Mülheim. Ein Historiker (39) mit Kind, eine junge Frau, die ihren Willen durchsetzt: Beide sind Azubis in Mülheimer Kitas. Stadt sucht weitere Bewerber.

Bei Gereon Steeger kam zuerst das eigene Kind, dann die Entscheidung: Im August 2019 wurde sein Sohn geboren, zwei Jahre später startete der junge Vater seine Ausbildung zum Erzieher in der städtischen Kita Sterntaler in Mülheim-Saarn. Er wagte einen neuen Weg.

Der 39-Jährige ist studierter Historiker, kam von Trier ins Ruhrgebiet und hoffte lange auf eine Anstellung, die seiner Qualifikation entsprach. Vergeblich. Steeger verdiente Geld in einem Callcenter, wurde Teammanager, doch berufliche Erfüllung fand er dort nicht. „Ich habe mich dann selber gefragt: Willst du das wirklich für den Rest deines Lebens machen?“

Mülheimer (39) begann Erzieher-Ausbildung nach der Geburt seines Sohnes

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Die Idee, sich zum Erzieher ausbilden zu lassen, sei in ihm selber gewachsen, sagt Gereon Steeger. „Ich konnte schon immer gut mit Kindern. Die Geburt meines eigenen Sohnes hat die Entscheidung beflügelt. Ich möchte etwas mit Menschen machen, nicht nur für den Profit.“ Er machte ein Praktikum in einer Heißener Kita und bekam 2021 die Zusage der Stadt Mülheim für eine Praxisintegrierte Ausbildung (PiA).

Lena Arnolds ist deutlich früher abgebogen – nach zwölf Schuljahren. Ein Projektkurs führte die ehemalige Gesamtschülerin in eine Kita auf der Heimaterde. 90 Minuten pro Woche sollte sie dort mitarbeiten, meist blieb sie länger. Die heute 20-Jährige fasste den Entschluss, auf das Abitur zu verzichten und stattdessen Bundesfreiwilligendienst in einer Kita zu leisten. Sie erklärt: „Das war schon immer mein Wunsch. Ich habe mich gegen alle gestellt.“ Der Gegenwind vor allem aus der Familie sei heftig gewesen, das Argument: „Mit Abitur kannst du doch alles erreichen ...“ Lena Arnolds ist jetzt mit Fachabitur im zweiten Ausbildungsjahr in der Dümptener Kita Sausewind. Sie sagt: „Studieren kann ich immer noch.“

Lena Arnolds (20), hier mit dem fünfjährigen Michael, ist seit 2021 in der Ausbildung zur Erzieherin. Sie hat die Gesamtschule mit Fachabitur verlassen. Ihre Familie hätte es lieber gesehen, wenn sie Abitur macht.
Lena Arnolds (20), hier mit dem fünfjährigen Michael, ist seit 2021 in der Ausbildung zur Erzieherin. Sie hat die Gesamtschule mit Fachabitur verlassen. Ihre Familie hätte es lieber gesehen, wenn sie Abitur macht. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

So unterschiedlich ihre Beweggründe sind, so haben Lena Arnolds und Gereon Steeger auch einiges gemeinsam. Sie lieben ihre Arbeit. Sie schätzen das unverblümte Feedback, das die kleinen Kinder ihnen geben. „Man bekommt direkt eine Rückmeldung von ihnen und merkt ganz schnell, ob sie einem vertrauen.“ Lena Arnolds ergänzt: „Ich lerne auch selber ganz viel von den Kindern.“

Menschen wie sie und Gereon Steeger sind wertvoll für die Stadt Mülheim, aber schwer zu gewinnen. Kein Wunder, stehen im öffentlichen Blickpunkt doch meist die Belastungen, die der Beruf Erzieher/in mit sich bringt, die personellen Engpässe.

Stadt Mülheim schafft jährlich zehn neue Ausbildungsplätze in Kitas

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Die Stadt Mülheim will die Ausbildung forcieren – 36 der insgesamt 90 Mülheimer Kitas sind in städtischer Trägerschaft. Jährlich werden hier zehn neue Ausbildungsplätze eingerichtet, nach dem praxisintegrierten Modell (PiA), das der dualen Ausbildung in anderen Berufen ähnelt. Die Nachwuchskräfte sind bei einer Kita fest angestellt und absolvieren wöchentlich drei Schultage am Berufskolleg Stadtmitte.

