Mülheim. Rollstuhlfahrer Norbert Rausch kann den Briefkasten des Sozialamtes nicht erreichen. Als er um Hilfe bittet, reagiert die Angesprochene pampig.

Rollstuhlfahrer können nur schwerlich ins Sozialamt an der Ruhrstraße gelangen, der Briefkasten ist für sie wegen zwei Treppenstufen unerreichbar. Diese Erfahrung machte kürzlich Norbert Rausch. Der Rollstuhlfahrer musste sich vor Ort auch noch Unfreundlichkeiten anhören, als er um Hilfe bat.

Es sind nur zwei Stufen, die zum Eingang des Sozialamtes an der Ruhrstraße führen – für Norbert Rausch aber sind sie ein unüberwindbares Hindernis. Mit seinem Rollstuhl, den er seit einem halben Jahr nutzen muss, nachdem er einen Schlaganfall erlitten hat, kann Rausch zwar den behindertengerechten Eingang erreichen. Die Rampe führt aber nur zu einer seitlich gelegenen Eingangstür und nicht auf die Ebene, auf der der Briefkasten steht – eine Verbindung, die barrierefrei zu befahren wäre, gibt es nicht.

Vom behindertengerechten Eingang gibt es keinen barrierefreien Weg zum Briefkasten

Auch interessant

Doch genau dorthin, zum Briefkasten, musste der 56-Jährige, um dringende Post ans Sozialamt einzuwerfen, einen Antrag, dessen Frist er tunlichst einhalten wollte. „Ich stand unten vor der Treppe und kam nicht hoch, ich kann ja schlecht aus meinen Rollstuhl raus und die Stufen raufkrabbeln“, beschreibt Norbert Rausch. „Es kam draußen auch niemand vorbei, den ich darum hätte bitten können, den Brief für mich einzuwerfen.“ Also quält er sich mit seinem Rollstuhl die seitliche Rampe zum behindertengerechten Eingang hoch. Diese sei an sich schon problematisch, weil sie recht steil und zudem verwinkelt ist. „Das ist ein desaströser Zustand“, meint Rausch.

Nach einem Schlaganfall ist Norbert Rausch auf einen Rollstuhl angewiesen. Der Mülheimer ärgert sich darüber, dass der Zugang zu städtischen Einrichtungen nicht überall barrierefrei ist wie etwa am Sozialamt an der Ruhrstraße.
Nach einem Schlaganfall ist Norbert Rausch auf einen Rollstuhl angewiesen. Der Mülheimer ärgert sich darüber, dass der Zugang zu städtischen Einrichtungen nicht überall barrierefrei ist wie etwa am Sozialamt an der Ruhrstraße. © Rausch

An besagtem Nachmittag, als er dringend seinen Brief abgeben muss, meistert Rausch also die Rampe und steht vor verschlossener Tür. Wäre er bis zum Briefkasten gelangt, wäre es kein Problem gewesen, dass das Amt nicht mehr für Publikumsverkehr geöffnet war. So aber versucht er sich zu behelfen, indem er an die Scheibe klopft. Schließlich kommt ein Mann vom Sicherheitsdienst an die Tür, den er bittet, den Umschlag für ihn in den Briefkasten auf der Empore zu werfen, erzählt Rausch, erntet aber Ablehnung. Das könne er nicht machen, habe der Security-Mitarbeiter gesagt, berichtet der 56-Jährige.

Auch interessant

„Mit der Freundlichkeit eines Fleischerhundes“ habe die Mitarbeiterin geholfen

Immerhin habe der Mann eine Angestellte des Sozialamtes zum Eingang geholt. „Die war aber mehr als ungehalten.“ Auf seinen Hinweis, dass er nur den Brief fristgerecht abgeben wolle, habe die Sozialamt-Mitarbeiterin auf den Briefkasten gezeigt. Rauschs Reaktion: Ein dezenter Hinweis auf seinen fahrbaren Untersatz. „Nach langem Bitten meinerseits hat die Dame den Brief schließlich mit der Freundlichkeit eines Fleischerhundes entgegengenommen, untermalt von dem Hinweis, beim nächsten Mal doch Hilfe mitzubringen“, erinnert sich der Mülheimer kopfschüttelnd.

Ansprechpartner für Menschen mit Handicap

Die „Arbeitsgemeinschaft der in der Behindertenarbeit tätigen Vereinigungen“ (AGB) ist in Mülheim Ansprechpartnerin für Menschen mit Handicap. Ziel der AGB, deren Vorsitzender Alfred Beyer ist, ist der Abbau materieller und ideeller Barrieren für Menschen, die aufgrund ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands auf die Hilfe anderer angewiesen sind.

Alfred Beyer hat zudem vor über 30 Jahren den Verein für Bewegungsförderung und Gesundheitssport (VBGS) gegründet, der sich ebenso für Inklusion einsetzt. Kontakt: 0208 / 99 57 085 oder per Mail: info@vbgs-muelheim.de. Weitere Infos: vbgs-muelheim.de

Er habe den Vorfall bei der Stadt melden wollen, sagt Norbert Rausch: „Ich habe versucht, die Gleichstellungsbeauftragte zu kontaktieren.“ Bislang allerdings habe er keine Antwort erhalten. Bei der Stadt indes kennt man die Situation an der Ruhrstraße. „Es gibt dort einen behindertengerechten Eingang, aber keinen behindertengerechten Briefkasten“, räumt Stadtpressesprecher Volker Wiebels ein und verdeutlicht: „Wir haben die Räumlichkeiten von Thyssen Schachtbau angemietet, können dort also nur bedingt mitreden, was die Ausgestaltung angeht.“

Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Behindertenvereinigungen missfällt Situation

Die Erfahrung des Sozialamtes sei zudem, berichtet der Stadtsprecher, dass „dort gar nicht so viele Behinderte hinkommen.“ Bei der unfreundlichen Behandlung des Rollstuhlfahrers Rausch müsse es sich „um ein Missverständnis gehandelt haben“, so die Stadt. Immerhin seien die Toiletten in dem Gebäude zwischenzeitlich behindertenfreundlich angepasst worden, so Wiebels.

Behindertenfreundlich, aber noch lange nicht behindertengerecht seien die Toiletten im Sozialamt, moniert Alfred Beyer, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Behindertenvereinigungen. Er kennt die Probleme, die der Zugang am Sozialamt an der Ruhrstraße Gehbehinderten bereitet, und sagt: „Schon alleine die Rampe draußen halte ich für dubios. Aber die Stadt reagiert nicht auf unsere Einwände, sondern zieht sich auf den Standpunkt zurück: An alles, was im Bestand ist, müssen sie, was Barrierefreiheit angeht, nicht ran und sagen, sie haben kein Geld. Wir vermissen da Kooperation vonseiten der Stadt.“