Mülheim. Wie sieht die Zukunft der Mülheimer FWH aus, sollte der Pachtvertrag nicht verlängert werden? Politiker und Gewerkschafter kamen zum Ortstermin.
Die Friedrich-Wilhelms-Hütte muss bleiben, und zwar genau dort, wo sie ist, an dem Ort, an dem sie seit 1811 steht, auf dem Industriegelände zwischen Friedrich-Ebert-Straße und Ruhr. Das war einhelliger Tenor nach einem Ortstermin mit Abgeordneten aus Land- und Bundestag sowie Vertretern von Gewerkschaften. Um das Auslaufen des Pachtvertrages abzuwenden, das die Schließung der Hütte zur Folge hätte, müssten drastische Maßnahmen erfolgen, forderten Abgeordnete und sprachen auch von Enteignung.
Die Besuchergruppe steht in der riesigen Produktionshalle der Friedrich-Wilhelms-Hütte, Sonnenstrahlen bahnen sich den weiten Weg durch das hohe Glasdach hinab, Staub tanzt im Lichtstrahl, metallischer Geruch liegt in der Luft – und es ist still, mucksmäuschenstill. Keine Maschine wummert, nirgendwo wird gehämmert, nicht ein Arbeiter ist zu sehen, selbst der Schmelzofen ruht. Ist das die Zukunft der FWH? Kein geschäftiges Treiben mehr, keine Produktion an dem geschichtsträchtigen Ort, der seit über 200 Jahren eines der industriellen Zentren Mülheims ist?
Arbeitsplätze stehen in Mülheim auf dem Spiel, wenn Mietvertrag für Hütte ausläuft
Bei diesem Besuch ist der Stillstand dem Sonntag geschuldet, die Belegschaft hat frei. Nicht wenige der Mitarbeitenden aber werden mit ihren Gedanken an ihrem Arbeitsplatz sein, denn dieser steht auf dem Spiel, wenn die Georgsmarienhütte (GMH) Gruppe als Eigentümerin des Firmenareals ihre Erwägung in die Tat umsetzt und den Pachtvertrag für die Produktionsstätte nicht verlängert.
Dann stünde die FWH Stahlguss GmbH vor dem Aus und mit ihr rund 280 Mitarbeiter auf der Straße. Von der Lage vor Ort überzeugten sich am Sonntag auf Einladung des DGB Mülheim neben dem ehemaligen DGB-Bundesvorsitzenden Reiner Hoffmann auch SPD-Bundestagsabgeordneter Sebastian Fiedler, SPD-Landtagsabgeordneter Rodion Bakum, SPD-Landtagsabgeordnete Elisabeth Müller-Witt, CDU-Landtagsabgeordneter Jan Heinisch sowie Filip Fischer, DGB-Stadtverbandsvorsitzender, und Jörg Schlüter, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Mülheim, Essen und Oberhausen. Am Ende ihres Rundgangs werden sie sagen: „Solch ein Betrieb darf nicht wegfallen.“ Schließlich sei er zur systemrelevanten Infrastruktur zu zählen durch das, was er produziert.
Mülheimer Hütte produziert Teile für Panzer, Windräder, die Bahn und den Bergbau
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Stähle von höchsten Güten stellen sie bei der FWH Stahlguss GmbH her, etwa für die Panzerproduktion, aber auch für die Öl- und Gas-Industrie sowie für den Bereich der erneuerbaren Energien, denn auch Windräder kommen ohne Gussteile nicht aus, sagte Lars Steinheider, Geschäftsführer der FWH Stahlguss GmbH. Zu je einem Drittel fuße das Werk auf der Produktion für Wehrtechnik, Öl und Gas sowie anderen Bereichen wie Bahn und Bergbau. Die Auftragsbücher seien voll, verkündete Geschäftsführer Steinheider, die Projekte reichten „bis weit in die nächste Dekade“.
Zurückzuführen sei das auch, wenn auch nicht ausschließlich, auf die gestiegene Nachfrage bei der Wehrtechnik – denn seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine kommt der Aufrüstung wieder eine gestiegene Bedeutung zu. Erst vor Kurzem war der Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann (KMW) in die FWH Stahlguss GmbH eingestiegen und hält nun 80 Prozent der Geschäftsanteile. Die Mehrheitsbeteiligung von KMW sei ein klares Bekenntnis zu Mülheim. „KMW sichert den Standort finanziell ab“, so Steinheider.
