Mülheim. Gut abgesichert fürs Alter mit Betriebsrenten und Immobilie? Weit gefehlt! Als seine Frau ins Heim muss, bleiben Herrn R. noch 50 Euro zum Leben.

Sie dachten, sie hätten sich gut abgesichert fürs Alter. Immerhin konnten sie neben der gesetzlichen Rente auf zwei Betriebsrenten zurückgreifen, hatten in eine Eigentumswohnung investiert, diverse Lebensversicherungen abgeschlossen und etwas angespart. Doch dann kam der Einschnitt: Frau R., 77 Jahre alt, ist dement und muss im Heim untergebracht werden, hohe Kosten entstehen. Als ihrem Vater dadurch nur noch 50 Euro zum Leben bleiben, wendet Brigitte R. sich ans Mülheimer Arbeitslosenzentrum Malz. Durch dessen Hilfe lebt Herr R. nun zumindest nicht mehr unterhalb des Existenzminimums.

„Meine Eltern haben ein gutes Leben geführt, hatten ihre kleine Eigentumswohnung gekauft und konnten regelmäßig nach Bayern in Urlaub fahren“, erzählt Brigitte R. in der Rückschau. Sie und ihre Eltern sind Mülheimer – aus Scham über die finanzielle Misere, die sie mit ihren Eltern durchlaufen hat und um ihren Vater zu schützen, möchte sie nicht erkannt werden, sagt die 50-Jährige. Inzwischen sei alles in gute Bahnen gelenkt, ihr 83-jähriger Vater käme nun finanziell über die Runden, sagt die Mülheimerin. Ihre Mutter, die inzwischen 77 Jahre alt ist, weiß sie gut untergebracht in einer Demenz-WG. Bis dahin aber ist die Familie einen steinigen Weg gegangen.

Die Demenz der Mülheimerin fällt auf, als in den Weihnachtskarten Wörter fehlen

Die Erkenntnis, das etwas nicht stimmt, traf sie beinahe wie ein Schlag, berichtet Brigitte R.: In den Weihnachtskarten, die ihre Mutter 2018 verschickte, fehlten Wörter. So fiel Familie und Freunden auf, dass bei der bis dato resoluten und selbstbestimmten Frau, die einst als Stenotypistin gearbeitet hat, etwas verloren geht. Angefangen aber hat die Krankheit, die Demenz, wohl schon viel eher, hat ihre Tochter in der Rückschau feststellt.

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„Das muss schon Monate gegangen sein, aber mein Vater hat einfach nichts gesagt“, schildert R. Als ihre Eltern im Urlaub in Bayern sind – es sollte ihr letzter Aufenthalt an dem geliebten Ort sein – nimmt die Tochter die Wohnung ihrer Eltern genauer unter die Lupe. „Meine Mutter hatte immer einen Putzfimmel, aber als ich da den Kühlschrank aufgemacht habe, konnte ich mit dem Inhalt drei Müllsäcke vollmachen.“ Von der Sekunde an steht für sie fest: So geht es nicht weiter, ihre Eltern brauchen Hilfe.

Brigitte R. sucht Unterstützung für ihre alten Eltern – unter anderem beim Demenz-Café

Brigitte R. sucht sich Unterstützung, besucht das Demenz-Café der evangelischen Kirche in der Innenstadt, erhält erste Tipps und vereinbart einen Termin für ihre Mutter in einer spezialisierten Demenz-Klinik in Essen – dort muss die Seniorin schließlich für viereinhalb Wochen bleiben. „Ich hatte zu meinem 40-Stunden-Job durch die Betreuung und das Regeln aller Formalitäten oft Zwölf-Stunden-Tage ohne etwas zu essen“, erzählt Brigitte R., die in einer Zahnarztpraxis arbeitet. Ihre Sorgen losgeworden ist sie bei Freunden, die Verantwortung für ihre Eltern aber konnte der 50-Jährigen niemand abnehmen. Sie ist Einzelkind und lebt als Single. „Als Frau R. bei uns im Malz ankam, hat man gemerkt, dass sie permanent unter Strom stand wegen der Situation“, berichtet Gabi Spitmann, Beraterin im Mülheimer Arbeitslosenzentrums Malz.

Erst als Brigitte R. schon zig Stellen kontaktiert hat, um alles für ihre Eltern zu regeln, landet sie beim Malz – da blieben ihrem Vater wegen der hohen Unterbringungskosten für ihre demente Mutter nur noch 50 Euro im Monat zum Leben. Das war der Moment, in dem sie dachte: „Das kann nicht sein. Keiner von uns, weder mein Vater noch ich, war auch nur einen Tag im Leben arbeitslos. Mein Vater war Maschinenschlosser, 25 Jahre beim selben Betrieb, hat eine gute Grundrente. Auch meine Mutter hat ihre Rentenjahre voll“, schüttelt die Mülheimerin fassungslos den Kopf.

