Mülheim. Politisch hat Mülheims Rat das Ende des Kahlenbergastes für die Straßenbahnlinie 104 besiegelt. Warum ein Gelsenkirchener noch dagegen kämpft.
Politisch beschlossen ist das Ende des Kahlenbergastes für die Straßenbahnlinie 104 zwar spätestens mit der Ratssitzung im Dezember. Doch so ganz verhallt ist der Groll um die voraussichtliche Beschneidung der klimafreundlichen und in der Vergangenheit stark geförderten Schiene nicht. Und auch der Beschluss bietet eine Hintertür. Im Raum stehen die mögliche Rückzahlung von Fördermitteln in Millionenhöhe sowie wenigstens noch eine Beschwerde beim Petitionsausschuss des Landtags. Kurios ist nur: Beschwert hat sich ein Gelsenkirchener.
Rolf Brandel – so der Name des Beschwerdeführers aus der Nachbarschaft – ist nach eigenen Angaben allerdings häufig in Mülheim mit der Linie unterwegs und entsprechend von der Kappung betroffen. Was den Gelsenkirchener Pendler am meisten ärgert, ist nicht nur die einhergehende Verschlechterung auf der Strecke – denn im Gegensatz zu der viertel- bis halbstündlich fahrenden Bahn, sieht der Liniensteckbrief der ersetzenden Buslinie 130 bislang eine Taktung von 30 und 60 Minuten vor.
Beschwerdeführer: Betroffen von Mülheimer Kürzung sind Steuerzahler in ganz NRW
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„Betroffen sind aber auch alle Steuerzahler in ganz NRW, die mit ihren Steuergeldern die Umbaumaßnahmen unter anderem am Oppspring mitfinanziert haben, während in ihren Kommunen ÖPNV-Projekte zurückgestellt wurden“, kritisiert der Gelsenkirchener darüber hinaus.
Und die nun mitansehen müssen, wie eben an dieser Stelle ein geförderter Nahverkehr durch einen womöglich minderwertigeren ersetzt würde – aus Brandels Sicht eine Steuerverschwendung. „Wenn Mülheim also unbedingt die Straßenbahn aufgeben will, muss es auch die Fördermittel zurückgeben, das will ich mit meiner Petition erreichen“, sagt der Gelsenkirchener.
So rechnet die Ruhrbahn die Kürzung wirtschaftlich
Doch wie einfach ist die Abwägung? In einer Stellungnahme zum Kahlenbergast im Mobilitätsausschuss hatte die Ruhrbahn ihre Berechnungen dargelegt: Demnach würde die Einsparung der Bahn zwar kurzfristig eher zu weiteren Kosten von vier Millionen Euro führen, um die Wertgasse zur Endhaltestelle aus- und die Infrastruktur auf der Strecke abzureißen. Dafür aber spare man künftig rund eine Million Euro jährlich ein.
Eine Weiterführung der Strecke würde dagegen mittelfristig etwa 15 Millionen Euro an Investitionen kosten. „Insgesamt bringt der Weiterbetrieb der Schiene einen um rund 10,6 Millionen Euro höheren Investitionsbedarf im Vergleich zum Betriebszweigwechsel mit sich“, so das wirtschaftliche Rechenergebnis der Ruhrbahn. Und sparte somit auch Steuermittel, mit denen ein Nahverkehr finanziert wird. Dem folgte auch die Politik weitgehend, weil sich allein so schon gut eine weitere Million Euro für den Haushalt sparen ließe – auf dem Papier.
So gibt es manche Fallstricke in der Rechnung, die noch nicht ausgeräumt sind. Da wäre zum einen die ungeklärte Höhe der Rückzahlung von Fördermitteln an das Land. Laut Ruhrbahn soll sie 500.000 Euro betragen. Dazu seien Gespräche mit der Bezirksregierung Düsseldorf geführt worden.
Bezirksregierung stellt klar: Es gibt keine Vereinbarung mit der Ruhrbahn
Bislang aber hatte die Bezirksregierung Düsseldorf einen möglichen Rückforderungsbetrag sogar von bis zu 17,2 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Denn in diesem Abschnitt wurden Fördermittel zum Ausbau der Straße bewilligt, der mit der Stilllegung der Straßenbahnlinie erneut umgeplant werden müsste.
