Essen/Mülheim. . Die Polizei Essen registriert sprunghaft gestiegene Antragszahlen beim Kleinen Waffenschein. Dieser berechtigt zum Führen von Schreckschusspistolen.

  • Boom bei Schreckschusspistolen: Essener rüsten nach Köln-Schock auf
  • Antragszahlen für Kleinen Waffenschein schnellen seit Jahresanfang in die Höhe
  • Polizei rät strikt davon, sich zu bewaffnen

Zuerst das Massaker von Paris Mitte November, dann die schockierenden Silvester-Übergriffe in Köln: Immer mehr Essener rüsten seitdem auf – nicht nur mit Pfefferspray, sondern auch mit Schreckschusspistolen. Aktuelle Zahlen aus dem Polizeipräsidium bestätigen diesen verstörenden Trend. Allein in Essen sind zwischen dem 4. und 18. Januar schon 210 so genannte „Kleine Waffenscheine“ für solche Waffen beantragt worden. Hinzu kommen weitere 74 für die Nachbarstadt Mülheim.

Zum Vergleich: In 2014, einem vergleichsweise ruhigen Jahr ohne spektakuläre Anschläge, wurde der „Kleine Waffenschein“ im Laufe von zwölf Monaten in Essen und Mülheim nur 109-mal ausgegeben.

Steigendes Interesse seit "Charlie-Hebdo"-Anschlag

Der „Kleine Waffenschein“

Wer eine Schreckschuss-, Signal- oder Gaswaffe führen will, benötigt den „Kleinen Waffenschein“ (Gebühr 55 Euro). Die Polizei prüft alle drei Jahre die Eignung des Antragstellers.

Eine Schreckschusspistole muss verdeckt getragen werden. Wer dagegen verstößt, riskiert eine Einzelfallprüfung, den Entzug des Scheins oder gar die Beschlagnahmung der Waffe.

Steigendes Interesse verspürte die Polizei erstmals nach dem Terroranschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ im Januar 2015. „Letztes Jahr wurde der Kleine Waffenschein etwa 40-mal im Monat beantragt“, so Polizeisprecher Marco Ueberbach. Dass die Antragszahlen seit Köln förmlich explodieren, bereitet der Polizeiführung Kopfzerbrechen. „Wir beobachten diese Entwicklung mit großer Besorgnis“, gesteht der Polizeisprecher, und fügt hinzu: „Wir raten strikt davon ab, sich zu bewaffnen.“

Der verunsicherte Kunde lässt sich von solchen Appellen indes nicht beeindrucken. Christoph Küttner, Mitinhaber des Traditionsgeschäftes „Waffen Isenberg“ auf der Steeler Straße, bestätigt den Schreckschusspistolen-Boom: „Es ist eine Frage der Zeit, wann wir ausverkauft sind.“

"Walther P 22" als gängigstes Modell

Zu den gängigsten Modellen in seinem Sortiment zählt die handliche „Walther P 22“ für 129 Euro. Im ganzen Jahr 2015 gingen davon 47 Stück über seine Ladentheke. „Allein in den letzten vierzehn Tagen haben wir schon 31 Stück verkauft.“ Auch die Hersteller seien der sprunghaft gestiegenen Nachfrage nicht mehr gewachsen. Mit der nächsten P 22-Lieferung sei nicht vor Mitte Februar zu rechnen. Küttner: „Zuerst dachte ich, es handele sich um eine Hysterie, die schnell wieder abflaut. Aber dem ist keinesfalls so.“

Ein Schuss nach hinten

Essen ist nicht Texas, wo sie seit jeher breitbeinig mit scharfen Waffen durch die Gegend stolzieren. Daran ändern auch die in dieser Stadt seit der Schande von Köln exorbitant gestiegenen Verkäufe von Schreckschusspistolen nichts. Und trotzdem: Diese völlig unerwartete Form der Aufrüstung wirkt selbst wie ein schmerzhafter Schreckschuss.

Wohin mag diese Entwicklung führen? Anderswo gehen schon Bürgerwehren auf Patrouille – meistens ungemütliche Typen aus der rechtsextremen Szene, die nichts Gutes im Schilde führen. Dahinter steckt weitaus mehr als die Angst vor Gewalttätern. Es ist zuallererst ein Indiz dafür, dass das Vertrauen der Menschen in die Polizei dramatisch schwindet. Aber wundert es, dass sie so reagieren, wenn sie von No-Go-Areas erfahren, das Versagen der Polizei in Köln in all seiner Peinlichkeit erfassen und begreifen, wie Politik die Polizei im Regen stehen lässt?

Private Aufrüstung nachvollziehen zu können, heißt aber längst noch nicht, sie gutzuheißen.

Der Notruf 110 ist allemal wirksamer als eine P 22 – erst recht, wenn diese in ungeübte Hände gelangt und der Schuss buchstäblich nach hinten losgeht. Sogar ein Selbstbehauptungskurs kann Sicherheit geben.

Die Essener Polizei warnt erst recht vor Spontankäufen und appelliert besonders an jene, die keinerlei Erfahrung im Umgang mit Schreckschusswaffen besitzen. „Wer ungeübt ist und in Panik gerät, kann sehr leicht entwaffnet werden“, sagt der Polizeisprecher. „Dann richtet sich die Waffe plötzlich gegen ihn selbst, seine Familie oder seine Freunde.“ Eine Waffe zumal, die alles andere als harmlos sei. „Schreckschusspistolen können Trommelfelle zum Platzen bringen und schwerste Verletzungen verursachen“, warnt Ueberbach. Fatal sei es, wenn sie zuhause in Kinderhände gelangten.

Nicht nur die Polizei, auch der Waffenhändler mahnt zur Mäßigung im Umgang mit Schreckschusspistolen: „Das ist ein schmaler Grat, da kommt man schnell in Teufels Küche.“ Die Polizei rät Menschen in Verdachtsfällen dringend dazu, den Notruf 110 zu wählen. Und Christoph Küttner, der Waffenhändler, empfiehlt eine Art „Gewissensprüfung“: „Ein Schrill-Alarm und eine taktische Taschenlampe schrecken ebenfalls ab.“