Oberhausen. Der seit Wochen anhaltende Dauerregen hat den Ruhr-Deich in Oberhausen aufgeweicht. Die Feuerwehr handelt - und muss die Nacht durcharbeiten.
Nach wochenlangen Regenfällen und seit Donnerstag stetig steigenden Pegelständen an der Ruhr richten sich die Oberhausener Feuerwehrleute auf eine heikle Weihnachtszeit ein: An der Ruhr, im Stadtteil Alstaden, haben die Katastropenschutzkräfte am Freitagabend große Flutlichtmasten aufgestellt, um den Deich an den Ruhrwiesen genau zu beobachten. Schon in der Nacht zu Freitag, aber auch den ganzen Samstag über sichern die Einsatzkräfte den Deich auf einer Länge von 550 Metern mit Sandsäcken, denn der Schutzwall gegen Wasserfluten in Alstaden ist bereits gefährlich aufgeweicht.
Sie packen auf der Seite zum Fluss zunächst Vlies auf den Deich, der die Erde vor dem Wasser schützen soll, um den Vlies dann mit den schweren Sandsäcken zu stabilisieren. Die körperlich unglaublich harten Arbeiten dauern mindestens bis Sonntagmorgen: Die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Technischen Hilfswerk müssen auch die zweite Nacht, also die Nacht zu Heiligabend, durcharbeiten, um den Deich zu befestigen.
Denn die Lage spitzt sich zu: In den nächsten Stunden, ja Tagen haben die Meteorologen inklusive Heiligabend lang anhaltende Regenfälle in Nordrhein-Westfalen angekündigt. Im Bergland sollen sich die Niederschlagsmengen bis Heiligabend auf 80 bis 110 Liter pro Quadratmeter summieren, im Flachland auf 30 bis 70 Liter pro Quadratmeter.
„Wir haben deshalb entschieden, sehr vorsorgend vorzugehen und alles einzurichten, um einem möglichen Hochwasser in den nächsten Stunden und Tagen begegnen zu können“, sagte der Oberhausener Ordnungsdezernent Michael Jehn am Freitagabend im Gespräch mit der Redaktion. „Dabei steht die Beobachtung des Deiches im Mittelpunkt.“ Wenn der Ruhrdeich wie bisher in der Vergangenheit hält, ist auch ein hoher Pegelstand der Ruhr kein großes Problem, denn auf den Ruhrwiesen hat das Flusswasser eine gigantisch große Ausweichfläche.
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Doch die Fachleute hatten es noch in der Nacht zu Samstag nach intensiver Inspektion des Deichs für absolut notwendig gehalten, dass der Deich zusätzlich gesichert werden muss, da die Pegelstände steigen und steigen, wenn auch am Samstagmorgen zunächst nur leicht. Den Höhepunkt des Weihnachtshochwassers erwartet der Oberhausener Krisenstab offiziell frühestens am Nachmittag des Heiligabends. Der Ruhrverband geht bisher davon aus, dass das Hochwasser nicht so stark ist wie das Jahrhundertwasser im Juli 2021. Allerdings weiß bisher noch niemand, wie lange das Ruhrwasser diesmal gegen die Deiche drückt - dies kann auch einen starken Schutz aushöhlen.
Selbst wenn das Hochwasser unter der Deichkrone bleibt, also nicht überschwappt, besteht für die nahen Regionen an der Ruhr nach Angaben von Fachleuten Gefahr: Wenn das Wasser sehr lange steht, weicht der Deich immer mehr auf – und dann läuft Wasser durch. Dies ist schon einmal geschehen: bei der Jahrhundertflut im Juli 2021. Deshalb hat die Feuerwehr neben ihren Flutlichtmasten bereits am Freitag auch Sandsäcke in Richtung Deich geschleppt. Vertreter des Technischen Hilfswerks THW, der Feuerwehr Duisburg und anderer niederrheinischer Feuerwehren, der Freiwilligen Feuerwehr Oberhausen und der Hilfsorganisationen halfen und helfen an diesem Wochenende mit. Nach der ersten Lage an Vlies und Sandsäcken wird man aufgrund der Ratschläge der Bezirksregierung Düsseldorf darüber eine zweite und dann noch eine dritte Lage auf den 550 Metern stark durchweichten Deich in der Nacht zum Sonntag befestigen.
