Mülheim. Das Artengutachten für das menschenverlassene Gelände am Mülheimer Heuweg liegt vor. Dort leben nun Fledermaus und Co. Der Abriss birgt Probleme.
Die Vorboten hatten sich schon vor einem Jahr angekündigt, als am Heuweg und Alte Straße die ersten Bäume fielen. In den kommenden Tagen schafft der Eigentümer der ehemaligen Mülheimer Ibing-Brauerei weitere Fakten, an deren Ende der Abriss und eine neue Bebauung stehen. Daran wird wohl auch das Braune Langohr nichts ändern, obwohl das just vorgelegte Artenschutzgutachten es deutlich macht:
Mindestens drei Fledermausarten haben die Experten nachgewiesen und maximal sieben Tiere – dass es mehr sein können, will man nicht ausschließen. Das erwähnte Langohr, die Wasser- sowie die Zwergfledermaus gehören zu den aktuellen Bewohnern der seit 50 Jahren menschenverlassenen Stätte am Hang. Viel Zeit, um es sich gemütlich einzurichten. Fledermäuse bevorzugen offenbar den Keller und das Erdgeschoss. Vor allem im Winter.
50 Jahre menschenleer: Die Brauerei ist zum idealen Rückzugsraum für Tiere geworden
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Auch für andere Tiere scheint das einsame Gelände ein idealer Rückzugsort geworden zu sein, wenn man auch weder die Waldohreule noch andere Eulenarten und auch keine Brutstätten seltener Vögel vorfand. Der Eigentümer hatte dafür schon im vergangenen Jahr Sorge getragen: Da die hohen Bäume gefällt wurden, sei mit selteneren Vogelarten wie Kleiber und Türkentaube – beide nisten in Baumhöhlen – in näherer Zukunft nicht zu rechnen, urteilt das Gutachten.
Das hat auch ein Nisten der Krähen sowie der Nutznießer von Krähennestern wie eben Eulenarten verhindert. Wohl aber gibt es hier solche Vögel, die in NRW verhältnismäßig oft anzutreffen sind: etwa Amsel, Blau- und Kohlmeise, Zaunkönig, Rotkehlchen, die Mönchsgrasmücke.
Was sonst noch kreucht und fleucht
Die Baumfällungen haben jedoch auch Tiere angezogen. So soll die Mauerechse ihre Nase vom Steinbruch aus auch zur südlichen Fassade der Brauerei ausgestreckt haben, seit diese mehr Sonne abbekommt. Mit einem Reptilienschutzzaun versucht man seitdem, eine Besiedlung zu verhindern.
Rare und geschützte Insekten hingegen kann das Gutachten weitestgehend ausschließen. Allerdings hinsichtlich der Mauerbiene lasse sich eine mögliche Besiedlung etwa an den einsturzgefährdeten Mauern weder kontrollieren noch verhindern. Das gelte ebenso für weitere Hummeln- und Käferarten, die durch die Rodung und damit geschaffenen Sonnenstellen angelockt würden. „Dabei handelt es sich aber um häufige Arten und dem im urbanen Bereich allgemein bestehenden Lebensrisiko“, schätzt das Gutachten ein.
Wann darf denn überhaupt abgerissen werden?
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Die enge Taktung von Zeiten, in denen etwa Fledermäuse ihren Winterschlaf abhalten und Vögel wiederum brüten, gibt dem Eigentümer einen engen Fahrplan vor, wann er welchen Teil der Brauerei abreißen darf. So kann der westliche, entlang des Heuwegs führende Teil nur noch bis Ende Februar komplett abgerissen werden. Danach erst wieder ab Oktober. Doch auch hier müssen die Gebäude zuvor auf Vögel und Zwergfledermaus überprüft werden.
An den Gebäuden im östlichen Teil entlang Alte Straße hingegen darf wegen der Fledermaus-Winterquartiere in dieser Zeit nur oberhalb der Kellergeschosse und erschütterungsarm abgetragen werden. So gibt es das Gutachten vor. In beiden Fällen ist eine sogenannte Ökologische Baubegleitung vorgeschrieben. Sollten während des Abrisses vor Ort Vogelbrutstätten oder Fledermäuse gefunden werden, ist der zu verschieben, zumindest aber mit der Baubegleitung abzustimmen.
Die weiteren Abrissarbeiten der Kellergeschosse dürfen hingegen nur während der Sommerzeit erfolgen. Begleitet werde die Aktion von einem Fachgutachter und dem Amt für Umweltschutz, teilt die Stadt mit.
Was geschieht mit den Fledermäusen und anderen Tieren?
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Neben solchen sogenannten „Vermeidungsmaßnahmen“ ist der Eigentümer zu Ausgleichsmaßnahmen verpflichtet. Laut Gutachten will dieser voraussichtlich Ersatzquartiere in Form von Spalten- oder Fassadenflachkästen an den künftigen Neubauten im westlichen Abschnitt anbringen.
Für das Braune Langohr und die Wasserfledermaus allerdings scheinen die Tage auf dem Gelände gezählt zu sein. „Eine Neuschaffung von Quartieren ist grundsätzlich nicht möglich“, bezieht sich das Gutachten auf einen Leitfaden zur „Wirksamkeit von Artenschutzmaßnahmen“.
Für beide Arten müssten Winterquartiere anderswo, in „Strukturen, welche bisher noch nicht besiedelt sind“ geschaffen werden. In Frage kommen allerdings hauptsächlich Stollen, Bunker oder einsame Hangplätze, die zudem noch besondere klimatische Anforderungen etwa geeignete Temperaturen und Luftfeuchtigkeit erfüllen müssen. Bis ein solcher Ersatz in der Umgebung gefunden worden ist, muss das Quartier im östlichen Teil jedoch erhalten bleiben, verlangt das Gutachten.
Der Lebensraum für Tiere in der Stadt wird enger: Im Süden wird massiv gebaut
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Doch der Lebensraum für Batman und Co wird immer enger. Gerade auf den Grün- und Brachflächen im Mülheimer Süden sind etliche Bauprojekte in der Planung: Lindgens, am Steinbruch Rauen, am ehemaligen RWW-Wasserkraftwerk, Tengelmann-Gelände sind große Projekte mit teils mehreren hundert Wohneinheiten und entsprechendem Verkehr vorgesehen.
Ein konkreter weiterer Zeitplan und eine konkrete Planung für das Ibing-Gelände liegen noch nicht vor, gibt die Stadt Auskunft. Sollte ein Bebauungsplan notwendig sein, gehe dieser dann in die Gremien. Möglich wäre aber auch, dass der Investor ohne Bebauungsplan nach § 34 BauGB bauen kann - wenn er sich an die örtlichen Bedingungen halte. Damit blieben die Pläne bis Baubeginn außerhalb der Öffentlichkeit.
Fest scheint dabei zumindest eines zu stehen: Ein guter Teil der tierischen Bewohner wird in den kommenden Tagen die ,Kündigung’ erhalten – wenn die Bagger rollen.