Mülheim. Der Mangel an Pflegekräften könnte zum Kollaps des Systems führen. Ein Mülheimer Institut will dem entgegenwirken und bildet viel Nachwuchs aus.
Seit einem guten halben Jahr unterrichtet das Institut für Pflege- und Gesundheitsberufe an seinem neuen Standort in der Mülheimer Parkstadt. Dort ist deutlich mehr Platz für den Pflegenachwuchs. Aktuell lassen sich über 160 junge Menschen zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann ausbilden. Ihre beruflichen Perspektiven sind vielversprechend.
Weil das Aus- und Fortbildungszentrum am St. Marien-Hospital aus allen Nähten platze, ist das Institut für Pflege und Gesundheitsberufe (IPG) unter dem Dach der Contilia-Akademie im Herbst vergangenen Jahres in die Parkstadt auf dem ehemaligen Tegelmann-Areal in Speldorf gezogen. Wo nebenan noch Bauarbeiter werkeln, ist im IPG der Staub auch aus der letzten Ritze gewischt, sind die Räume nicht nur ansprechend eingerichtet, die Wände sind mit farbenfrohen, teils großformatigen Kunstwerken verziert. Die Atmosphäre ist ruhig. Von Schule mit den gängigen Klischees wie versiffte Gänge oder Krach im Klassenzimmer ist man hier weit entfernt. Hinter den Türen wird konzentriert gelernt, Gruppen sitzen zusammen und tauschen sich aus.
„Medizin ist komplexer geworden, die Pflege ist zunehmend akademisiert worden“
Mittlerweile, bilanziert Leiterin Susanne Lehmann, die selbst in den 80er-Jahren in der Pflege begonnen hat, seien rund 35 Prozent der Azubis männlich – Tendenz steigend. Ein entscheidender Grund dafür, davon ist die Leiterin des IPG überzeugt, ist das breite Spektrum der Weiterbildungsmöglichkeiten. Am IPG können sich fertige Pflegefachleute etwa in Intensivpflege und Anästhesie, zur Wundmanagerin oder zum Diabetesassistenten weiterbilden. Mancher, erzählt die Pädagogin, studiere auch berufsbegleitend bereits während der Ausbildung Pflegewissenschaft. Von den derzeit 161 der Azubis gingen aktuell drei diesen Weg, werden dazu vom IPG nicht nur finanziell unterstützt, sondern auch zeitlich, wenn etwa Prüfungen anstünden.
Die Veränderung, die der Pflegeberuf durchlaufen habe, seitdem sie in den 80er-Jahren zur Krankenschwester ausgebildet wurde, sich anschließend zur Lehrerin für Pflegeberufe weiterbildete und schließlich noch Pädagogik studierte, seien immens, sagt Lehmann. Denn für die Medizin gelte: Sie ist deutlich komplexer geworden. Heute sagt die 61-Jährige: „Auch ich muss einiges lernen, um bei unseren Schülern mithalten zu können.“ Dabei denkt die Schulleiterin etwa an die Digitalisierung. Aber auch die Inhalte für die Lernenden seien umfangreich, besonders seitdem die Pflegeausbildung generalisiert worden ist. „Die Pflege ist zunehmend akademisiert worden“, sagt Lehmann.
Pflegeschülerinnen und Pflegeschüler üben in nachgebauten Krankenzimmern
Umso wichtiger findet sie, dass ihre Schützlinge, die sie mit elf weiteren Lehrkräften betreut, in einer angenehmen Aufenthaltsqualität lernen können. Neben den modern ausgestatteten Klassenzimmern legen die angehenden Pflegerinnen und Pfleger in sogenannten Skills-Labs Hand an, echten Krankenzimmern nachempfundene Einheiten mit krankenhaustypischer Ausstattung: Pflegebetten, Infusionsständer samt Beutel, Überwachungsgeräte, selbst Babybettchen stehen bereit. Denn seit der Reform des Berufsbildes 2020 sind die bisherigen Ausbildungen der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege und der Kinderkrankenpflege zusammengeführt.
Die IPG-Leiterin findet das nicht uneingeschränkt gut, sondern bemerkt, kurz bevor der erste Jahrgang im Juli in die Abschlussprüfung geht: „Die Kinderkrankenpflege wird verlieren. In der neuen Ausbildung sind nur 120 Stunden in der Pädiatrie vorgesehen.“ Aus Sicht der langjährigen Pflegepädagogin längst nicht genug, um das komplexe Feld kennenzulernen.
Noch hat das Mülheimer Pflegeinstitut Ausbildungsplätze für dieses Jahr frei
Ausgebildet werden nicht nur die künftigen Pflegekräfte des St. Marien-Hospitals, sondern auch solche von Kooperationspartnern, wie Susanne Lehmann erklärt. Etwa die Azubis der Contilia-Seniorenheime wie dem Franziskushaus, dem Engelbertus-Quartier oder dem Pflegedienst Lindenblüten drücken in der Parkstadt die Schulbank und üben an den Patientenpuppen. Auch solche Schülerinnen und Schüler, die ihre Pflegeausbildung nicht innerhalb der Contilia-Gruppe durchlaufen, sondern etwa bei einem Pflegedienst für außerklinische Intensivpflege Azubis sind, besuchen für den Theorieteil das IPG. Das Institut wirbt etwa auf Ausbildungsmessen für sich – die Konkurrenz um die begehrten künftigen Pflegekräfte ist nicht gerade klein.
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Gern möchte Schulleiterin Lehmann die Anzahl der Azubis noch aufstocken – bis zu 220 Schülerinnen und Schüler will sie im kommenden Jahr begrüßen. Doch dazu braucht sie weiteres Lehrpersonal: „Das ist nicht leicht zu finden.“
Für den Ausbildungsstart im Oktober hat das IPG noch einige Plätze frei. Kontakt: h.luetscher@contilia.de