Mülheim. Mülheimer haben Tage in sorgenvoller Ungewissheit hinter sich, nachdem das Hochwasser im Sommer 2021 ihre Häuser bereits stark beschädigt hatte.
„Blauer Himmel, kein Tropfen Regen“, am Dienstagvormittag entfährt Doris Gerke ein Stoßseufzer, als sie zum Himmel blickt. Ein sorgenvolles Weihnachtswochenende liegt hinter der Mintarderin und ihren Nachbarn, deren Häuser beim Sommerhochwasser 2021 überschwemmt und stark beschädigt worden waren. Unablässig verfolgten die Betroffenen in den zurückliegenden Tagen die Pegelstände von Ruhr und Alpenbach, der direkt vor ihren Häusern verläuft. Mit Sandsäcken versuchten sie, sich zu schützen. An Schlaf war kaum zu denken, zu groß war die Angst vor den Wassermassen.
Wie es ihr gehe? „Bescheiden“, antwortet Doris Gerke. Geschlafen habe sie in den vergangenen Nächten wenig. „Mein erster Blick geht morgens, wenn es hell wird, raus auf den Alpenbach und das Feld vor der Ruhr.“ Die Mintarderin wohnt in der Straße „Durch die Aue“, die bei dem als Jahrhundertflut bezeichneten Hochwasser im Juli 2021 besonders stark betroffen war. Nicht nur in die Keller drang das Hochwasser ein, teils stieg es bis ins Erdgeschoss, machte Häuser über Monate unbewohnbar. Auch Doris Gerke und ihr Mann haben damals die volle Wucht der Flut zu spüren bekommen.
Mülheimer Rentnerin fühlt sich schmerzlich an die Überflutung ihrer Souterrainwohnung erinnert
Bis ihnen das Sommerhochwasser nahezu alles genommen hat, wohnten sie 18 Jahre lang in einer Souterrainwohnung - doch die wurde von den Wassermassen verwüstet. Die Gerkes hatten nichts mehr – nicht mal mehr eigene Unterwäsche. Ein Wohnwagen war über Monate ihr provisorisches Zuhause. Erst nach etwa einem halben Jahr konnten sie in eines der nach dem Hochwasser sanierten Häuser in ihrer Straße einziehen. Zurück in die tiefergelegene Souterrainwohnung? Keine Option für Doris Gerke nach der schockierenden Fluterfahrung.
Ein Glück für das Ehepaar Anfang 60, dass eine der Nachbarinnen nach der Überschwemmung wegzog und die Gerkes das frei werdende Einfamilienhaus mieten konnten. „Aber wenn wir hier eine zweite Flut erleben, dann bin ich auch weg aus Mintard“, sagt die Rentnerin heute.
In den vergangenen Tagen, den Weihnachtstagen, sei nicht nur sie immer wieder draußen gewesen. Auch die anderen Nachbarn, deren Häuser es 2021 ebenfalls schlimm getroffen hatte, schauten permanent argwöhnisch nach dem Wasserstand des Alpenbaches, der vor ihren Häusern verläuft. Aus dem kleinen Rinnsal war bei der Jahrhundertflut ein Fluss geworden, dessen Wasser sich mit dem der Ruhr, die über ein breites Feld anrollte, vereinigte.
Keine Chance für die Anwohner, ihr Hab und Gut auch nur irgendwie vor der Flut zu schützen. Sie hatten bis zuletzt ausgeharrt an ihren Häusern, schließlich aber war die Senke unterhalb der August-Thyssen-Straße so voller Wasser, dass die Feuerwehr einige von ihnen per Schlauchboot evakuieren musste.
