Mülheim. 500.000 Euro fließen in die Renovierung des Mülheimer Hospizes. Dabei werden die Zeiten härter. Geschäftsführer fordert Politik zum Handeln auf.
Die Fassade erstrahlt bald wieder in freundlichem Weiß. Und auch im Inneren des Mülheimer Hospizes wird sich bis Ende des Jahres einiges tun. Farbe kommt an die Wände, eine neue Küche wird eingebaut, die Lichttechnik verbessert. Bistro, Wohn- und Klavierzimmer werden umgestaltet und moderne Fernseher aufgestellt. Das hört sich vielversprechend an. Und doch ist nicht alles eitel Sonnenschein im Haus an der Friedrichstraße: Die Finanzierung gestaltet sich immer schwieriger, ebenso die Suche nach Personal. Dabei gibt es viel zu tun, sagt Geschäftsführer Ulrich Schreyer. Mit den aktuell zwölf Plätzen für Todkranke komme man längst nicht mehr aus. „Wir bräuchten in Mülheim mindestens doppelt so viele.“
Zu Wochenbeginn lagen dem Team 72 Anfragen für einen Hospizplatz vor, „darunter waren 58 akute Fälle aus umliegenden Krankenhäusern“. Die Zimmer aber waren alle belegt. Und so ist es fast immer: „Die Auslastung liegt bei 98 Prozent.“ Seit 1. Juli gibt es zwölf feste Plätze, davor waren es zehn. Rund eine halbe Million Euro verschlingen Erweiterung und Renovierung von Alt- und Neubau. Möglich ist diese Investition auch wegen einer besonders milden Gabe: 2022 gab’s eine Spende in Höhe von 300.000 Euro.
„Für eine Investition wie die aktuelle müssen wir mittlerweile an die Rücklagen gehen“
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So etwas ist klar die Ausnahme, betont Schreyer. Insgesamt gebe es „einen massiven Einbruch an Spenden“. Auf das allgemeine Hospizkonto gingen 20 Prozent weniger ein, auf das des Fördervereins sogar 50 Prozent weniger. Es gebe auch kaum noch Zuwendungen nach Todesfällen. In Anzeigen werde nur noch selten zu Spenden im Sinne des Verstorbenen aufgerufen. „In 80 Prozent der Fälle heißt es da nur knapp: Die Beisetzung hat im engsten Kreis der Familie stattgefunden.“ Innerhalb kurzer Zeit habe sich eine ganze Kultur verändert, so Schreyer. „Und es ist anstrengend, diesen Ausfall zu kompensieren. Für eine dringend nötige Investition wie die aktuelle müssen wir mittlerweile an unsere Rücklagen gehen.“
Immerhin gibt es diese noch. Und überhaupt, nach elf Jahren stehe das Hospiz ja „gut da“, sagt der 64-Jährige. Die Einrichtung sei in der Stadt etabliert, sehr angesehen. Aber zu Beginn sei die Sache eben einfacher gewesen, sei mehr Geld geflossen, zum Beispiel von Stiftungen. „Nun erleben wir eine enorme Kostensteigerung, aber die Pflegesätze verändern sich nicht so, dass diese aufgefangen werden könnte.“ Jedes Hospiz muss einzeln mit den Kassen verhandeln, das sei mühselig. Und immer einen Eigenanteil aufbringen: „Offiziell liegt dieser bei fünf Prozent, tatsächlich lag er 2022 mehr als doppelt so hoch.“
Mülheimer Hospiz überschreitet den Satz für Personal und Essen aus Überzeugung
Im Mülheimer Hospiz gibt man aus Überzeugung an einigen Stellen mehr aus als vorgeschrieben: „Unsere personelle Ausstattung ist höher. Unseren Gästen und Angehörigen steht mehr Fläche zur Verfügung. Und wir überschreiten bei der Essensversorgung den Satz von 5,80 Euro, setzen auf einen besseren Caterer und bereiten einiges selbst zu.“ Das alles summiert sich. Und so musste die Einrichtung laut Schreyer 2022 nicht nur einen Eigenanteil von 74.000 Euro stemmen – sondern gleich einen von rund 250.000 Euro.
