schnell Fuß fassen zu können. Inamaria Wronka wertet jene NPD-Kundgebung als Test der braunen Partei: Ob es an der Zeit ist, auch hier verstärkt in die Öffentlichkeit zu gehen.

VVN und Mülheimer Initiative für Toleranz fordern, dass ein Verbotsverfahren gegen die NPD zügig angestrengt wird. Franziska Krumwiede von den Grünen sieht ein Erfordernis für mehr Demokratieschulung für den Nachwuchs. „Es gibt zu wenig Aufklärungsarbeit an Schulen“, meint sie.