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Laut Bescheid des Sozialamtes bleiben dem 83-Jährigen 50 Euro im Monat zum Leben

Sie hatte beim Sozialamt Hilfsleistungen beantragt, als klar war, dass für ihre Mutter nur die Unterbringung in einer spezialisierten und somit kostenintensiveren Demenz-WG in Frage kam, denn durch ihre Erkrankung hat die 77-jährige Frau R. die Tendenz, wegzulaufen. Nicht jedes Heim sei darauf ausgelegt damit umzugehen, hat ihre Tochter erfahren. Das Vermögen, das die Rs. angespart und fürs Alter zurückgelegt hatten, musste zum großen Teil aufgewendet werden, um anteilig die Unterbringung zu finanzieren und war schnell aufgebraucht. „In einem Vierteljahr waren 20.000 Euro weg“, rechnet Brigitte R. vor und schildert: „940 Euro zahlt mein Vater aus eigener Tasche für die Unterbringung meiner Mutter.“

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Als dann der Bescheid vom Sozialamt vorlag, in dem ihrem Vater nur noch 50 Euro bleiben, sucht Brigitte R. Hilfe beim Mülheimer Arbeitslosenzentrum. „Dass Herrn R. nur 50 Euro zum Leben bleiben sollte, habe ich erst nicht geglaubt, aber es stimmte tatsächlich“, sagt Gabi Spitmann, Beraterin im Malz, und ordnet ein: „Frau R. ist ja in der Lage, Dinge zu berechnen, sie weiß viel mehr, als die meisten, die zu uns kommen.“

Spenden noch möglich

Der Losverkauf für unsere traditionsreiche Benefiz-Aktion Jolanthe ist zwar inzwischen abgeschlossen, die Gewinner sind gezogen und informiert. Helfen kann man aber trotzdem noch.

Die Möglichkeit, für Jolanthe – und damit in diesem Jahr für das Mülheimer Arbeitslosenzentrum – zu spenden, läuft jedoch noch weiter: Spendenkonto bei der Sparkasse Mülheim, DE05 3625 0000 0175 0342 77, Stichwort: Jolanthe.

Doch das Bestreben der Tochter, von möglichst vielen Stellen mehr finanzielle Unterstützung für ihre Eltern zu erwirken, sei nicht der richtige Weg, erkannte Spitmann bei der Durchsicht der Unterlagen: „Ihr Vater hat dadurch nicht mehr Geld, sondern das wird gleich wieder angerechnet.“ Hätte es noch weitere Geldquellen gegeben, hätte das Sozialamt darauf hingewiesen, ist die Malz-Beraterin sicher, die die gute Zusammenarbeit mit der Behörde in dem speziellen Fall der Rs. lobt.

Brigitte R. erhält im Mülheimer Arbeitslosenzentrum Rat von Beraterin Gabi Spitmann, nachdem ihre Eltern durch die kostenintensive Unterbringung ihrer Mutter in einer Demenz-WG in finanzielle Schieflage geraten waren.
Brigitte R. erhält im Mülheimer Arbeitslosenzentrum Rat von Beraterin Gabi Spitmann, nachdem ihre Eltern durch die kostenintensive Unterbringung ihrer Mutter in einer Demenz-WG in finanzielle Schieflage geraten waren. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Für Beraterin Spitmann wurde klar, dass die Berechnung sich ändern muss. Bei ihrer Auswertung kam heraus, dass die Kostenseite eine ganz andere war als bislang angenommen, etwa war nicht berücksichtigt, dass für die kleine Eigentumswohnungen noch Abtragungen laufen. Weder die Wohnung noch sein Auto werden dem 83-Jährigen genommen, um die Unterbringungskosten für seine demente Frau mitzufinanzieren – das zu erfahren, war eine enorme Erleichterung für Tochter Brigitte R., die fragt: „Wie sollte er auch ansonsten seine Frau besuchen, deren Demenz-WG in Duisburg liegt? Mit der Straßenbahn müsste er fünf Mal umsteigen, das kann er nicht mehr.“

Sein Auto darf der Senior behalten – so kann er seine demente Frau besuchen

Der Wagen ihres Vaters ist etwa 15 Jahre alt, der Wert des Fahrzeugs liegt unter dem, was angerechnet würde. Malz-Fachfrau Gabi Spitmann erklärt: „In Hartz IV darf man noch ein Auto haben, in Grundsicherung dann aber nicht mehr.“ Zwar ist das Auto des Seniors nicht mehr viel wert, doch Versicherung und Steuern dafür fallen in die Berechnung. „Die Kosten wurden vom Amt zum Glück als außergewöhnlicher Bedarf anerkannt“, erklärt Spitmann.

Mit ihrer Hilfe hat Herr R. nun nach einer Neuberechnung 450 Euro monatlich zur freien Verfügung. „Das ist nicht doll, aber in der Situation ist das Leben auch nicht mehr doll“, bilanziert Gabi Spitmann. Brigitte R. ist zufrieden mit dem Ausgang: „Mein Vater braucht nicht mehr viel, hat keine großen Ansprüche. So kann er meiner Mutter wenigstens immer mal Blümchen oder eine Zeitschrift mitbringen.“