Mülheim. Zu wenig Mitarbeitende, Probleme, Nachwuchs zu gewinnen, um Personallücken zu stopfen: Mülheims Stadtverwaltung steht vor Herausforderungen.
Von einer schwerwiegenden Personalkrise in der Mülheimer Verwaltung war Ende vergangenen Jahres die Rede, als der Personalrat Alarm schlug wegen unbesetzter Stellen und daraus resultierender Arbeitsverdichtung. Den Mangel an Mitarbeitenden bekommen auch Mülheimerinnen und Mülheimer zu spüren, etwa wenn der Bürgerservice nur noch eingeschränkt erreichbar ist oder lange Schlagen vor dem Ausländeramt zu sehen sind. Gegenmaßnahmen, um aktuelle und zukünftige Personallöcher zu stopfen, sind gestartet. Moderne Arbeitsweisen spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Die Verwaltung hat ausgerechnet: In den kommenden zehn Jahren gehen rund 1000 Beschäftigte in den Ruhestand. Das geht aus Berichten hervor, die das Personal- und Organisationsamt kürzlich der Politik im Hauptausschuss vorgelegt hat. Demnach liegt die planbare Altersfluktuation in den Jahren 2022 bis 2031 durchschnittlich bei rund 100 Beschäftigten pro Jahr, die die Stadtverwaltung verlassen werden. Diese Anzahl könne nicht vollständig durch Ausbildung kompensiert werden, hieß es.
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Stadtverwaltung in Mülheim will Ausbildungsplätze aufstocken
Vor diesem Hintergrund will die Stadt nach Aussage von Personaldezernentin Anja Franke die Ausbildungskapazitäten für das kommende Jahr um 23 Prozent auf 97 Nachwuchskräfte erhöhen und dem gestiegenen Bedarf in Folge der Altersfluktuation – Stichwort: Babyboomer-Jahrgänge – gerecht werden. Fürs aktuelle Ausbildungsjahr heißt es: „Es konnten nahezu alle Ausbildungsstellen besetzt werden, wenn auch in Mülheim erkennbar ist, dass sich das Verhältnis der Bewerberzahlen zu den Stellen in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert hat und teilweise mehrfach Gesprächsrunden geführt wurden.“
Damit sei die Stadtverwaltung für die Zukunft gut aufgestellt, um zumindest die Spitzen der Weggänge abzufangen, ordnet der Personalratsvorsitzende Dirk Neubner ein, wenngleich die Aufstockung der Ausbildungsplätze wohl nicht die Sünden der Vergangenheit ausbügeln werde, „denn vor 15 Jahren haben wir nicht bedarfsgerecht ausgebildet – auch vor dem Hintergrund von Einsparmaßnahmen“. Um frisch ausgebildete Kräfte zu binden, böte die Verwaltung allen Azubis eine Übernahmegarantie an – sofern diese die Voraussetzungen erfüllten, so Neubner. Gleichwohl wolle nicht jeder bleiben, sobald er seine Lehre bei der Stadt beendet hat, weiß auch der Personalratsvorsitzende: „Das ist aber kein Mülheim-eigenes Phänomen, sondern wohl auch der Generation geschuldet, die wechselwilliger ist.“
Wie die Mülheimer Verwaltung künftig mit Telearbeit umgehen will
Als Verwaltung müsse man sich entsprechend wettbewerbsgerecht aufstellen, um Personal zu finden und zu halten, fordert der Personalratsvorsitzende erneut ein. Vielversprechend sei in diesem Zusammenhang, dass nach der Personalversammlung im vergangenen Jahr, auf der massive Kritik an der Personalpolitik der Verwaltung geäußert worden war, eine Arbeitsgruppe ans Werk gegangen sei. Darin gehe es zuallererst um Maßnahmen zur Personalbindung und -gewinnung, so Neubner. Stand jetzt sei ein umfangreicher Maßnahmenkatalog erarbeitet worden, dessen Punkte man nun priorisieren wolle. Geplant sei, im Frühjahr ein Maßnahmenbündel an den Start zu bringen, das „hoffentlich auch mit entsprechenden Finanzmitteln ausgestattet werden kann“, so Neubner.
