Mülheim. So kann es nicht weitergehen! Am Montag demonstrieren Kindertagespflegekräfte und Eltern um 15 Uhr vor dem Mülheimer Rathaus. Worum’s ihnen geht.

Knapp die Hälfte der betreuten Mülheimer Kinder unter drei Jahren hat einen Platz in der Kindertagespflege. Die Eltern schätzen die kleinen Gruppen: Eine Tagespflegekraft darf nur bis zu fünf Kinder betreuen; bei zwei bis drei Kräften erhöht sich die Zahl auf bis zu neun Kinder. Für die Stadt Mülheim eigentlich ein Grund zur Freude, schließlich können mit Hilfe der Kindertagespflegepersonen (KTPP) doppelt so viele U3-Kinder betreut werden wie allein durch die klassischen Kitas. Und doch ist die Situation zwischen Tageseltern und Verwaltung angespannt.

Im Kinderbildungsgesetz (Kibiz) werden beide Betreuungsangebote – Tageseinrichtungen und Tagespflege – gleichberechtigt behandelt, doch die Realität sieht anders aus, sagt Tagesmutter Jacqueline El-Masri vom Verein „Kinder aus Mülheim“. Als gleichbehandelt fühle sich die Kindertagespflege keinesfalls. Man werde deshalb am Montag vor dem Rathaus demonstrieren.

„Warum werden wir nicht so informiert wie die Kitas?“, fragen die Mülheimer Tageseltern

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Ein Beispiel: Während die Kitas alle relevanten Informationen zur aktuellen Corona-Schutzverordnung vom Amt zur Verfügung gestellt bekommen, existiert ein solcher Informationsfluss in Richtung Kindertagespflege (KTP) nicht, kritisiert El-Masri. Dabei ständen die Tageseltern doch in engem Kontakt zum Amt für Kinder, Jugend und Schule, von dem sie ja auch Geldleistungen beziehen. El-Masri moniert die städtische Argumentation: „Ihr seid selbstständig, also kümmert euch selbst darum.“ Man fühle sich allein gelassen. Jede der derzeit 480 Kindertagespflegepersonen müsse sich allein durch die bürokratischen Verordnungen kämpfen.

Deshalb gründete Jacqueline El-Masri gemeinsam mit anderen zunächst eine Regionalgruppe. Aus dieser ist nun der Verein „Kinder aus Mülheim“ hervorgegangen sowie ein Netzwerk, das alle Beteiligten informiert, unabhängig von der Vereinszugehörigkeit.

Eigentlich müssten den Tagesmüttern zwölf Berater zur Seite stehen

Die Tageseltern haben Anspruch auf eine fachliche Beratung. Derzeit stehen für die 480 Mülheimerinnen und Mülheimer fünf Mitarbeiterinnen der Servicestelle zur Verfügung – laut Gutachten des Deutschen Jugendinstituts werde aber eine Personalrelation von 1:40 empfohlen. Eigentlich also müsste auf je 40 KTPP eine Fachberatung kommen. Hieße für Mülheim: Es müsste zwölf Ansprechpartner geben und nicht nur fünf. Die Tageseltern bemängeln das deutliche Defizit.

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Darüber hinaus ist diese Servicestelle beim Jugendamt angesiedelt, obwohl sie eigentlich als Bindeglied zwischen Eltern, Kindertagespflege und Jugendamt fungieren soll. El-Masri spricht von einem Interessenskonflikt, verteidigt aber im gleichen Atemzug ihre Hauptansprechpartnerinnen Yvonne-Janine Koch und Zein El Dine. „Die leisten super Arbeit.“ Andere Städte und Kommunen haben den Bereich Fachberatung ausgelagert, weiß die Tagesmutter.

Zusagen der Stadt Mülheim seien nicht erfüllt worden, heißt es

Besonders zu schaffen macht den Tageseltern, „dass Zusagen seitens der Stadt nicht erfüllt wurden“, heißt es in einem Schreiben des Vereins. In einer Arbeitsgemeinschaft für Kindertagespflege wollten die Akteure – also Vertreter der Stadt sowie beider Vereine für Kindertagespflege – gemeinsam über die neuen Bedingungen der Abrechnung sprechen: Es sollte generell von einer pauschalen auf eine stundenweise Bezahlung umgestellt werden.

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„Eine angemessene Frist zur Umstellung wurde uns zugesagt“, berichtet El-Masri. Doch stattdessen sei ohne jede weitere Information im Dezember ein Beschluss im Jugendhilfeausschuss ohne Gültigkeitsdatum gefasst worden und ab Mitte Januar gingen gar Bescheide mit Rückzahlungsforderungen ein. Einen Sitz im Ausschuss als beratendes Mitglied strebt der Verein deshalb an.

Tageseltern haben das Gefühl, man lege ihnen immer mehr Steine in den Weg

Es gibt weitere Probleme; die Tageseltern haben das Gefühl, man lege ihnen immer mehr Steine in den Weg. Gestritten wird unter anderem darüber, was passiert, wenn Tageseltern mal krank sind oder im Urlaub. Eigentlich, so wissen El-Masri und ihre Mitstreiter, muss die Stadt für die Kosten einer Ersatz-Betreuung aufkommen. Mülheim aber habe die Frage „frech“ und durchs Hintertürchen regeln wollen. Bei den städtischen Bescheiden ab August 2020 sei plötzlich ein Zusatz aufgetaucht, wonach mit dem Mietkostenzuschuss in Höhe von einem Euro auch die Vertretungskosten abgedeckt seien. „Ohne jede Info!“ Dabei sei die Rechtsprechung in diesem Punkt eindeutig pro Tageseltern.

Rund 1100 Plätze für U 3-Kinder in der Tagespflege

§ 24 II Satz 1 SGB VIII lautet: Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege.

Laut Beschlussvorlage für den Jugendhilfeausschuss am 7. Februar geht die Stadt Mülheim für das Kindergartenjahr 2022/2023 von einer Bedarfsdeckung in Höhe von 48 Prozent (+0,5 Prozent zum Vorjahr) für diese Altersgruppe aus – bei einem statistischen Bedarf von 4784 U3-Kindern (Stichtag 30. September 2020).

Dabei deckten Kitas mit 1198 U3-Plätzen zu 25 Prozent den Bedarf, während auf die Tagespflege mit 1100 Plätzen knapp 23 Prozent entfielen.

Ende vergangener Woche gab es ein Zusammentreffen zwischen Kinder- und Jugenddezernent David Lüngen und Nina Richter vom Verein „Kinder aus Mülheim“. Die Unstimmigkeiten bezüglich der Rückzahlungsforderungen konnten aus dem Weg geräumt werden. Eine Stellungnahme des Jugendamtes lag bis Redaktionsschluss nicht vor. Die Demonstration am Montag um 15 Uhr wird auf alle Fälle stattfinden, sagt El-Masri – genau eine Stunde, bevor der Jugendhilfeausschuss tagt.