Mülheim. Mülheim-West ist ein Megaprojekt: Die erste öffentliche Debatte dazu geriet nun zum Aufreger: Hat die Friedrich-Wilhelms-Hütte keine Zukunft?
Wird ein traditionsreicher Industriestandort an Mülheims Ruhr in absehbarer Zukunft komplett aufgegeben? Bei einer Bürgerveranstaltung zum Megaprojekt „Mülheim-West“ der Stadtentwicklung wurden große Sorgen laut, dass die traditionsreiche Friedrich-Wilhelms-Hütte ihr Feld bald gänzlich räumen könnte.
Auf Einladung der Stadtverwaltung waren Bürgerinnen und Bürger am Montagabend in einer der traditionsreichen alten Produktionshallen der Hütte an der Friedrich-Ebert-Straße zusammengekommen. Dort stellten Stadtplaner erste Überlegungen vor für eine städtebauliche Entwicklung zwischen den Ruhrbania-Baufeldern 3 und 4 in der Innenstadt und den Flächen von Aldi Süd und RWW in Styrum.
Mülheim West: Eigentümer haben sich auf drei Optionen zur Entwicklung verständigt
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Welche Nutzungen da in drei mit den Grundeigentümern abgestimmten Szenarien auf den alten Industriearealen entlang der Ruhr skizziert wurden, ließ anwesende Beschäftigte der Hütte, namentlich der FWH Stahlguss GmbH, fassungslos zurück. In einem der drei zur Debatte stehenden Szenarien ist von einem Hüttenbetrieb keine Rede mehr. Nur mit einem dieser Szenarien wollen die Projektbeteiligten mit dem Segen der Politik im Frühsommer in einen städtebaulichen Wettbewerb starten.
Für Aufregung hatte die Gastgeberin der Veranstaltung gleich zu Beginn gesorgt: Anne-Marie Großmann, Geschäftsführerin der Georgsmarienhütte (GMH) Gruppe. Das Unternehmen hatte vor Jahren zwar die ins Trudeln geratene Friedrich-Wilhelms-Gruppe mit ihrer nunmehr 212 Jahre währenden Geschichte abgestoßen, nicht aber ihr Grundstück an Mülheims Ruhr.
Grundeigentümerin sieht keine langfristige Perspektive für den Verbleib der Hütte
Bekanntlich hat die GMH Gruppe wie Thyssenkrupp Schulte, Aldi Süd, RWW und die Stadt ihren Grund und Boden in das Stadtentwicklungsprojekt „Mülheim West“ eingespielt – und Großmann ließ nun aufhorchen: Nach jahrhundertelanger industrieller Produktion solle sich das 39 Hektar große Entwicklungsgebiet von Produktionsstätten lösen und sich zu einem urbanen Quartier entwickeln, als „natürliche Fortführung der Stadtmitte“, sagte sie in ihrer Ansprache. Nicht mit einem Wort erwähnte Großmann dabei, dass der auf rund 300 Beschäftigte geschrumpfte Stahlguss-Rest der einst so stolzen Hütte auf lange Sicht an seiner Wiege verbleiben könnte.
Mehr noch: Es gebe „keine langfristige Perspektive hier am Standort, so wie er ist“, sagte die Geschäftsführerin der Grundstückseigentümerin. Auf Nachfrage dieser Redaktion sagte Großmann nach der Veranstaltung, dass ein Pachtvertrag für die FWH Stahlguss GmbH nicht verlängert worden sei. Er laufe zwar „noch einige Jahre, aber auch keine 20 Jahre mehr“.
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Großmann zur Grundstücksvermarktung: „Es muss sich lohnen“
Für die GMH Gruppe als Grundstückseigentümerin skizzierte Großmann derweil eine städtebauliche Entwicklung vor Ort, die die Schwerindustrie in die Geschichtsbücher verdrängt, die vor Ort einzig noch prägende, denkmalwerte Gebäude als Zeugen der Mülheimer Industrialisierung in ein neues urbanes Quartier integriert. Technologieunternehmen und andere Mülheimer Unternehmen sollten sich ansiedeln, so schwebt es Großmann vor. Auf altem Industrieterrain aber solche, die sich mit der direkten Nachbarschaft von Bildung, Kultur, Events, Gastro und, ja, auch Wohnen vertrügen.
Im neuen Quartier auch Wohnraum zu schaffen, sei wichtig, um es auch fernab der Betriebsamkeit ansiedelnder Unternehmen „erlebbar und sichtbar“ zu machen, so Großmann, die nicht verschwieg, dass es für ihre GMH Gruppe eben auch „entscheidend ist, dass es nachhaltig wirtschaftlich ist“. Übersetzt heißt das wohl: Auf die Entwicklung von Wohnraum auf ihrem Grundstück pocht die GMH Gruppe schon deshalb, weil sich damit die höchsten Erlöse erzielen lassen. „Es muss sich lohnen“, so die Gruppengeschäftsführerin.