Die Fachleute zeigten sich bereits am Freitag besorgt darüber, dass es zuvor einen unglücklichen Auftritt einer Kuhherde gab, die üblicherweise in den Ruhrwiesen grast. Die schweren Tiere waren in den vergangenen Tagen trotz aller Regenfälle auch auf dem Deich unterwegs und haben hier bleibende Spuren mit Schäden hinterlassen. In einem Abschnitt ist das Gras des Ruhrdeichs weggetreten, so dass die bloße Erde zu sehen ist. Gras ist an diesen Stellen besonders wichtig, da es die Deichkrone stabilisiert. „Der Untergrund wurde durch die Kühe zusätzlich aufgeweicht“, beobachtete die Feuerwehr -- und muss sich nun gerade um diese Stelle des Deiches besonders intensiv kümmern.
Welche Straßen und Areale in Alstaden betroffen wären, sollte der Deich nicht halten, geht aus den offiziellen Hochwasserkarten des NRW-Umweltamtes hervor. Diese Karten zeigen drei Szenarien: Modelliert worden sind die Auswirkungen von relativ häufigen Hochwassern (im Mittel alle 10 bis 20 Jahre), von mittel-wahrscheinlichen Hochwassern (im Mittel nur alle hundert Jahre), und Extremhochwasser, sogenannte Jahrtausendhochwasser. Eine Karte aus diesen Informationen haben wir anfertigen lassen:
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Diese Straßen würden im Extremfall in Oberhausen überflutet
Danach stellen sich die Auswirkungen so dar: Natürlich würden so oder so, wie bei Hochwasser gewünscht, die Ruhrwiesen, der Ruhrpark und das Feuchtbiotop an der Stadtgrenze zu Mülheim vom Wasser überschwemmt werden. Im Extremfall würden aber auch verschiedene Wohngebiete in Alstaden überflutet: Breite Gebiete hinter dem Ruhrpark, also die Kewerstraße, die Solbadstraße sowie die kleinen Straßen Kalle und Stelte bis zur Stadtgrenze nach Mülheim. In der Mitte von Alstaden wären die Häuser „Am Ruhrufer“, an der „Kuhle“, zum Teil auf der Straße „Heiderhöfen“ und an der Amboßstraße sowie an der Blockstraße und Richardstraße von Wasser bedroht. An der Stadtgrenze zu Duisburg sind bei einem Extrem-Hochwasser die Wohnquartiere „Neuer Weg“, Flügelstraße, Sorpestraße und Blettgensweg gefährdet.
Jehn versichert aber auch am Samstagmorgen ausdrücklich: „Wir haben bisher noch keine Risse im Deich entdeckt, es besteht im Moment keinerlei Gefahr für die Bevölkerung. Der Deich macht momentan das, was er tun soll, Wasser ist noch nicht durchgesuppt. Sollte sich die Lage ändern, würden wir sofort über alle Kanäle eine entsprechende Warnung herausschicken.“
Wie es am Samstag am Oberhausener Ruhr-Deich ausgesehen hat, zeigen wir in dieser Fotostrecke:
hier ist der Link
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Bei der Feuerwehr Oberhausen wurde am Freitag der Krisenstab, unterstützt durch Experten der Deichverteidigung, eingerichtet. Insgesamt waren schon am Freitagabend 50 Kräfte im Einsatz, im Laufe der Nacht und des Samstagmorgen wurden diese auf 300 aufgestockt.
