Mülheim. Mülheimer Polizei lüftet ein Waffenlager in der Wohnung eines Verwirrten. Frauen wollen Messer zum Selbstschutz kaufen. Was ist da los?

Äxte, Schreckschusspistolen, eine Armbrust, ein Schwert und eine Kollektion gefährlichster Messer: All das fand die Polizei kürzlich in einer Wohnung in Eppinghofen. Eine Ansammlung frei verkäuflicher Waffen. Diese Dinge zu Hause zu horten, ist nicht verboten. Doch der Mann, dem sie gehören, wirkte schwer betrunken und sehr verwirrt. Psychisch auffällig.

„Zur Verhinderung möglicher Straftaten unter Verwendung dieser Waffen“ wurden sie sichergestellt, meldete später die Polizei und berichtete auch, wie der Mann komplett ausrastete, noch auf dem Weg ins Krankenhaus. Man fragt sich, welche potenziell tödlichen Werkzeuge sonst noch in Mülheimer Haushalten gesammelt werden, und wie ihre Besitzer gestrickt sind. Vielleicht möchte man es auch lieber nicht wissen.

Mülheimer Waffenhändler: Leute rufen an bei Problemen mit der Polizei

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„Vielleicht war er sogar ein Kunde von mir“, sagt der Mülheimer Waffenhändler Thomas Pips (69), als er auf den Vorfall angesprochen wird. Gelegentlich klingele in seinem Fachgeschäft an der Bachstraße das Telefon, und Leute bäten um Rat, weil sie Probleme mit der Polizei bekommen haben.

Er nennt ein Beispiel, erst wenige Tage alt: Jemand rief an und erzählte, er sei nachts mit einem Freund unterwegs gewesen und von einer Person attackiert worden – mit einem Messer. Er habe daraufhin mit seiner Gaspistole, die er dabei hatte, in die Luft geschossen. Und deswegen jetzt eine Anzeige am Hals. Was nun?, fragte er den Waffenhändler. „Jetzt kommt es darauf an, wer die besseren Zeugen hat“, sagt Thomas Pips, ob der Messerangriff, die Notwehrlage, bewiesen werden kann.

Gaspistolen wie diese sind frei verkäuflich ab 18 Jahren, im Mülheimer Geschäft von Thomas Pips wird häufig danach gefragt. Wer sie bei sich tragen möchte, braucht jedoch einen „kleinen Waffenschein“.
Gaspistolen wie diese sind frei verkäuflich ab 18 Jahren, im Mülheimer Geschäft von Thomas Pips wird häufig danach gefragt. Wer sie bei sich tragen möchte, braucht jedoch einen „kleinen Waffenschein“. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Sortiment im Traditionsgeschäft reicht vom Pfefferspray bis zum Revolver

Es sei „irre“, dass Leute ihn überhaupt in solcher Bedrängnis um Rat fragen. „Ich bin kein Rechtsanwalt.“ Er ist Geschäftsmann, führt in dritter Generation einen fast hundertjährigen Familienbetrieb: Waffen und Stahlwaren – wobei Letztere, etwa Messer für den Hausgebrauch, den größten Teil des Umsatzes ausmachten. Aber Waffen verkauft Pips eben auch, vom zierlichen Döschen Pfefferspray über Schreckschusspistolen und Jagdwaffen bis zum scharfen Revolver, der nicht offen in der Ladenvitrine liegen darf, sondern im Tresor.

Was seine Kunden und Kundinnen mit den gekauften Waffen machen, erfährt Pips eher selten – im Gespräch am Verkaufstisch oder wenn wieder mal ein Ratsuchender anruft. Wenn es Polizeieinsätze gab, ist ohnehin die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Waffen auf anderen Wegen erworben wurden. Übers Internet, legal oder nicht.

Bewaffneter Mülheimer wurde 2021 von einer Polizistin erschossen

Das Waffenarsenal, mit dem Mülheimer verbotenerweise unterwegs sind, wird durch die Polizei gelegentlich dezimiert, Tendenz zuletzt deutlich steigend. Nach Auskunft eines Sprechers wurden im Jahr 2019 in Essen und Mülheim insgesamt 186 Verstöße gegen das Waffengesetz verzeichnet, im folgenden Jahr 200 und 2021 dann 210 Verstöße. Einen besonders dramatischen Fall gab es im Januar 2021, als eine junge Polizistin auf der Aktienstraße in Mülheim einen 65-jährigen Mann erschoss. Er hatte mit einem scharfen Revolver herumgeballert, auch auf Polizisten gezielt. Einen Waffenschein besaß er nicht. Das Strafverfahren gegen die Polizistin, die ihn getötet hat, wurde später eingestellt, der 26-Jährigen eine Notwehrlage bescheinigt.

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Zuletzt vor rund fünf Jahren hat der Bundestag eine sogenannte Waffenamnestie beschlossen. Ein ganzes Jahr lang, von Juli 2017 bis Juni 2018, konnten illegale Waffen und Munition straffrei bei der Polizei abgegeben werden. Nach Auskunft der Polizei wurden in diesem Zeitraum in Essen und Mülheim insgesamt 162 Lang- und Kurzwaffen einkassiert. Differenzierte Zahlen für Mülheim hat die Polizei nicht.