Feste Vereinbarungen mit der Ruhrbahn oder der Stadtverwaltung auf eine geringere Rückforderung habe es keinesfalls gegeben – das stellt die Bezirksregierung auf Anfrage der Redaktion mit Nachdruck klar. Denn die Debatte um den Kahlenbergast hatten auch Spekulationen um den ehemaligen Hauptdezernenten im Verkehrsdezernat der Bezirksregierung, Matthias Vollstedt, begleitet. Dieser sei als harter Verfechter der Straßenbahn bekannt gewesen. Erst seine Versetzung soll den Weg frei gemacht haben für einen gemäßigten Kurs bei der Rückforderung von Fördermitteln.
So hoch ist das Risiko für eine Rückforderung von Fördermitteln
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Vom Tisch ist das Risiko jedoch nicht, dass die kalkulierten Einsparungen der Ruhrbahn weit geringerer ausfallen: Die Bezirksregierung räumt zwar ein, dass überschlägige Berechnungen aufgrund der von Ruhrbahn und Stadt vorgestellten Planungsentwürfe einen deutlich geringeren Betrag von einer halben Millionen Euro ergeben hätten. Das klingt milder als noch vor rund zwei Jahren: Zwischenzeitlich kündigte sich sogar ein Rechtsstreit an, weil die Bezirksregierung die Teilstilllegung zwischen Oppspring und Wertgasse ablehnte. Doch die abschließende Festsetzung der Rückforderungssumme behält sie sich für den Zeitpunkt vor, wenn die Umsetzung der Baumaßnahmen auch erfolgt sei.
Und auch von einer weiteren Seite wären Rückforderungen möglich: für die Erneuerungsmaßnahme am Oppspring. Der ÖPNV-Knotenpunkt ist mit Fördermitteln des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) saniert worden, insbesondere für die Barrierefreiheit beider Straßenbahnenlinien 104 und 112 sowie zur besseren Leistungsfähigkeit der Straßenbahnlinien.
Das Vorhaben werde noch abgerechnet, teilt der VRR auf Anfrage mit, über die mögliche Höhe will er keine Aussage treffen. Und ergänzt: Die Kosten für den Abzweig in den Kahlenbergast werden aber nicht gefördert.
Grüne betonen: Aus für Kahlenbergast nur dann, wenn es wirtschaftlich ist
Für den Grünen Vorsitzenden des Mülheimer Mobilitätsausschusses, Timo Spors, muss dieses Risiko im Vorfeld geklärt werden: „Wir haben im Rat beschlossen, dass der Kahlenbergast nur dann eingestellt wird, wenn es auch wirtschaftlich ist.“ Düsseldorf müsse deshalb eine klare Ansage machen, ob die vorliegenden Pläne ihre Anforderungen auch erfüllen: „Ich bin da entspannt. Es ist schließlich die gleiche Bezirksregierung, die von Mülheim fordert, im Haushalt einzusparen.“ Sprich: Düsseldorf müsste Interesse haben, die Unklarheit im Vorfeld aufzuklären, um den Mülheimer Haushaltsplan nicht in Bedrängnis zu bringen.
Wenn sich das Delta zwischen Einsparung und Rückforderung jedoch unwirtschaftlich würde, sei auch der politische Beschluss hinfällig, so Spors. Dann könnte auch der Kahlenbergast fortbestehen. Als wahrscheinlich gelte das aber nicht.
Kann der Bus eine Straßenbahn ersetzen?
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Der zweite Fallstrick lauert in der Frage, ob die noch bis 2027 laufende Konzession für den Betrieb der Straßenbahn mit einem Bus erfüllt werden kann. Spors erwartet auch hier von der Bezirksregierung eine klare Bewertung, ob denn der Verkehrswert der Strecke mit einer Buslinie 130 gleich bleibe.
Spors geht davon aus, dass die Ruhrbahn hier Zugeständnisse etwa beim Takt machen und die Strecke ebenfalls im 15-Minuten-Takt bedienen wird. „Derzeit ist man noch in der Feinplanung, es muss aber gleichwertig sein.“ Als Plus könnte ebenso die für die künftigen Bushaltestellen geplante Barrierefreiheit gegenüber der jetzigen Straßenbahnhaltestellen gewertet werden sowie die neue Direktverbindung zum Hauptbahnhof. Spors: „Die Entscheidung, ob sich die Förderung gelohnt hat, muss aber die Bezirksregierung selbst treffen.“
Für den Gelsenkirchener Kritiker Rolf Brandel ist das mit einer einfachen Gegenüberstellung von Kosten indes nicht zu beantworten: „Die Entscheidung, die Straßenbahn aufzugeben, darf sich wirtschaftlich nicht rechnen.“