Mülheim. So barrierefrei, wie man vielleicht denken würde, ist Mülheim anscheinend immer noch nicht. Rollstuhlfahrerin Navya Hesse und ihren Erfahrungen.

In den Bus einsteigen, hinsetzen, fahren und wieder aussteigen – das sollte ja nicht besonders schwierig und etwas völlig Alltägliches sein. Navya Hesse jedoch stellt dies immer wieder vor neue Herausforderungen. Die 29-Jährige leidet an dem Post-Polio-Syndrom und sitzt seit Kleinkindalter im Rollstuhl. Das macht es ihr manchmal ganz schön schwer, denn ganz so barrierefrei, wie mancher vielleicht denken würde, ist Mülheim ihrer Auffassung nach nicht.

„Viele ignorieren das Drücken vom blauen Haltewunsch-Knopf“

Schon eine einfache Busfahrt kann ganz schön nervenaufreibend sein. Viele Menschen reagierten genervt, wenn sie mit ihrem E-Rolli „im Weg“ steht, rollende Augen seien leider keine Seltenheit, erzählt Navya Hesse. „Dabei machen wir Rollstuhlfahrer das ja nicht extra.“ Noch schlimmer sei es beim Aussteigen: Es gibt zwar extra einen blauen Haltewunsch-Knopf für Rollstuhlfahrer. Doch diesen zu drücken, bedeutet laut Navya Hesse noch lange nicht, dass ein Busfahrer kommt, um die Rampe für den Ausstieg aufzuklappen: „Viele ignorieren das Drücken von diesem Knopf einfach. Ich muss regelmäßig durch den ganzen Bus schreien, wenn ich aussteigen möchte.“

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Natürlich gebe es auch nette Busfahrer und auch die Fahrgäste zeigten sich oftmals sehr hilfsbereit. Aber: „Viele Busfahrer sind auch super genervt, wenn sie aufstehen sollen, um mir herauszuhelfen.“ Oftmals passt sie mit ihrem E-Rolli auch schlicht nicht mehr in den Bus hinein. Um Problemen wie diesen zu entgehen, plant Hesse meist mit einem Zeitpuffer: „Ich nehme immer zwei Busse früher.“

S-Bahnfahrten sind schwer: Zu große Spalten und kaputte Aufzüge

Wäre Straßenbahnfahren da nicht eine Alternative? Auf gar keinen Fall, meint Hesse: „Anders als bei Bahnen weiß ich beim Bus wenigstens, dass ich ankomme.“ Eine Aus- und Einsteigerampe gebe es bei den meisten Straßenbahnen gar nicht. Und wenn doch, liege die Haltestelle oft tief, sodass die Rampe viel zu steil sei.

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Hinzu kommt ein oftmals zu großer Spalt zwischen Bahnsteig und Bahn, sodass die Räder stecken bleiben. „Da hofft man dann, dass Leute kommen, die einem helfen.“ Aus diesem Grund versucht Hesse, die Straßenbahn, so gut es geht, zu meiden – besonders die U 18. Denn gerade mit der U-Bahn wird es oft schwierig: „Viel zu oft sind die Fahrstühle kaputt“, berichtet Hesse. Dann heißt es für sie, eine Station weiterfahren, die Seite wechseln, wieder zurückfahren und schließlich hoffen, dass der Aufzug auf der anderen Seite funktioniert.

Gefangen im U-Bahn-System: „Einmal musste ich fünf Stationen weiterfahren“

Das klappt jedoch auch nicht immer: „Einmal musste ich fünf Stationen weiterfahren“, erinnert sich Hesse. Mehrmals hat sie sich wegen solcher Probleme schon an die Stadt gewandt – und nie viel erreicht, Reparaturen wurden oft aufgeschoben.

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Natürlich ist Hesse trotzdem froh über die Entwicklungen bezüglich der Barrierefreiheit in den vergangenen Jahren, denn es habe sich hier bereits einiges verbessert. Aber eben noch nicht genug. Die Gänge in Supermärkten und Geschäften seien oft viel zu eng, Behindertentoiletten und Parkplätze zu selten, Anträge bei Krankenkassen dauerten zu lang. Auch die Wohnungssuche in Mülheim gestalte sich schwierig, oft seien die Türen zu schmal für den Rollstuhl.

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Ein einfacher Kinobesuch muss lange geplant werden

Sogar ein Kinobesuch muss Hesse lange im Voraus planen, denn es gebe nur einen Saal in der Filmpassage mit Plätzen für Rollstuhlfahrer. Allgemein hat die 29-Jährige das Gefühl, dass es in Mülheim nur wenig Hilfsangebote oder Veranstaltungen für Rollstuhlfahrer gibt. „Vieles ist wirklich immer noch ziemlich doof und umständlich für uns. Und dabei wollen wir ja auch raus, wir sitzen schließlich nicht nur drinnen rum.“

„Es wäre schön, wenn wir alle mehr aufeinander eingehen“

Barrierefreiheit in Mülheim

Seit 2009 muss in Mülheim bei Bauarbeiten an öffentlichen Gebäuden, die Eigentum der Stadt sind, eine Checkliste eingehalten werden.

Diese wurde bereits 1989 erarbeitet und behandelt das Thema „Barrierefreies Planen und Bauen im öffentlichen Bereich“. Weitere Informationen dazu sind zu finden auf der Website der Stadt, muelheim-ruhr.de.

In den vergangenen Jahren wurden immer mehr Gebäude und Haltestellen für Rollstuhlfahrer angepasst – aber immer noch nicht genügend. So fehlt zum Beispiel am Busbahnhof in Stadtmitte noch immer ein Aufzug.

Navya Hesse wünscht sich, dass einander häufiger auf Augenhöhe begegnet wird. Denn natürlich: „Ein Mensch, der laufen kann, kann solche Dinge einfach schlecht einschätzen.“ Deshalb müsse mehr Interaktion untereinander erfolgen. „Im 21. Jahrhundert wäre es doch schön, wenn wir alle endlich mal mehr aufeinander eingehen würden.“

Als gutes Beispiel nennt sie das jährliche Sommerfest des Vereins „Rolli Rockers“, bei dem Spenden für sozial schwache, kranke und behinderte Kinder gesammelt werden. Hesse findet: „Veranstaltungen wie diese sollte es viel öfter geben.“