Mülheim. Zur Teilstilllegung der Mülheimer Straßenbahn 104 waren die Gespräche festgefahren. Ein neuer Anlauf ist geplant. Wer übernimmt Verantwortung?

Das Rangeln um den Fortbestand der Straßenbahn-Linie 104 nimmt kein Ende. Vor einigen Monaten standen Ruhrbahn und Stadtverwaltung auf der einen sowie Regierungspräsidium Düsseldorf auf der anderen Seite kurz vor den Schranken des Gerichts. Nun wollen beide Parteien wieder miteinander reden.

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Gegenstand der Gespräche bleibt weiterhin: Wie können der Verkehrsbetrieb und die Stadt sich vom Kahlenbergast der Linie 104 trennen, ohne Fördergelder an das Land zurückzahlen zu müssen ? Die Ruhrbahn nennt das „Verlustabwendung“. Der Landesrechnungshof bezeichnet es als „nicht hinnehmbare Steuergeldverschwendung“. Bleibt die Frage: Auf welche Summe einigen sich beide Seiten und wer übernimmt dafür die Verantwortung. Eine Erlaubnis zur Geldvernichtung können nur die Regierungspräsidentin oder der NRW-Verkehrsminister unterschreiben.

Nach wie vor geht es um einen Betrag von rund 20 Millionen Euro, den das Regierungspräsidium und der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) zurückfordern müssen, wenn auf der mit Fördermitteln finanzierten Strecke oder auf Teilabschnitten vor Ablauf der Bindungsfrist von 30 Jahren der Straßenbahnbetrieb eingestellt wird. Die Fördergesetze regeln das eindeutig.

Zu wenig Fahrgäste steigen in die Straßenbahn

Nahtstelle Mülheim

Der Streckenbau auf den Kahlenberg begann am Wilhelmplatz; die Strecke bis zur Dimbeck wurde am 20. Dezember 1911 eröffnet . Während der nächsten 16 Jahre baute die Mülheimer Straßenbahn ihren Schienenstrang neben der Zeppelinstraße in Etappen bis zum Flughafen aus. Am 23. November 1927 holte die erste Straßenbahn dort Fahrgäste. Gleichzeitig wurde die Gleislücke zwischen Dimbeck und Werdener Weg geschlossen.

Am 2. April 2012 legte die Mülheimer Verkehrsgesellschaft den Flughafenast illegal still. Sie weigerte sich, die notwendige Instandsetzung zu bezahlen. Die Aufsichtsbehörde sah tatenlos zu. Die Konzession für den Straßenbahnbetrieb auf dem Kahlenbergast läuft 2027 aus . Dann soll für sie spätestens Schluss sein. Immer noch in der Stilllegungsdebatte schwebt ein Kappen der Linie 901 . Dann verlöre das Ruhrgebiet sein zusammenhängendes Schiennetz.

Ruhrbahn und Stadt zweifeln an dieser Gesetzeskraft. Sie wollen die „verlustreiche Straßenbahn mit zu wenigen Fahrgästen“ auf dem Kahlenbergast baldmöglichst stilllegen. Busse sollen statt ihrer über Kamp- und Bismarckstraße schaukeln. Das bringe jährlich 800.000 Euro weniger Verlust, stützt sich der Verkehrsbetrieb auf ein Schienenverkehrsgutachten der Gutachter VCDB (Dresden) und BbA (Hamburg).

Beide Parteien haben auch unterschiedliche Auffassungen darüber, wie groß die jährliche Verschleißabschreibung der Straßenbahnanlagen ist und was das Ausbauen von Schienen und Oberleitung sowie der Straßenneubau kosten. Stadt und Ruhrbahn kommen da auf einen Betrag, der kaum niedriger liegt als der vom Land gezahlte Förderzuschuss. Seit drei Jahren haben alle Beteiligten keine Einigung erzielt.

Unterschiedliche Rechtsauffassungen ausräumen

Die vom Regierungspräsidium verlangte reale Wirtschaftlichkeitsberechnung haben Ruhrbahn und Stadt bis heute nicht bei der Aufsichtsbehörde vorgelegt. „Wir wissen, wie hoch die jährlichen Verluste des Straßenbahnbetriebes sind. Die anderen Kosten kennen wir auch und wir müssen sparen“, sagt Verkehrsdezernent Peter Vermeulen.

Es gehe darum, „die unterschiedlichen Rechtsauffassungen auszuräumen und Kosten gegeneinander zu verrechnen“. Der Verkehrsnutzen des Kahlenbergastes erschließe sich nicht. Daher werde die Verwaltung auch „weiter so arbeiten“, um den Ast auf Busse umzustellen.

Klärung bei Gericht hätte Klarheit gebracht

„Ich hätte die Sache gern bei Gericht geklärt“ , hatte sich dazu im Oktober Kämmerer Frank Mendack auf Nachfrage dieser Zeitung klar positioniert. „Solch ein Urteil hätte die Sache klar geregelt und auch für andere Kommunen richtungsweisend sein können.“ Ob die bereits bestellten Anwälte ihr Mandat mit Argumenten füllen müssen, ist zurzeit wieder offen.

