Mülheim. Zu wenig Personal, schlechte Vermittlungsergebnisse und Organisation: Mülheims Jobcenter, die Hartz-IV-Behörde, soll neu aufgestellt werden.
Im 16. Jahr, in dem die Stadt Mülheim in Eigenregie die Betreuung von Langzeitarbeitslosen betreibt, sind offenbar schwerwiegende organisatorische Mängel ausgemacht, die in den Vorjahren auch zu Lasten der Arbeitslosen gingen. Nun soll die Behörde grundlegend umgebaut werden.
Mit dem Start von „Hartz IV“ im Jahr 2005 hatten deutschlandweit 69 Landkreise und kreisfreie Städte die alleinige Trägerschaft der Grundsicherung für Arbeitssuchende übernommen, darunter Mülheim. Kritik daran, wie die Mülheimer Behörde aufgestellt war, war in den vergangenen Jahren immer mal zu vernehmen. Lauter wurde sie, als der heutige OB Marc Buchholz (CDU) 2019 bei Fraktionen des Stadtrates vorstellig wurde, um für sich als neuen Dezernenten unter anderem für den Bereich Soziales zu werben.
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Auf seiner Bewerbungstour in Mülheim hatte der heutige OB Missstände beklagt
Aus seinen Vorstellungsrunden mit den Fraktionen drang seinerzeit an die Öffentlichkeit, dass Buchholz mit Vergleichszahlen unter anderem darauf hingewiesen haben soll, dass Mülheim bei der Betreuung der Hartz-IV-Klientel mitunter deutlich schlechter abschneide als andere NRW-Kommunen.
Angeführt hatte Buchholz in diesem Zusammenhang auch vor gut einem Jahr, dass das Mülheimer Jobcenter (Sozialagentur) personell im Vergleich zu Hartz-IV-Behörden anderer Städte und Kreise nicht gut ausgestattet sei. So hätte jeder sogenannte Fallmanager in Mülheim deutlich mehr Personen zu betreuen als anderswo, nämlich 205 Menschen. Ebenso und noch krasser festzustellen sei dieses Missverhältnis im Bereich der Leistungsgewährung. Folge auch: erhöhte Krankenstände aufgrund der hohen Belastung.
Buchholz: Sparsamkeit beim Personal kommt als Bumerang auf Stadt zurück
Buchholz hatte schon damals beklagt, dass Mülheim dem Jobcenter zu wenig Personal zur Verfügung stelle, obwohl der Bund gut 85 Prozent der Kosten trage. Die Folgen der Sparsamkeit, so Buchholz’ Argumentation seinerzeit, komme als Bumerang auf die Stadt zurück: Trotz des hohen Einsatzes der Mitarbeiter erziele das Jobcenter wegen der dünnen Personaldecke etwa bei der Vermittlung von Arbeitslosen in Jobs nicht die Ergebnisse anderer Jobcenter.
Am Ende nehme sich die Stadt damit die Chance, bei den Kosten der Unterkunft Geld einzusparen. Jeder Mülheimer, der nicht mehr auf Hartz IV angewiesen sei, erspare der Stadt im Schnitt 3500 Euro Unterkunftskosten im Jahr, hatte Buchholz seinerzeit vorgerechnet.
Mülheimer Jobcenter schöpfte Fördermöglichkeiten für Arbeitslose nicht aus
Auch der jüngst abgewickelte Skandal zur Abrechnung von Ein-Euro-Jobs beim Diakoniewerk Arbeit & Kultur, die es gar nicht gab, spielt wohl in die Debatte um die Leistungsfähigkeit des Mülheimer Jobcenters hinein. Obwohl die Hartz-IV-Behörde sich vom Diakoniewerk die Infrastruktur für mehr als 150 solcher Stellen im Monat hatte vertraglich zusichern lassen, kam sie in den Jahren 2016 bis 2018 mitunter nicht ansatzweise in der Vermittlung von Ein-Euro-Jobbern an die gemeinnützige Gesellschaft nach. Das viel zitierte „Fördern“ im gesetzlichen Auftrag an das Jobcenter kam so deutlich zu kurz. Chancen, Mülheimer wieder fit zu machen für einen Job am ersten Arbeitsmarkt, blieben trotz vorhandener Bundesmittel ungenutzt.
Offenbar hat die Stadt zwischenzeitlich schon nachgebessert bei der Personalausstattung. In einer aktuellen Vorlage zum geplanten Umbau des Jobcenters ist vermerkt, dass auf die Mitarbeiter im Fallmanagement und in der Leistungsgewährung mittlerweile deutlich weniger Fälle lasten. In einer Präsentation zu einer Organisationsuntersuchung, die auf Kosten der Gemeindeprüfungsanstalt NRW vonstatten gegangen ist, heißt es allerdings, dass weiter deutlich Luft nach oben ist. Gut 40 Stellen seien im Jobcenter zu schaffen, um eine adäquate Betreuung der aktuell 20.658 Mülheimer in Grundsicherung (9691 Haushalte) bieten zu können und bessere Ergebnisse zu erzielen. Das wäre ein Stellenplus von gut 20 Prozent.
Jobcenter soll eigenständiges Amt mit eigener Leitung werden
Gutachten zu Missständen nicht veröffentlicht
OB Marc Buchholz macht geltend, die Umorganisation in seiner Hoheit ohne politischen Beschluss durchziehen zu können.
Zuletzt im Sozialausschuss bemängelte Filip Fischer als sozialpolitischer Sprecher der SPD dennoch, dass das Gutachten zur Organisationsuntersuchung nicht veröffentlicht ist. Dem Ausschuss lag zu seiner Sitzung nicht einmal die Präsentation der Gutachter vor. Die Verwaltung versandte sie erst auf Aufforderung nach der Sitzung.
Der Sozialausschuss gab dem OB dennoch einstimmig Zustimmung für sein Vorhaben.
Gemäß der Untersuchungsergebnisse soll Mülheims Jobcenter nun so aufgestellt werden, „dass mindestens die in NRW erzielten durchschnittlichen Arbeitsergebnisse erreicht werden“, heißt es nun in einer Vorlage, die der Hauptausschuss in Vertretung des Stadtrates am kommenden Freitag via Beschluss gutheißen soll.
Aufgelistet werden auch zahlreiche organisatorische Mängel im Jobcenter, das seit dem Weggang der engagiert auftretenden Anke Schürmann-Rupp seit zehn Monaten nur kommissarisch geführt wird. So soll das Jobcenter (bisher nur eine Abteilung) spätestens zum 1. Januar 2022 als eigenständiges Amt aus dem Sozialamt herausgelöst werden, um den SGB-II-Bereich besser steuern zu können – mit eigener Führungskraft, deren Stelle ausgeschrieben werden soll.