Im Gegensatz zum klassischen Ausbildungsweg – drei Jahre schulische Ausbildung, ein Jahr Berufspraktikum – gibt es sofort eine Ausbildungsvergütung, beginnend bei 1190 Euro. Ein wichtiger Pluspunkt für Quereinsteiger wie Gereon Steeger. Und von einer Übernahme nach geglückter Abschlussprüfung können die Nachwuchskräfte ausgehen.

Zu wenige Bewerbungen – Frist wurde verlängert

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Dennoch wird die Stadt nicht mit Bewerbungen überhäuft. Im Gegenteil. Vier Ausbildungsplätze zum 1. August 2023 sind aktuell noch zu vergeben. Erschwerend kommt hinzu, dass im Laufe der Ausbildung immer wieder Leute verloren gehen. Marc Heiderhoff, Abteilungsleiter im Amt für Kinder, Jugend und Schule, nennt beispielhaft den Ausbildungsjahrgang 2021: „Zehn haben wir angenommen, neun kamen, zwei haben die Ausbildung mittlerweile abgebrochen.“ Bleiben sieben Nachwuchskräfte.

Sie werben für die Ausbildung als Erzieherin oder Erzieher: (v.re.) Mülheims Stadtdirektor und Jugenddezernent David Lüngen, Jennifer Schembri (Leiterin der Kita Sterntaler) und Marc Heiderhoff (Abteilungsleiter im Amt für Kinder, Jugend und Schule).
Sie werben für die Ausbildung als Erzieherin oder Erzieher: (v.re.) Mülheims Stadtdirektor und Jugenddezernent David Lüngen, Jennifer Schembri (Leiterin der Kita Sterntaler) und Marc Heiderhoff (Abteilungsleiter im Amt für Kinder, Jugend und Schule). © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Auf Dauer sei das sicher zu wenig, sagt David Lüngen, Dezernent für Schule, Jugend und Integration. Er blickt in die nahe Zukunft, wenn viele aus der Generation „Babyboomer“ das Rentenalter erreichen, auch im Erziehungssektor. „Da liegen wir mit zehn neuen Ausbildungsplätzen schon richtig.“ Eher müssten es noch mehr sein, so Lüngen, „denn wir brauchen Erzieherinnen und Erzieher beispielsweise auch für den Bereich OGS“. Zumal ab 2026 schrittweise ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder eingeführt werden soll. Ziel sei daher, in jeder der 36 städtischen Kitas mindestens einen Ausbildungsplatz vorzuhalten, sagt David Lüngen. Die Perspektiven seien vor dem Hintergrund des Generationswechsels günstig, auch die Aussicht, vergleichsweise schnell eine Leitungsfunktion übernehmen zu können.

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Personal in Mülheimer Kitas knapp, aber: „Noch keine riesigen Probleme“

Zur aktuellen Personalsituation in den städtischen Kitas erklärt der Dezernent, momentan gebe es in Mülheim „noch keine riesigen Probleme“, freie Stellen zu besetzen. Dass Betreuungszeiten gekürzt werden mussten, weil Personal fehlt, sei erst ein einziges Mal vorgekommen: in der Kita KiKuKinderland, Einrichtung eines privaten Trägers. Abteilungsleiter Marc Heiderhoff beschreibt die Situation so: Die Mindestpersonalstärke sei bisher glücklicherweise immer gegeben, „wenn es aber über ,sicher, sauber, satt’ hinausgeht, wird es knapp“. Besonders, wenn ein hoher Krankenstand die Teams schwächt. Dann könnten Angebote wie Sprachförderung teilweise nicht mehr geleistet werden.

Der angehende Erzieher Gereon Steeger sagt: „Ich bin wirklich glücklich mit meiner Berufswahl, aber es ist auch anstrengend. Vor allem, wenn man selber ein kleines Kind zu Hause hat.“ Sein persönlicher Background als Historiker sei in der Kita noch nicht zum Tragen gekommen, wohl aber sein Hobby: Live-Action-Rollenspiele. Als er einmal in Wikingerrüstung zur Arbeit kam, war die Begeisterung groß.

Für die Praxisintegrierte Ausbildung zum Erzieher / zur Erzieherin hat die Stadt Mülheim aktuell noch vier Stellen zu vergeben. Bewerbungen sind nur online möglich, bis einschließlich 14. Mai. Voraussetzungen und alle Infos findet man auf der Homepage der Stadt Mülheim, Suchwort: „Ausbildung Erzieher“.