Mülheim. Ein Jahr nach dem verheerenden Hochwasser, bei dem Mülheim-Mintard stark betroffen war, fragen sich Anwohner: Kann uns das noch mal passieren?

Mehr als ein halbes Jahr hat sie im Wohnwagen gelebt, nachdem das Hochwasser am 15. Juli 2021 ihre Wohnung in der Mintarder Anliegerstraße Durch die Aue komplett zerstört hatte. Inzwischen hat Doris Gerke zusammen mit ihrem Mann ein neues Zuhause bezogen, das Steinmauern hat anstelle von Kunststoffwänden. Das Erlebte aber, der Schock über die Wassermassen und die Verwüstung ihres Zuhauses, der Verlust aller Erinnerungen, die Bedrohung von Leib und Leben, das alles sitzt tief.

„Wir wohnen und wir leben wieder“, sagt Doris Gerke am Telefon. Acht Monate lang hat die heute 62-Jährige im Wohnwagen gelebt, weil das Hochwasser ihre Souterrainwohnung in Mintard komplett zerstört hatte. Nun, ein Jahr nach der Flut, macht sie Urlaub auf einer portugiesischen Insel, deren Klima ihrer Gesundheit guttut. „Nichts hat mich so sehr angestrengt, wie das Hochwasser und das Jahr danach“, sagt Doris Gerke. Nun erholt sie sich, tankt Kraft.

Anwohnerin aus Mülheim-Mintard blickt zurück aufs Hochwasser im Juli 2021

Genau einen Tag, bevor sich das Hochwasser jährt, kommt sie zurück, wird mit dem Flugzeug in der Anflugschneise hoch über Mintard schweben und sehen, wie sich die Ruhr dort unten friedlich durchs Grün schlängelt. Etwa einen halben Kilometer entfernt von dem Haus, in dem Gerkes 18 Jahre lang lebten. Am 15. Juli 2021 aber, da schlängelte sich die Ruhr nicht ruhig durch ihr Bett, da walzte sie sich heran über das riesige Feld, das zwischen der Straße Durch die Aue und dem Flussufer liegt. „Ich stand mit den Nachbarn in der ersten Etage auf dem Balkon, wir haben Richtung Ruhr geguckt und gesehen: Da kam etwa Schwarzes an – wir wussten erst gar nicht, was das ist.“ Es war das Wasser – in Massen.

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Sie ruft die Feuerwehr an, bittet um Hilfe und bekommt die Antwort, sie solle das Wasser erstmal beobachten und sich dann noch mal melden. Da musste Doris Gerke resolut werden und den Feuerwehrmann wissen lassen, dass sie nicht länger warten wolle – seit mehr als einer Stunde hatten sie da schon keinen Strom mehr, ihr Handy-Akku zeigte nur noch 24 Prozent und das Wasser stieg und stieg. Die Feuerwehrleute, die dann aber „echt schnell“ kamen, seien großartig gewesen. „Bei denen hätte ich mich gerne bedankt.“

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Mintarder Anwohner versuchten anfangs noch, ihre Wohnungen zu retten

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Vorher hatte sie noch versucht, ihre Souterrainwohnung zu sichern. „Eine Bekannte hatte noch gesagt: Leg mal besser Decken vor die Türen. Das hab ich auch gemacht“, erzählt Doris Gerke und erinnert sich: „Erst kam das Wasser in Zeitlupe. Ich sehe mich noch da stehen und überlegen, was ich tun soll. Dann hab ich gesehen, wie das Wasser durch die Mauer dringt und auf einmal kam es geschossen, dass es einem die Füße wegriss. Ich wollte noch die Terrassentür zu machen, aber das ging schon nicht mehr, und habe noch gedacht: Oh Gott, das Parkett.“

Doris und Gerhard Gerke einen Tag, nachdem das Hochwasser im Juli 2021 ihre Souterrainwohnung verwüstet hat. Nahezu nichts war zu retten.
Doris und Gerhard Gerke einen Tag, nachdem das Hochwasser im Juli 2021 ihre Souterrainwohnung verwüstet hat. Nahezu nichts war zu retten. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Das Parkett sollte nicht das einzige bleiben, was durch das Hochwasser beschädigt wird – ihre komplette Wohnung war überspült, so gut wie nichts konnten Gerkes retten. „Ich hatte nur noch das, was ich am Körper getragen habe“, sagt die Rentnerin. Alles weg: wichtige Papiere und geliebte Erinnerungen. „Manches merkt man erst, wenn man es braucht – etwa als ich die neue Wohnung anmelden wollte.“ Stammbuch? Rentenunterlagen? Die Arztbriefe zu ihrer Krankengesichte? „Habe ich alles nicht mehr.“