Politiker und Gewerkschafter mahnen: Keine Luftschlösser bauen, sondern FWH retten
Umso größer sei das Unverständnis über die Äußerung von Anne-Marie Großmann, Geschäftsführerin der Georgsmarienhütte (GMH) Gruppe, die Eigentümerin des Firmenareals ist. Sie hatte bei einer Bürgerversammlung zu Planungen für Mülheim-West erwähnt, dass der Pachtvertrag für die Produktionsstätte möglicherweise nicht verlängert wird, da sich das Entwicklungsgebiet von Industrie lösen und sich zu einem urbanen Quartier entwickeln solle.
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„Das ist hier ein lebendiges Beispiel für industrielle Wertschöpfung. Wenn man das aufgibt, droht Deindustrialisierung“, mahnte der ehemalige DGB-Bundesvorsitzende Reiner Hoffmann. Sein Gewerkschaftskollege Filip Fischer, Mülheims DGB-Stadtverbandsvorsitzender, regte daher an, kommunalpolitisch auf die Eigentümerin zuzugehen, um die Hütte am Standort zu erhalten, und mit Blick auf die Überplanung des gesamten Areals „keine Luftschlösser mit Fahrradwegen an der Ruhr zu bauen“. Knackpunkt sei das Bebauungsplanverfahren, mit dem die Stadt industrielle Nutzung festlegen und einer Wohnbebauung den Riegel vorschieben könne.
Mülheimer Hütte zählt wegen Wehrtechnik zur kritischen Infrastruktur
Wie die Stadt Mülheim sich denn zu der Frage aufstelle, wollte SPD-Landtagsabgeordnete Elisabeth Müller-Witt wissen: „Gibt es da ein klares Bekenntnis zur Hütte oder andere Träume zusammen mit der Georgsmarienhütte?“ SPD-Landtagsabgeordneter Rodion Bakum erinnerte an die Entstehungszeit des „Letters of Intent“ (Anm. d. Red.: Absichtserklärung) zur Planung von Mülheim-West, der in etwa zeitgleich mit der Schließung des Bereichs Eisenguss bei der FWH aufgesetzt wurde: „Damals haben manche schon den Abgesang auf die FWH angestimmt, einige haben auch schon über Wohnungsbau gesprochen.“ Doch auch Bakum betonte: „Hier kann die Georgsmarienhütte nichts bauen, wenn die Kommunalpolitik nicht mitmacht.“
Nicht nur kommunal, sondern global dachte SPD-Bundestagsabgeordneter Sebastian Fiedler, der wissen wollte: „Hat Pistorius ein Problem, wenn hier nach dem Ende des Mietvertrages die Lichter ausgehen? Gehört die Hütte zur kritischen Infrastruktur?“ Genau das sei der Fall, sagte FWH-Chef Steinheider. „So ist es mit dem Bundesverteidigungsministerium kommuniziert.“ Wenn der Bundeswehr Engpässe drohten, sobald die FWH nicht mehr produzieren könne, wäre man rein technisch bei der Frage der Enteignung, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete. „Dafür müsste man ein Gesetz schaffen“, dachte Fiedler groß.
FWH Stahlguss GmbH nutzt nur Teil des Areals, Brachfläche könnte entwickelt werden
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Zu groß sei indes die Überlegung, die Hütte umzulagern auf das freiwerdende Vallourec-Areal. Eine Produktionsverlagerung sei völlig unrealistisch, betonte Steinheider. Zudem würde das Industriegelände, das die FWH seit über 200 Jahren nutzt, sicher nicht ohne Altlasten zurückbleiben, mutmaßt CDU-Landtagsabgeordneter Jan Heinisch.
Nichts einzuwenden sei hingegen gegen die Entwicklung von brachliegender Fläche, lenkte FWH-Betriebsrat Götz Lemler ein, und auch der FWH-Chef machte deutlich: „Wir haben derzeit 85.000 Quadratmeter von insgesamt 220.000 Quadratmetern angemietet.“ Das genüge selbst für die angepeilte Expansion und den Ausbau des Personals von derzeit 280 auf bis zu 400 Mitarbeiter bis Mitte 2024.
In Kürze, kündigte Steinheider an, sei ein Gespräch anberaumt zwischen Mehrheitseigner KMW und Grundstückseigentümerin GMH Gruppe – dessen Ausgang dürfte nicht nur die Hütten-Belegschaft entgegenfiebern.