Run auf Selbstschutzwaffen nach der Kölner Silvesternacht

Seit mehr als 45 Jahren ist Thomas Pips im Waffengeschäft, und einmal erlebte er einen regelrechten Run auf seine Waren: Nach den Attacken in der Kölner Silvesternacht 2015 habe es einen „ungewöhnlichen Schub“ gegeben, „der für mich einen Segen darstellte“, so der Geschäftsmann. Frauen wie Männer, Menschen aus allen Altersgruppen, allen gesellschaftlichen Schichten, hätten nach Waffen zur Selbstverteidigung verlangt. Gaspistolen, Elektroschocker, Pfefferspray.

Und Messer. Der Geschäftsmann weiß Verstörendes zu berichten: „Sehr viele Frauen kommen rein und wollen ein Messer zur Selbstverteidigung kaufen. Dann sage ich in der Regel: ,Das kann ich Ihnen nicht empfehlen.’ Denn wenn man den Angreifer damit verletzt, eskaliert die Situation.“ Er rate dann eher zum Elektroschocker oder Pfefferspray. Manche Käufer hätten auch schlicht Spaß daran, Waffen zu Hause zu horten: „Sie sammeln sie wie andere Leute Schuhe oder Zinnfiguren.“

Keine einzige Privatperson in Mülheim besitzt einen „großen Waffenschein“

In den letzten Jahren schnellte auch die Zahl der Anträge auf den sogenannten kleinen Waffenschein, den man zum Mitführen dieser Dinge braucht, nach oben. Von 2015 bis 2016 verzehnfachten sie sich in Mülheim und Essen. Im vergangenen Jahr – 2021 – haben laut Polizei 96 Mülheimerinnen und Mülheimer einen kleinen Waffenschein beantragt, 89 haben ihn letztendlich bekommen. Insgesamt verfügen jetzt 2035 Personen in der Stadt über den kleinen Waffenschein, fast doppelt so viele wie vor einigen Jahren. Doch: „Keine Privatperson besitzt einen großen Waffenschein“, so die Polizei.

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Beim illegalen Waffenbesitz steht der Bereich rund um den Mülheimer Hauptbahnhof im Fokus. Vor allem, um Gewalttätigkeiten unter jungen Leuten einzudämmen, die sich bis aufs Messer bekämpfen, hat die Bundespolizei den Hbf schon tageweise zur Waffenverbotszone erklärt, verschärft kontrolliert und tatsächlich auch massenhaft illegale Gegenstände gefunden. Von einer „erschreckenden Bilanz“ sprach die Bundespolizei nach der letzten, einwöchigen Aktion im Januar 2021.

Echter Waffenschein ist selten

Wer welche Waffen besitzen oder mit sich führen darf, ist bundesweit im Waffengesetz geregelt.

Gas-, Schreckschuss- oder Signalwaffen sind ab 18 Jahren frei verkäuflich und dürfen ohne Erlaubnis zu Hause aufbewahrt werden. Wer sie allerdings mitführen möchte, muss bei der Polizei den „kleinen Waffenschein“ beantragen.

Einen „großen Waffenschein“ benötigt man, um scharfe Waffen in der Öffentlichkeit zu führen. Er ist an strenge Voraussetzungen geknüpft (Bedürftigkeit, Sachkundenachweis mit Lehrgang, persönliche Eignung, keine Vorstrafen, u.v.m.) und wird Privatpersonen äußerst selten erteilt. Ihn besitzen Polizisten, Zollbeamten, ausnahmsweise auch Wach- und Sicherheitspersonal.

Sportschützen, Jäger oder Waffensammler brauchen dagegen nur eine Waffenbesitzkarte, die in verschiedenen Formen (rot, grün, gelb) ausgegeben wird. Dabei müssen sie u.a. ihre körperliche, geistige und persönliche Eignung nachweisen.

Bestimmte Waffen, etwa Maschinengewehre, Pump-Guns, getarnte Waffen, Schlagringe, Taser und vieles mehr sind grundsätzlich verboten.

Waffenhändler Thomas Pips beteuert, dass er nicht jeden Kundenwunsch erfüllt, aus verschiedenen Gründen. Es komme vor, dass junge Männer scharfe Pistolen verlangen, die schicke er weg. Ebenso Leute, die nur eine Schreckschusswaffe haben wollen, aber schon im Laden Unfug machen – gerne in Gegenwart ihrer Kumpels: „Wenn einer zum Beispiel anderen die Pistole an den Kopf hält, dann sage ich: ,Sofort wieder hinlegen. Ihr könnt hier keine Waffe kaufen!’“ Die meisten jungen Kunden wirkten in seinem Geschäft „recht vernünftig“, sagt der 69-Jährige. „Aber man kann den Leuten immer nur vor den Kopf gucken ...“