Eine Mahnwache für das „Abendland in Christenhand“ wollte die rechtsgerichtete Bürgerinitiative Pro NRW in Mülheim abhalten. Eine bunte Schar von Gegendemonstranten sorgte dafür, dass die Mahnenden ihre eigenen Worte nicht verstehen konnten.
Es ist kurz vor elf, an der T-Kreuzung, wo die Wiesen- auf die Sandstraße trifft, herrscht die viel zitierte Ruhe vor dem (möglichen) Sturm. Im Eingang zur Tankstelle wacht ein Schäferhund. Tankstellen-Eigentümer Uwe Stachelhaus hat selbst einen, zur Verstärkung hat er noch einen Freund von sich samt Schäferhund mobil gemacht. Stachelhaus ist sich nicht sicher, wie sicher die Polizei Pro-NRW-Demo und Gegendemo im Griff haben wird, ob seine Tankstelle heile bleiben wird.
Über Sand- und Wiesenstraße strömen schon Menschen zur Moschee, wo das Fest früh beginnt, gegen 11.30 Uhr entschließt sich die Polizei doch, nicht nur Absperrgitter vor der linken Gegendemo an der Wiesenstraße aufzustellen, sondern auch auf der Sandstraße, Richtung Moschee und an der Eisenbahn-Unterführung.
Überall ist Polizei
Überall, selbst hinterm Gebüsch, sind Einsatzkräfte einer Hundertschaft aus Bonn postiert, der Verfassungsschutz gibt sich nicht zu erkennen, arbeitet ja lieber im Geheimen. Gegen 12 Uhr hat sich längst auch an der Absperrung an der Sandstraße eine Menge gebildet, um der ungeliebten rechtspopulistischen Bürgerbewegung Pro NRW und ihrer Forderung „Abendland in Christenhand“ so lautstark zu begegnen wie die um die Ecke postierten gut 100 Antifaschisten, die mit dicken Lautsprechern vorgefahren sind.
12.04 Uhr. Unter der Eisenbahnbrücke herrscht reger Funkkontakt. „Sie biegen ein“, heißt es dann. Und tatsächlich rollt der Pro-NRW-Tross in einigen wenigen voll besetzten Autos mit Nummernschildern aus Köln, Darmstadt und Hamburg an. Sie parken, eskortiert von der Polizei, in der Einfahrt zum Ballermann. Dort warten drei jugendliche Sympathisanten und ein Rentner mit Fahrrad und aufgespanntem Regenschirm, um sich der Mahnwache anzuschließen. Mehr bekommt Pro NRW an diesem Tag in Mülheim nicht mobilisiert. 32 Teilnehmer zählt die Mahnwache.
Viele ältere Pro-NRW-Demonstranten
Viele Ältere sind darunter, vorneweg Bernd Schüppe, der Mann mit Schnäuzer und Dreiecks-Kinnbart, einer der Spitzenkandidaten von Pro NRW für die Landtagswahl, er gibt sich demonstrativ selbstsicher: „Guuuten Moooorgen!“ Aufreizend nett grinst er in die Kameras, als er die Unterführung durchquert, hinter ihm seine Getreuen, Deutschland-Fahnen und Anti-Moschee-Schilder in ihren Händen haltend.
Der vorgesehene Demonstrationsplatz für Pro NRW ist mit sechs Gittern abgesperrt. Die Polizei muss wohl ein Auge zugedrückt haben, denn die Plakatwände hinter der Mahnwache sprechen die Sprache der Gegendemo. Kinder scheinen sie noch kurz vor dem Aufzug der Rechtspopulisten bemalt zu haben: „Meine beste Freundin ist Muslime“, steht da auf rotem Grund, oder: „Kein Platz für Rechts!“
Je näher die Rechten rücken, desto lauter werden die Gegner
Je näher das Trüppchen von Pro NRW sich seinem Versammlungsort nähert, desto lauter wird das Tröten, Pfeifen, Rasseln und Rufen von den Gegenseiten. Viel Rabatz machen auch die Leute vom Ringlokschuppen, die sich um 11 Uhr mit genehmigtem Demonstrationszug, unter Beschallung von Weltmusik und dem Motto „Aufstand gegen die Wirklichkeit“, zur Sandtraße aufgemacht haben.
12.18 Uhr. „Nazis raus!“ schallt es über die Straße, während Pro-NRW-Mann Bernd Schüppe einem türkischen Fernsehteam verrät, dass er ein Minarett wie das Mülheimer hier als „Symbol der Eroberung“ sieht, Minarette seien „eine Gefahr“.
Rechte Reden gehen im Lärm unter
Derweil fragt ein älterer Sympathisant einen Journalisten, wie denn die Moschee da drüben überhaupt heiße. „Weiß der überhaupt, wo der von seinen Parteiführern gerade hingekarrt worden ist“, fragt sich da einer der Journalisten. Jörg Uckermann, ehemaliger stellvertretender Bürgermeister für die CDU in Köln-Ehrenfeld, redet derweil mit angestrengter Gestik über Megafon davon, dass für ihn „Integration ein Missverständnis“ sei, „Integration heißt für uns Anpassung“.
Was er aber redet, hört niemand außer den nahen Polizisten, den Journalisten und Uckermanns Getreuen. Zu laut ist das Getöse der Gegendemo, als dass das aus 32 Kehlen kommende „Wir sind das Volk“ zur Gegenseite durchdringen könnte. Uckermann weiß nichts über die Mülheimer Fatih-Moschee selbst, er bildet sich sein Urteil über die Blickdistanz von einigen hundert Metern: Das Minarett sei „sehr extrem, sehr orientalisch“. Es habe einige Landesaktionstage seiner Partei in Mülheim gegeben, sagt er, nach seinem Wissen über die Moscheegemeinde und ihre Integration vor Ort befragt. Wann und wo die gewesen seien? Weiß Uckermann nicht.
Um zehn vor eins ist Schluss für die Mahnwache
Irgendwie hat sich Gabriele Rosinski von den Linken durch die Absperrungen getrickst. Sie steht vor Schüppe, fragt ihn: „Sehen sie sich als Weltbürger?“ Der Pro-NRWler überlegt erst. Weltbürger? Nun ja, Außerirdischer sei er ja nicht. Dann aber legt er sich fest: „Wenn ich auf Erden unterwegs bin, bin ich Deutscher!“
Um zehn vor eins ist die Mahnwache beendet, Pro NRW zieht ab. Christian Wald, Organisator der linken Gegendemo, ist zufrieden, dass es das deutliche Gegensignal auf der Straße gegeben hat „und wir in der Mehrzahl waren“. Polizeisprecher Peter Elke stellt fest, dass das Sicherheitskonzept „voll aufgegangen ist“, alle Versammlungsteilnehmer hätten sich frei äußern können. Der Mittag ist ohne Aggressionen oder Gewaltbereitschaft geblieben. Elke: „Wir sind sehr stolz, dass hier so viel Toleranz herrscht, ein tatsächliches Miteinander der Kulturen, bei dem man für die Religionsfreiheit auf die Straße geht.“
Zufrieden ist auch Tankstellen-Besitzer Uwe Stachelhaus – trotz keinem verkauften Liter Sprit während der Straßensperrung. Die Polizei habe „einen super Job gemacht“. Stachelhaus freut sich für die Moscheegemeinde, dass alles ein friedliches Ende gefunden hat. Denn das seien „alles liebe und nette Leute“.