Mülheimer Hospiz beteiligt sich am Welthospiztag im Oktober
Jedes Jahr am zweiten Samstag im Oktober ist Welthospiztag: ein Tag mit Veranstaltungen und Aktionen, die auf die Hospizarbeit und die Palliativversorgung vor Ort hinweisen wollen.
Die Mülheimer Einrichtung lädt aus diesem Anlass zu einem Gottesdienst ein: am Samstag, 14. Oktober, ab 15 Uhr, in der Petrikirche am Pastor-Barnstein-Platz. Anschließend gibt es im Garten des Hospizes, Friedrichstraße 40, Gelegenheit zur Begegnung und einen Imbiss. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Der Welthospiztag steht diesmal unter dem Motto „Hospiz lässt mich noch mal!“. Es geht um erste und vielleicht letzte Male: „Erinnern Sie sich noch an Ihre erste große Liebe?“ – „Wann wird Ihre letzte innige Umarmung sein?“, heißt es in der Ankündigung. Oder auch: „Wie schmeckte das erste Eis im Hörnchen?“ – „Wo werden Sie Ihr letztes Grillfest erleben?“
Es ist nicht die einzige Belastung für Schreyer und das Team um Leiterin Monja Mika. Es ist für sie zusehends schwieriger, geeignetes Personal zu finden. Bislang, so der Geschäftsführer, seien Hospize für Kräfte aus der Intensivmedizin eine gute Alternative zum Krankenhaus gewesen. Der Personalschlüssel sei günstiger, die Dienstzeiten verlässlicher. Mancher komme auch nicht damit klar, dass in Kliniken Therapien oft noch dann angefangen würden, wenn längst sicher sei, dass es keine Chance mehr auf Besserung gibt. Etliche Pflegekräfte hätten moralische Bedenken: „Ein Krankenhaus ist für sie nicht der richtige Ort für sterbende Menschen.“
„Wir finden nicht mehr so selbstverständlich wie früher neue Mitarbeiter“
Und dennoch: Mittlerweile ebbt der Trend ab. „Wir finden nicht mehr so selbstverständlich wie früher neue Mitarbeiter. Die Situation in der Pflege ist dramatisch und wird sich weiter zuspitzen.“ Bis 2030, so schätzt Schreyer, werden bundesweit 500.000 Kräfte fehlen. Dieser Notstand erreiche nun auch die Hospize. „Trotzdem passiert in der Politik kaum etwas“, kritisiert er. Noch seien alle Stellen im Haus besetzt, aber man akzeptiere mittlerweile auch Bewerbungen von weniger qualifiziertem Personal. „Bis vor einem Jahr hatten wir nur Leute mit spezieller Palliativausbildung. Nun müssen wir auch andere Pflegekräfte einstellen und sie dann selbst ausbilden.“
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Die Gesellschaft wird älter und viele Menschen sind am Ende ihres Lebens allein oder an der Seite überforderter Angehöriger. Das ist problematisch, so Schreyer, denn es gilt gewichtige Entscheidungen zu treffen. „Jeder muss sich fragen, wie er mit seiner eigenen Endlichkeit umgeht. Ob man es zum Beispiel für sinnvoll hält, auch dann noch mit einer Behandlung anzufangen, wenn es vielleicht nur noch um einige Tage Lebensverlängerung geht.“ Oft seien Therapien sehr teuer – „und die Frage nach der Lebensqualität bleibt außen vor“.
„Noch versterben 50 Prozent der Menschen im Krankenhaus. Fraglich, ob man das will“
Schreyer hält es für „nicht würdevoll“, Menschen in der letzten Lebensphase allein zu lassen. „Sie brauchen jemanden, der ihnen zur Seite steht. So etwas wie einen Coach.“ Aufklärung sei nötig und offene, ehrliche Ansprache – aber eben auch mehr Auswahlmöglichkeiten für die letzten Tage des Lebens. „Noch versterben 50 Prozent der Menschen im Krankenhaus. Es ist fraglich, ob man das will, mit all dem Betrieb drumherum, dem Gepiepe, dem grellen Licht. Oder ob man nicht eher im geschützten Raum sterben will.“ Also zum Beispiel in einem Hospiz. Dafür aber fehlen in Stadt, Land und Bund noch sehr viele Plätze.