Horrorszenario für Mülheimer Anwohner, deren Häuser bereits 2021 überschwemmt worden waren
An Heiligabend nun haben auch die letzten Nachbarn ihre Autos weggefahren auf ein höheres Straßenniveau, Habseligkeiten aus den Kellern geholt und Lichtschächte sowie Garageneinfahrten mit Sandsäcken gesichert. „Die hat uns diesmal die Feuerwehr gebracht“, berichtet Doris Gerke dankbar. In ihrem Keller hatte sie indes nicht viel zu tun, erzählt die 63-Jährige, denn: „Wir hatten ja nach dem letzten Hochwasser nichts mehr, haben hier bei Null angefangen. Alles war weg, von der Zahnbürste bis zum Löffel.“ Manche Nachbarn seien gerade erst mit den letzten Sanierungen fertig geworden, Handwerkermangel und Lieferschwierigkeiten hatten auch den Mintardern Geduld abverlangt.
Nun schon wieder überschwemmt zu werden, das sei wirklich eine Horrorvorstellung. „Die Situation ist beängstigend, das Erlebte steckt uns noch in den Knochen“, sagt Doris Gerke am Weihnachtswochenende und blickt wieder aus dem Fenster: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gut geht, wenn man sieht, wie die Ruhr sich hier ausbreitet.“ Und wenn die Ruhr übervoll sei, könne auch der Alpenbach nicht mehr ablaufen, sondern staue sich zurück und trete über die Ufer.
Alpenbach in Mülheim-Mintard ist über die Ufer getreten und breitet sich in Gärten aus
Ein Stück weiter vorne in Mintard hat der Bach sich bereits ausgebreitet und leckt schon wieder in den Garten von Hans-Jürgen Lilge. „Etwa zwölf Meter steht das Wasser noch vom Haus entfernt“, schildert der Mintarder. Vor zweieinhalb Jahren stand es im Keller seines mehr als 150 Jahre alten Fachwerkhauses. Pragmatisch hatte Lilge damals gesagt: „Das ist der Vorteil an so einem alten Haus im Vergleich zu einem neuen, abgedichteten: Hier läuft das Wasser auch schneller wieder ab.“
Noch ist der Alpenbach nicht wieder bis zu seiner Kellertür, die Wiese aber steht schon wieder voll bis an die Gartenlaube. Der Mintarder ärgert sich, dass sich seit der massiven Überschwemmung 2021 „rein gar nichts getan hat“, wie er sagt und fragt: „Hat man uns vergessen?“ Dabei hat Hans-Jürgen Lilge Ideen, wie man nicht nur sein Haus, sondern auch das restliche Mintarder Überschwemmungsgebiet schützen könnte: „Warum zieht man keine Spundwand entlang des Alpenbaches“, fragt er und meint: „Uns lässt man hier im Regen stehen.“
Fürs Erste scheinen sie in Mintard nach einem unruhigen Weihnachtsfest vom Hochwasser verschont geblieben zu sein. „Aber man kann es nicht vorhersehen, was noch kommt“, sagt Doris Gerke mit Blick auf den Wetterbericht, der fürs Wochenende schon wieder Regenfälle prognostiziert. Ihre Nachbarn wollen in den Skiurlaub fahren, erzählt die Mintarderin, deren Schlüssel hat sie nun – „falls der Keller leergepumpt werden muss“.
Hochwasser bedeutet Dauereinsatz für Mülheimer Feuerwehr und Ehrenamtliche
Angespannt und außergewöhnlich arbeitsreich war das Weihnachtswochenende auch für die Mülheimer Feuerwehr: „Wir haben rund um die Uhr alle paar Stunden die neuralgischen Hochwasserstellen im Stadtgebiet kontrolliert wie die Straßen Delle und Auf dem Dudel nahe der Innenstadt, das Luisental mit dem Altenheim sowie die Mintarder Straße Durch die Aue und die Zuflüsse des Rumbachs“, bilanziert der Leiter der Berufsfeuerwehr Sven Werner am Dienstag.
Pro Schicht seien jeweils 50 Mitarbeitende im Einsatz gewesen, laut Werner die normale Schichtstärke. Wegen der Hochwasserlage aber seien pro Schicht drei bis vier Einsatzkräfte - vor allem aus dem Führungsstab - hinzugekommen. „Wir haben zusätzlich Unterstützung angefragt bei der Freiwilligen Feuerwehr und beim THW, wobei wir es möglichst vermeiden wollten, freiwillige Kräfte an den Feiertagen zu alarmieren.“
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