Konkret, so sieht es die Arbeitsgruppe vor, soll eine Telearbeit-Offensive gestartet und umgesetzt werden, denn, so der Personalratsvorsitzende: „Jeder, der sich hier extern vorstellt, stellt die Frage nach Telearbeit.“ Nahezu alle Ruhrgebietsstädte richteten sich dahingehend aus, daher drängt Neubner auch zur Umsetzung in Mülheim: „Wir dürfen uns da nicht den Rang ablaufen lassen.“
Ausbildung bei der Stadt: Nicht jeder will heute noch Beamter werden
Und auch die Verbeamtung sei ein Aspekt, mit dem man als Verwaltung werben könne, um Arbeitskräfte zu gewinnen und zu halten. Wichtiger Punkt aus Sicht des Personalrates dabei: „Wir finden es entscheidend, dass es für junge Menschen am Ende der Ausbildung attraktiv ist, selber entscheiden zu können, ob sie verbeamtet werden möchten oder nicht. Nicht jeder möchte heute noch Beamter werden.“ Als Stadtverwaltung die Möglichkeit zu bieten, darüber selbstbestimmt entscheiden zu können, wäre ein Alleinstellungsmerkmal für Mülheim, verdeutlicht Neubner – „das macht uns sicher attraktiv als Arbeitgeber“.
Doch auch bestehendes Personal habe die Arbeitsgruppe im Blick. Laut Angaben des Personalamtes waren zum 30. Juni dieses Jahres 3270 Personen mit einer vollzeitverrechneten Personalkapazität von 2669 bei der Stadt beschäftigt. Im ersten Halbjahr ist der Personalstamm um 72 Personen und 48 vollzeitverrechnete Kapazitäten gesunken. Demgegenüber gab es insgesamt 88 Eintritte, darunter 54 Einstellungen aus externen Bewerbungen sowie zwölf Einstellungen von Azubis, bei in Summe 160 Austritten. Die Fluktuationsstatistik wies laut Verwaltung somit zur Jahresmitte ein Minus von 72 Personen auf. Damit kommt die Stadtverwaltung auf eine Vakanzquote für nicht besetzte Stellen von 5,35 Prozent. Im ersten Halbjahr 2023 hatte sie noch bei 6,9 Prozent gelegen.
Personalrat der Mülheimer Stadtverwaltung spricht von hoher Arbeitsbelastung
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Personalrat Neubner spricht mit Blick auf die Vakanzquote von einem statistischen Wert, der aber nicht darüber hinwegtäuschen dürfe, dass hinter der Zahl einzelne Mitarbeitende stünden, die mitunter hohen Arbeitsbelastungen ausgesetzt seien. „In bestimmten Bereichen, insbesondere in den publikumsintensiven, gibt es hohe Belastungen.“
Manche Bereiche hätten über Jahre Personal einsparen müssen: „Das rächt sich jetzt.“ Davon zeuge auch die Zahl von aktuell zehn Überlastungsanzeigen. „Das ist nicht überbordend viel“, ordnet Personalrat Neubner ein, betont aber: „Zehn Überlastungsanzeigen bedeuten nicht zehn Menschen, teils sind davon auch ganze Teams oder Abteilungen betroffen.“
Krankenquote im Mülheimer Rathaus bei über zehn Prozent
Die Krankenquote bei der Stadtverwaltung lag 2022 bei 10,1 Prozent. „Das hört sich hoch an, ist aber keine dramatische Zahl. Wir orientieren uns damit an den Stadtverwaltungen anderer Städte – in diesem Ranking sind wir auf Augenhöhe mit anderen Städten“, so der Personalratsvorsitzende.
Sowohl Personalamt als auch Personalrat verweisen auf die Digitalisierung. „Wir erhoffen uns durch die Digitalisierung eine Unterstützung der Beschäftigten, indem Verfahren einfacher werden und es zur schnelleren Bearbeitung kommt – aber da sind wir am Beginn der Entwicklung“, so Neubner.
Durch automatisierte Prozesse sollen künftig Arbeitsschritte wegfallen, so dass sonst absehbare Personalengpässe vermieden werden können, schildert Personaldezernentin Anja Franke, schränkt aber ein: „Aktuell erleben wir allerdings, dass die Akzeptanz und wohl auch der Bekanntheitsgrad für digitale Angebote in der Bürgerschaft noch niedrig ist. Viele Bürgerinnen und Bürger rufen zudem an, um sich innerhalb der Online-Prozesse zurechtzufinden. Hier muss die Information, Werbung und Anleitung intensiviert werden.“