Betriebsrat der Mülheimer Hütte fassungslos: „Da wird mir angst und bange“
Großmanns Äußerungen ließen am Montagabend im Auditorium Empörung keimen. „Da wird mir angst und bange“, sagte Götz Lemler vom Stahlguss-Betriebsrat. „Die Diskussion sorgt bei uns für größte Aufregung und Unsicherheit bei den Beschäftigten.“ Mahnende Worte richtete er an OB Marc Buchholz, der krankheitsbedingt nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnte. Mache sich die Stadt zur Erfüllungsgehilfin für Pläne, Industriearbeitsplätze zu verdrängen, wäre dies „ein Skandal“. Über eine Entwicklung von Mülheim-West ohne Stahlguss lasse sich nur reden, „wenn wir den Laden woanders eins zu eins wieder aufbauen“.
Mülheims Planungsdezernent und Chef-Wirtschaftsförderer Felix Blasch versuchte, das Feuer unter dem Hallendach einzudämmen. Nicht die Stadt habe die unternehmerischen Entscheidungen der Vergangenheit getroffen, die Hütte klein zu schrumpfen. Als Städteplaner müsse man sich nun aber den Realitäten stellen. Und da sei festzustellen, dass auf den Arealen an der Ruhr kaum mehr neue Schwerindustrie anzusiedeln sei – wegen mangelnder Nachfrage einerseits, andererseits aber auch wegen Entwicklungen im Baurecht, die Neuansiedlungen mit all den Belastungen, die Industrie für die Nachbarschaft bedeute, unmöglich machten. Am Tag nach der Veranstaltung stellte Blasch klar, „dass wir als Stadt nicht darauf hinarbeiten, dass die Hütte dort wegmuss“. Ziel sei vielmehr, den Hightech-Betrieb zu halten und brachliegende Flächen ringsum für Gewerbe zu erschließen. Die Frage allerdings, ob es zur Pachtverlängerung für die Hütte komme, sei „allein im Binnenverhältnis zu klären“ zwischen GMH Gruppe und Stahlguss-Betrieb.
Stahlguss GmbH führt wohl schwierige Verhandlungen zur Pachtverlängerung
Zur Aufregung des Vorabends bezog die Geschäftsführung der FWH Stahlguss GmbH um Lars Steinheider und Nicolas Neumann am Dienstagmorgen auf Anfrage dieser Redaktion deutlich Stellung. Der Stahlguss plane eine Weiterführung der Produktion am Standort auch über den Zeitpunkt hinaus, wenn der aktuelle Pachtvertrag auslaufe. Auf die Frage, ob die GMH Gruppe sich als Grundstückseigentümerin einer Vertragsverlängerung versperre, antwortete die Stahlguss-Geschäftsführung nicht. „Über laufende Verhandlungen geben wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Auskünfte“, hieß es dazu nur.
Sollte keine Pachtverlängerung möglich werden, ist unklar, was geschieht. Eine Produktionsverlagerung des Betriebs sei „zurzeit nicht konkret beabsichtigt“, schloss die Geschäftsführung diese Option allerdings nicht aus. In der jüngeren Vergangenheit verlautete immer mal wieder aus informierten Kreisen, Stadt und auch Hütte könnten das Vallourec-Gelände als Alternativstandort im Auge haben.
Hütten-Betreiber plant Aufbau von weiteren 100 Arbeitsplätzen am Standort
Erst kürzlich war der Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann (KMW) bei der FWH Stahlguss GmbH eingestiegen, hatte 80 Prozent der Gesellschafteranteile übernommen. Nur 20 Prozent verblieben beim strategischen Finanzinvestor CE Capital. Die Hütten-Geschäftsführung ließ am Dienstag verlauten, dass man den eingeschlagenen Wachstumskurs „konsequent weiterverfolgt“. Seit der Übernahme durch CE Capital seien bereits 50 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Der Aufbau von weiteren 100 Arbeitsplätzen sei für die nächsten zwei Jahre geplant. Mit der Mehrheitsbeteiligung durch KMW sei „eine Zukunftsperspektive weit über das Jahr 2027 gegeben“.
Mülheims Politik, die in wenigen Monaten die Vorgaben für den städtebaulichen Wettbewerb für „Mülheim-West“ fixieren und damit auch zur Zukunft der Industrie vor Ort eine Vorentscheidung treffen soll, schrieb die Stahlguss-Geschäftsführung ins Stammbuch: „Wir halten für den Standort eine Lösung, die sowohl eine städtebauliche Weiterentwicklung wie auch den langfristigen Erhalt der FWH Stahlguss GmbH ermöglicht, für gut darstellbar.“