Mülheim-Heimaterde. . Uta Dietzel ist Tagesmutter in Mülheim und zugleich Vorsitzende des Vereins für Qualifizierte Kindertagespflege. Im Interview schildert sie, welche negativen Auswirkungen der seit 2013 bestehende Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige für manch eine ihrer Kolleginnen hat.
Wohin mit dem Kinde, wenn junge Eltern zurückkehren an den Arbeitsplatz? Eine Option lautet: Tagesmutter. Stadtweit gibt es 200 Menschen, die sich tagsüber zu Hause um kleine Jungen und Mädchen kümmern. Mittlerweile sind darunter auch Tagesväter. Etwa ein Drittel der Pflegepersonen arbeitet zu zweit oder zu dritt; die meisten jedoch sind Einzelkämpfer. So auch Uta Dietzel (42). Seit 2006 ist die Krankenschwester als Tagesmutter aktiv; aktuell kümmert sie sich neben drei eigenen Kindern um fünf fremde. Zugleich ist sie Vorsitzende des Vereins für Qualifizierte Kindertagespflege und hat als solche einen Überblick über die Mülheimer Szene. Diese Szene habe aktuell ein massives Problem – resultierend aus dem seit 2013 bestehenden Anspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige.
Wie beeinflusst die Möglichkeit, sich den Platz notfalls auch per Klage zu verschaffen, Ihre Arbeit?
Uta Dietzel: Seitdem der Anspruch besteht, werden die U3-Plätze stetig ausgebaut. Dadurch, dass mehr Kita-Plätze für Kleine da sind, nehmen auch mehr Eltern diese Plätze an – unter anderem aus der Sorge heraus, später unversorgt zu bleiben. Andernfalls hätten sie sich wahrscheinlich für eine Tagesmutter entschieden. Einige Kollegen haben aufgrund dieser Entwicklung schon Existenzängste: Sie haben große Probleme, ihre Plätze vollzukriegen. Dabei ist die Kita zu einem so frühen Zeitpunkt sicher nicht immer der beste Weg.
Wie meinen Sie das?
Dietzel: Die meisten Kinder kommen im Alter von einem Jahr zu uns – dann endet das Elterngeld, die Eltern müssen wieder arbeiten. Die Kleinen starten im August und es dauert bis Februar, bis sie zu einer Gruppe gewachsen sind und alle Abläufe kennen. Erst dann können sie von der Situation wirklich profitieren, sind glücklich, ausgeglichen und zufrieden. Früher konnten wir diesen Zustand dann noch anderthalb Jahre genießen, nun müssen sich die Kinder schon im Sommer wieder umgewöhnen, weil dann die Kita beginnt.
Was bedeutet dieser Bruch? Schadet er den Kleinen?
Dietzel: In manchen Fällen sicherlich. Die Kinder werden ja schon nach ganz kurzer Zeit wieder mit etwas Großem und Neuem konfrontiert – das nimmt ihnen die gewonnene Sicherheit. Dieser Schnitt ist für alle Beteiligten ein sehr emotionales Ereignis. Im Alter von drei Jahren geht das in Ordnung, dann haben die Kinder den entsprechenden Entwicklungsstand und dann ist der Kindergarten auch wirklich wichtig, um beispielsweise soziale Kompetenzen zu erlangen – doch mit zwei ist es klar zu früh.
Wie schauen Sie selbst Richtung Sommer, also Richtung Trennung?
Dietzel: Von meinen fünf Tageskindern gehen dann vier. Heißt für mich, ich muss wieder von vorne anfangen – dabei läuft die Gruppe gerade so toll. Die Kinder fühlen sich wohl und können sich auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren: Sie lernen, miteinander zu spielen, zu teilen, Konflikte zu lösen. Und wir sind viel draußen; beim Klettern, Schaukeln und Rutschen schulen sie ihre Motorik und lernen den eigenen Körper kennen.
Was möchten Sie mit Ihrer Kritik bewirken?
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Dietzel: Mir geht es nicht nur um die finanziellen Nöte der Tagesmütter, sondern vor allem um die Frage, was für die Entwicklung des Kindes am besten ist. Ich fordere deshalb, dass die Tagespflege ausgebaut wird und höhere finanzielle Unterstützung erhält. Zurzeit ist es Politik und Verwaltung nur wichtig, dass alle Kita-Plätze belegt werden – ob wir Leerläufe haben, interessiert kaum einen. Dabei weiß ich aus vielen Gesprächen, dass 70 Prozent der Eltern, die sich für U3 entschieden haben, unzufrieden sind und diese Entscheidung so kein zweites Mal fällen würden.