Mülheim. Pflegefall Pflegeberuf? Keiner will den Job machen. Nicht nur, weil’s an Wertschätzung mangelt? Eine Mülheimer Pflegedienstleiterin denkt anders.
Die Pflege ächzt unter dem Fachkräftemangel, manche Pflegekraft steigt frühzeitig aus dem Job aus – kräftezehrende Dienste und hohe psychische Belastung sind Gründe dafür. Wer aber Birgit Berlik fragt, welche Bilanz sie nach drei Jahrzehnte in der Pflege zieht, erntet ein Strahlen und erfährt von der Überzeugung, einen der schönsten Berufe auszufüllen. Warum die Pflegedienstleiterin nun schweren Herzens in den Ruhestand geht.
Die Welt war eine andere „auf Station“, damals als Birgit Berlik in der Pflege anfing. Mitte dreißig war die Mülheimerin da, die zwei Kinder großgezogen hatte und „mit Menschen arbeiten“ wollte. „Für mich ist der Beruf wie eine Berufung“, sagt Berlik heute. Zunächst machte sie ihre Ausbildung im Evangelischen Krankenhaus Mülheim und arbeitete schließlich im Altenkrankenheim, das damals noch dem EKM angeschlossen war. Blickt die 65-Jährige zurück auf ihre Anfänge als Pflegerin, erinnert sie sich an die deutlich starreren Hierarchien damals. Kein Vergleich zu heute, sagt die scheidende Pflegedienstleiterin des Evangelischen Wohnstifts Raadt: „Heute begegnen wir allen Mitarbeiter auf Augenhöhe.“
Mülheimer Pflegedienstleiterin verabschiedet sich unter Tränen von den Bewohnern
Dass sie bis zur Rente im Wohnstift Raadt bleiben wird, hätte Birgit Berlik nie gedacht, als sie vor 20 Jahren in die Einrichtung kam, „eigentlich nur, um eine Abteilung aufzubauen“. Sie blieb – und verabschiedet sich in diesen Tagen mit einem Kaffeetrinken auf jedem Wohnbereich von den Bewohnern und den Mitarbeitenden – „unter Tränen“, wie sie gerührt erzählt. So verlockend die Zeit nach dem Berufsleben für sie auch klingt – „wir wollen viel Reisen, ich werde mich ehrenamtlich engagieren“ – so schwer fällt ihr der Abschied, räumt die 65-Jährige ein: „Wir sind hier wie eine Familie.“ Jeden Tag dazu beizutragen, alten Menschen ein würdevolles Leben bis zum Schluss zu ermöglichen, habe sie auch durch schwere Zeiten getragen.
Der Austausch unter den Kolleginnen und Kollegen sei dabei immens wichtig – gerade auch, wenn ein alter Mensch stirbt, sagt Berlik: „Die Bewohner wachsen einem ans Herz.“ Dass sie eines Tages für immer gehen, gehöre zu ihrem Beruf. Abstumpfen aber würde niemand in ihrem Team. Jeder bekomme Zeit und Raum, um zu trauen, betont die Pflegedienstleiterin.
Anders als vor 30 Jahren: Heute sind die Hierarchien in der Pflege flacher
Ihr ist es wichtig, dass im täglichen Miteinander Werte gepflegt werden – von der Pflegekraft gegenüber den Bewohnern, im Team untereinander, aber auch zwischen Führungskraft und den Angestellten. „Das macht uns aus“, ist Berlik überzeugt. Ihre Bürotür stehe immer offen für die Mitarbeitenden, wenn ihnen etwas unter den Nägeln brennt. Alle seien mit dem Herzen dabei, sagt Berlik. Dass sie mit gutem Beispiel vorangeht, nimmt man der zierlichen Frau mit dem strahlenden Lächeln sofort ab. Sie sei der ruhende Pol, sagen ihre Kollegen. Das übertrage sich auch aufs Team, in dem sich längst ein Generationswechsel vollzogen habe.
Anders als in ihrer Anfangszeit, in der die knallharte Hierarchie regierte, sieht sie heute in dem Haus, das sie lange zusammen mit Einrichtungsleiter Andreas Rost führte, deutlich mehr Eigenverantwortlichkeit. „Unsere Mitarbeiter dürfen heute auch Entscheidungen treffen und selbst Lösungen suchen. Sie kommen erst dann, wenn sie wirklich nicht mehr weiter wissen. Dass sie Verantwortung übertragen bekommen, schätzen alle im Team.“
Mülheimer Pflegerin wünscht sich Wertschätzung: „Klatschen bringt uns nichts.“
Nicht nur das macht aus Sicht von Birgit Berlik den Reiz aus, in der Pflege zu arbeiten: „Der Job ist absolut zukunftsgerichtet und bietet unheimlich viele Optionen, um sich weiterzuentwickeln.“ Gleichwohl sei die Taktung heute eine andere – man habe deutlich weniger Zeit, um Aufgaben zu erledigen. Umso wichtiger sei es, dass im Pflegeheim alle Räder ineinandergriffen – die examinierten Kräfte seien nichts ohne die Hilfskräfte, ohne das Reinigungspersonal und und und. „Das geht nur gemeinsam und mit der Einstellung: Ich gehe so mit den Menschen um, wie ich mir wünsche, dass auch mit mir umgegangen wird.“
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Diese Einstellung würde sich Birgit Berlik hin und wieder auch von Besuchenden, von Angehörigen, von Außenstehenden, die sich schnell eine Meinung über die Pflege bildeten, wünschen. Ihr Kollege Andreas Rost, selbst auch schon seit 30 Jahren in der Pflege, spricht von einem Anspruchsdenken, dass immens gestiegen sei, und von einer kaum zu erfüllenden Erwartungshaltung. „Wir hören immer mal: Ihr werdet doch dafür bezahlt.“ Birgit Berlik kann da nur den Kopf schütteln und denkt an die harte Corona-Hochphase zurück: „Klatschen bringt uns nichts.“
Von den Bewohnerinnen und Bewohner aber erfahre sie ehrliche Dankbarkeit, erlebe eine Verbundenheit, die sie wertvoll nennt: „Sie geben mir so viel zurück.“ Keinen Tag ihrer 30 Jahre in der Pflege möchte die Mülheimerin daher missen.
Die Nachfolge von Birgit Berlik als Pflegedienstleitung im Evangelischen Wohnstift Raadt übernimmt Renata Grlic. Die 53-Jährige hat bislang als Stationsleitung im Evangelischen Krankenhaus gearbeitet. Das Wohnstift Raadt an der Parsevalstraße 111 feiert sein 40-jähriges Bestehen am 24. Juni mit einem Sommerfest und dem Tag der offnen Tür von 14 bis 18 Uhr. Weitere Informationen: www.wohnstift-raadt.de