„Die Bezirksregierung Düsseldorf prüft die Stilllegung des sogenannten Kahlenbergastes der Linie 104 und eine mit einer Stilllegung verbundene Rückforderung von Fördermitteln im Rahmen des laufenden Widerspruchsverfahrens. Zwecks Fortführung der im Sommer begonnenen Gespräche wird die Bezirksregierung erneut auf die Stadt Mülheim an der Ruhr zugehen.“ So lautet die schwammige, abgestimmte, Antwort der Behördensprecherin Beatrix Van Vlodrop auf neun Fragen dieser Redaktion.

Den Bau des Umsteigeknotens am Hauptfriedhof haben Ruhrbahn und Stadt bis heute verzögert, obwohl die genehmigten Pläne vorliegen. Er wäre unnötig, wenn Busse die Straßenbahn ersetzen.
Den Bau des Umsteigeknotens am Hauptfriedhof haben Ruhrbahn und Stadt bis heute verzögert, obwohl die genehmigten Pläne vorliegen. Er wäre unnötig, wenn Busse die Straßenbahn ersetzen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Aufsichtsbehörde lässt Fragen unbeantwortet

Auf Fragen der SPD-Fraktion im Mobilitätsausschuss antwortete Peter Vermeulen Ende August: „Mit der Bezirksregierung wurde zuletzt am 15. Juni 2020 zu diesem Thema gesprochen.“ „Ja, die Gespräche werden fortgeführt“, sagt nun Kämmerer Frank Mendack.

Daniel Mühlenfeld hatte für die SPD-Fraktion beantragt, dass ein zuständiger Beamter der Bezirksregierung im Mobilitätsausschuss zum Kahlenbergast Rede und Antwort steht. Ob der zuständige Verkehrsdezernent oder sein Vertreter an diesem Donnerstag dort erscheinen, ließ die Aufsichtsbehörde ebenfalls unbeantwortet. „Der ist längst abgesetzt. Jetzt wird alles leichter für uns“, frohlockten in der Augustsitzung Mitglieder der CDU-Fraktion und der Verwaltung, weil das Verkehrsdezernat der Aufsichtsbehörde nicht länger von Matthias Vollstedt geführt wird .

Für Buscaps fallen Parkplätze weg

Ein offenes Geheimnis ist: Ruhrbahn und Teile der Stadtverwaltung halten die Aufsichtsbehörde schon lange für einen zahnlosen Tiger. „Es ist nur noch eine Zeitfrage, bis die Straßenbahn nicht mehr fährt und die Fördermittelrückforderung in den Schredder kommt“, hoffen nun Verkehrsbetrieb und Verkehrsplaner. Diese Rechnung haben sie ohne die Landesrechnungsprüfer gemacht. „Wir wünschen uns ein gutes Ergebnis für die Stadt“, sagt Frank Mendack.

Wenn Busse die Straßenbahn ersetzen, müssen auch auf der Kampstraße sofort Haltestellencaps gebaut werden. Dafür fallen pro Cap mindestens drei Parkplätze weg. Geld hat die Stadt dafür auch nicht.
Wenn Busse die Straßenbahn ersetzen, müssen auch auf der Kampstraße sofort Haltestellencaps gebaut werden. Dafür fallen pro Cap mindestens drei Parkplätze weg. Geld hat die Stadt dafür auch nicht. © Foto: DANIEL ELKE / FUNKE Foto Services | DANIEL ELKE

Verkehrsbetrieb und Verkehrslenker brauchen auch Geld. Was sie nämlich bisher verschwiegen haben: Ersetzen Busse die Straßenbahn auf dem Kahlenbergast, müssen an allen Haltestellen behindertengerechte Einstiegscaps gebaut werden. Für jedes Cap fallen fünf Parkplätze an Straßenrand weg. Um jeden Autoplatz hat die CDU in Holthausen permanent gekämpft und die Ratsmandate trotzdem bei der Kommunalwahl an die Grünen verloren.

Die Grünen fordern eine Verkehrswende

Die Straßenbahn darf weiterhin mit Sondergenehmigung der Bezirksregierung ohne behindertengerechten Ausbau der Haltestellen auch nach 2022 über den Kahlenbergast fahren. Mit Buscaps könnten Fahrgäste sicherer ein- und aussteigen, heißt es aus dem Technischen Rathaus.

Die Grünen, geplanter neuer Koalitionspartner der CDU im Rat, forderten, den Ratsbeschluss aus 2017 abzusetzen. „Dieser Beschluss ist längst abgelaufen und damit hinfällig“, erklärte Axel Hercher. Die Stadt brauche für eine Verkehrswende einen guten Nahverkehr. Bisher habe jedoch niemand plausibel erklärt „wie die Linie 104 durch den 130er ersetzt werden soll“.

Der Streit um die Linie 104 und den neuen Nahverkehrsplan ist noch lange nicht beendet.

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