Mülheim. Eine Mülheimerin erhebt schwere Vorwürfe gegen das Pflegeheim, in dem ihre demenzkranken Eltern leben. Ein Fall für die städtische Heimaufsicht.

Seit rund zwei Jahren leben die demenzkranken Eltern von Tanja Fritsche (Name von der Redaktion geändert) in einem Mülheimer Seniorenheim. Die Tochter ist dort nach eigener Aussage häufig zu Besuch, jeden zweiten Tag, hat auf alles ein Auge - und offenbar Dauerstress. Sie behauptet: „Die Pflege funktioniert überhaupt nicht, das Personal wechselt ständig.“ Sie spricht von „Missständen“, über die sie „sehr unglücklich“ sei.

Mülheimerin schimpft über Seniorenheim: „Eine Katastropheneinrichtung“

Tanja Fritsche hat sich an unsere Redaktion gewandt, hat ihre Kritikpunkte detailliert geschildert. Ihre Vorwürfe sind hart, ihr Urteil ist vernichtend: „Eine richtige Katastropheneinrichtung.“

Die städtische Heimaufsicht teilt diese Ansicht keineswegs. Sie hat sich das Haus, auf dessen Namensnennung wir hier verzichten, aufgrund der Beschwerde angeschaut. Eine Anlassprüfung. Vielleicht sogar ein typischer Fall. Denn die Unzufriedenheit der Tochter währt schon länger, wie Briefwechsel mit der Heimleitung aus dem Vorjahr belegen, und betrifft fehlerträchtige Bereiche, die auch andere Angehörige von Pflegeheimbewohnern kennen.

Vorwürfe: Medikamente nicht gegeben, Körperpflege vernachlässigt

Verschiedene Dauerärgernisse führt die Tochter auf. Medikamente würden nicht rechtzeitig bestellt oder nicht regelmäßig verabreicht. Kompressionsstrümpfe seien nicht auffindbar, Zimmer würden nicht aufgeräumt, die Körperpflege ihrer Eltern vernachlässigt. Der Hauptaufzug sei seit Wochen defekt, die Fluktuation beim Personal extrem. Dauernd tauchten neue Gesichter auf.

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Mitte März sei ihren Eltern sogar wertvoller Schmuck aus dem hauseigenen Safe gestohlen worden, berichtet Tanja Fritsche. „Es kann nur jemand vom Personal gewesen sein“, behauptet sie. Jemand habe den Schlüssel ausgetauscht, den ihre Mutter immer an einem Bund bei sich trage. Die Tochter hat Anzeige erstattet wegen „besonders schweren Diebstahls“. Doch die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren Anfang Juli eingestellt. In deren Schreiben, das der Redaktion vorliegt, heißt es, ein Täter sei nicht ermittelt worden. „Weitere Nachforschungen versprechen zur Zeit keinen Erfolg.“

Umzug für demenzkranke Eltern unmöglich: „Sie würden sich anderswo nicht zurecht finden“

Die Tochter bedauert, dass das Verfahren eingestellt wurde. Im Übrigen seien auch hochwertige Kleidungsstücke ihrer Eltern verschwunden - teilweise nach Wochen in anderen Bewohnerzimmern wieder aufgetaucht, teilweise auch nicht. Die Frage, warum ihre Eltern nicht längst in ein anderes Heim gezogen seien, beantwortet die Tochter so: Aufgrund ihrer Demenz sei ein Umzug unmöglich. „Sie würden sich in einer anderen Pflegeeinrichtung nicht mehr zurecht finden.“

Beschwerden meist von Angehörigen

Bei der städtischen Heimaufsicht in Mülheim sind 2020 insgesamt vier Beschwerden über Pflegeheime eingegangen.

In drei Fällen kamen diese von Angehörigen, in einem Fall hat sich ein Mitarbeiter beklagt. Alle Beschwerden habe man geprüft, heißt es.

In diesem Jahr gab es bislang neun Beschwerden über Pflegeeinrichtungen: acht von Angehörigen, eine ging anonym ein. Auch hier hätten Anlassprüfungen stattgefunden.

„In 2020 haben wir außerdem die sich ständig ändernden Coronabestimmungen zum Anlass genommen, alle Einrichtungen stichprobenartig und zum Teil mehrfach auf deren Einhaltung und Umsetzung zu kontrollieren“, ergänzt die Leiterin der Heimaufsicht.

Als sie kürzlich aus einem zehntägigen Urlaub zurückkehrte und nach ihren Eltern sah, habe sie feststellen müssen, dass der Vater lange nicht geduscht habe und nicht gewaschen wurde. Für Tanja Fritsche war das Maß voll: „Das kann man so nicht hinnehmen.“ Erst jetzt wandte sie sich auch an die städtische Heimaufsicht. Es hätte gerne schon früher sein können, meint deren Leiterin Saskia-Alexandra Kühle. „Dafür gibt es ja ein Prüforgan. Wir sind immer ansprechbar und haben bisher noch jede Kuh vom Eis bekommen, zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Wenn aber Dinge nicht an uns herangetragen werden, können wir nichts tun.“

Heimaufsicht hat geprüft: „Beide in gutem Pflegezustand“

In diesem Fall wurde etwas unternommen: eine anlassbezogene Prüfung. Zwei Mitarbeiter des städtischen Pflegemanagements seien vor Ort gewesen, berichtet Kühle, und hätten die angeblichen Mängel überprüft: Funktion der Aufzüge, pflegerische und medizinische Versorgung der Eltern. Sie hätten auch mit der Einrichtungs- und Pflegedienstleitung gesprochen, mit anderen Bewohnern und Beschäftigten.

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Ergebnis: „Beide Eltern sind in einem guten Pflegezustand. Und von einer ,Katastropheneinrichtung’ kann auf keinen Fall die Rede sein“, so die Chefin der Heimaufsicht. Eher sei es ein persönlicher Disput mit einem Mitarbeiter gewesen, der sich nicht korrekt verhalten habe. Auch die Betreiberfirma der Pflegeeinrichtung verweist auf die Beurteilung durch die Mülheimer Heimaufsicht. „Beide Bewohner waren in einem adäquat pflegerischen Zustand“, erklärt ein Unternehmenssprecher. „Die Beschwerdegründe konnte die Heimaufsicht nicht nachvollziehen.“

Tanja Fritsche murrt immer noch, räumt aber ein, dass die Gespräche mit den Verantwortlichen gut gelaufen seien. Die Heimaufsicht habe ihr geraten, sich künftig direkt an die Pflegedienstleitung zu wenden. Das will sie tun und vermutet: „Viele wagen nur nicht, den Mund aufzumachen. Aus Angst, dass ihre Angehörigen dadurch Nachteile erleiden.“