Feuerwehr muss am Rande des Ruhrparks Bäume fällen
Dabei greifen die Feuerwehrleute nach dringendem Ratschlag der Hochwasserexperten von der Bezirksregierung Düsseldorf auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen: Sie fällten am Samstag mehrere Bäume im Bereich des Ruhrparks, die sehr nahe am Deich stehen. „Die Wurzeln ragen bis in den Deich hinein, durch den starken Wind bewegen sich die Bäume und können den Deich lockern. Das können wir jetzt auf keinen Fall gebrauchen“, erläutert Ordnungsdezernent Michael Jehn den Grund für die Entscheidung am Samstagmorgen. Am Samstagabend war klar: Insgesamt wurden 50 Bäume gefällt. „Es war ohnehin geplant und genehmigt, diese Bäume zu entnehmen, da sie zu nah am Deich standen.“
Oberbürgermeister Daniel Schranz besuchte die Einsatzkräfte an der Ruhr am Samstagnachmittag vor Ort. Er bedankte sich ausdrücklich für die Leistung der Helferinnen und Helfer: „Ich will einfach nur Danke sagen an alle Beteiligten. Es ist schön zu wissen, dass wir uns auf alle verlassen können.“
Die Einsatzkräfte haben zudem den Ruhrpark für Besucherinnen und Besucher komplett abgesperrt, um in Ruhe arbeiten zu können. Ohnehin bittet die Stadt darum, den Bereich der Ruhr in Oberhausen zu meiden, auch Autos sollen hier nicht auf den nahen Straßen herumfahren, damit der stark gestiegene Einsatzverkehr der Feuerwehr- und THW-Fahrzeuge nicht behindert wird.
Viele Bürgerinnen und Bürger haben sich nach Darstellung der städtischen Pressestelle am Samstag besorgt direkt an die Feuerwehr gewendet, um mehr Details zu der Lage an der Ruhr zu erfahren. Die Stadt Oberhausen bat dann aber am Samstagnachmittag alle Bürger, statt der Feuerwehr das Bürgertelefon des Rathauses anzurufen, da die Einsatzleitstelle der Feuerwehr derzeit überlastet ist: 0208-825-2677.
Stadt Essen schickt um kurz nach Mitternacht NINA- Warnung
Die Hochwasserwelle rollt seit Donnerstag unabänderlich auf Oberhausen und Mülheim zu. Die zuerst betroffene Nachbarstadt Essen hat über das Katastropheninformationssystem NINA eine Hochwasser-Warnung bereits um 0.09 Uhr in der Nacht zu Samstag herausgeschickt: „Aktuell ist bereits in Teilen der Bach- und Flussläufe der Wert für die zweite Hochwasserwarnstufe erreicht. Es wird mit weiter zunehmenden Pegelständen gerechnet.“
Die dortige Feuerwehr hat bereits Straßen an der Ruhr abgesperrt. Der Rat der Essener Experten an die dortigen Anwohner der Ruhr: „Wenn Sie in einem betroffenen Bereich wohnen, möchten wir Sie präventiv bitten, sich nicht dauerhaft in Kellern aufzuhalten, Fahrzeuge aus Tiefgaragen herauszufahren, wertvolle Gegenstände aus Kellern in höher gelegene Geschosse zu bringen und ihre Selbsthilfefähigkeit zu stärken.“
So ist die Lage an der Emscher in Oberhausen
Die Ruhr in Bochum ist schon in der Nacht zu Freitag (22. Dezember 2023) so stark angeschwollen, dass die Experten von Hochwasser sprechen. Innerhalb nur eines Tages haben sich die Wassermengen verdoppelt. Am Pegel Hattingen, der für Bochum und Oberhausen maßgeblich ist, betrug der Wasserstand um 12 Uhr am Freitag 5,18 Meter. In der Nacht zu Donnerstag lag der Pegel noch bei rund 3,70 Meter. Zum Vergleich: Der mittlere Wasserstand liegt bei 1,95 Meter. Am Freitagmittag rauschten 411 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch das Flussbett. Am Donnerstagmorgen waren es rund 200 Kubikmeter.
Im Gegensatz zu der Situation an der Ruhr halten die Experten der Stadt Oberhausen am Freitagabend eine Hochwassergefahr an der Emscher mitten im Stadtgebiet bisher noch für ausgeschlossen. Die Stadt hat bei der zuständigen Emschergenossenschaft aktuelle Informationen eingeholt, danach gibt es hier noch keine Pegelstände, die bei Fachleuten Sorgen auslösen.