Ehepaar findet neues Haus in direkter Nachbarschaft zu seiner zerstörten Wohnung

Gerettet wurde Doris Gerke wie einige weitere Anwohner der am Ende der Sackgasse liegenden Häuser per Schlauchboot von der Feuerwehr – da stand das Wasser schon brusthoch auf dem Garagenhof. Dabei waren neben den Katzen der Nachbarin auch Gerkes uralter Kater Goliath. Weil sich das betagte Tier, Freigänger zumal, in keiner anderen Wohnung eingewöhnen konnte – „der ging da buchstäblich die Wände hoch“ – erinnert sich Gerhard Gerke, ist Doris Gerke mit dem Kater im Wohnwagen geblieben, der in der Einfahrt nahe ihrem alten Zuhause stand. Ihr Mann, der Kfz-Mechaniker, lebte zwischenzeitlich in einer kleinen Wohnung in Mintard.

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So ging es über Monate – Goliath hatte sein Revier, Doris Gerke mitunter kalte Füße, schließlich harrte sie über die Wintermonate mit Goliath im Caravan aus. Und dann, kurz bevor sie das renovierte Haus beziehen konnten, dessen Garten an den ihrer ehemaligen Wohnung grenzt, was für Goliath ein Katzensprung in sein ehemaliges Reich gewesen wäre, da mussten sie den alten Kater einschläfern lassen. „Das war natürlich noch mal ein herber Schlag“, erzählt Doris Gerke. „Wegen ihm haben wir das alles ja so gemacht“, sagt sie und meint damit ihr Ausharren im Wohnwagen und die Übernahme des Hauses in direkter Nachbarschaft.

Gerhard Gerke in dem renovierten Haus, in dem das durchs Hochwasser geschädigte Ehepaar nun zur Miete wohnt.
Gerhard Gerke in dem renovierten Haus, in dem das durchs Hochwasser geschädigte Ehepaar nun zur Miete wohnt. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Hilfsbereitschaft für die Hochwasser-Opfer in Mülheim-Mintard war groß

So aber hat Goliath den Gerkes den Weg geebnet zu einem schönen neuen Zuhause, das auch in der Straße Durch die Aue liegt – vis-à-vis dem Alpenbach, der am 15. Juli 2021 gemeinsam mit der Ruhr immens über die Ufer getreten ist. Deswegen ganz wegzuziehen aus Mintard, so wie es eine Mutter mit ihren zwei Kinder tat, die durch die Erfahrungen mit den Wassermassen traumatisiert waren, so weit wollten die Gerkes nicht gehen – der Stadtteil sei ihr Zuhause.

Über Monate hat Doris Gerke aus Mülheim-Mintard nach dem Hochwasser vom Juli 2021 in einem Wohnwagen gewohnt, weil ihre Wohnung von den Fluten komplett zerstört worden war. Im Februar 2022 konnten sie und ihr Mann eines der Häuser in direkter Nachbarschaft ihrer ehemaligen Wohnung beziehen.
Über Monate hat Doris Gerke aus Mülheim-Mintard nach dem Hochwasser vom Juli 2021 in einem Wohnwagen gewohnt, weil ihre Wohnung von den Fluten komplett zerstört worden war. Im Februar 2022 konnten sie und ihr Mann eines der Häuser in direkter Nachbarschaft ihrer ehemaligen Wohnung beziehen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Große Hilfsbereitschaft haben sie erfahren: „Leute aus dem Dorf haben Mittagessen für uns gekocht und uns Kleidung geschenkt, als wir nichts mehr hatten“, erzählt Doris Gerke. Von der Versicherung haben sie nichts erhalten, erzählt die Rentnerin, inzwischen seien auch ihre Sparverträge aufgelöst. „Die waren ja eigentlich für etwas anderes gedacht", sagt sie nachdenklich.

Die Frage bleibt: Was wird getan, um solch ein Hochwasser künftig zu vermeiden?

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Die Sorge, dass es noch einmal zu einem Hochwasser solchen Ausmaßes kommen könnte, begleitet Doris Gerke. Heute habe sie eine ganz andere Sensibilität, wenn’s stark regnet: „Bei Dauerregen werde ich nervös. Das wird wohl auch immer so bleiben.“

Gedanken, die um das Hochwasser kreisen, lassen die 62-Jährige auch ein Jahr danach nicht los: „Wer war der Verantwortliche, der die Schleuse am Baldeneysee geöffnet hat? Wie kam das zustande, ohne dass wir gewarnt worden sind? Ich sehe keine Maßnahme, die ergriffen worden ist, um sowas künftig zu verhindern. Mir scheint, das Thema wird totgeschwiegen. Auch von der Stadt ist nichts gekommen.“