Duisburg. Chalat Saeed wurde zwangsverheiratet, litt unter ihrem Mann. Jetzt lebt sie in Duisburg und ist frei. Anderen Frauen will sie Mut machen.

Deutschland ist ihr „Lebensland“, sagt Chalat Saeed. Weil es vorher nicht viel Leben gab: Im Nordirak wurde die Kurdin eingesperrt und geschlagen, von ihrem Bruder verkauft, von ihrem Mann unterdrückt. In Duisburg, wo sie ein neues Zuhause fand, hat Chalat Saeed nun den Schleier ab-, den Mann hinausgeworfen und alles aufgeschrieben in einem Buch: „Ich wähle die Freiheit“.

Chalat Saeed ist glücklich. Und auch wieder nicht.

So froh, dass Umar fort ist: dieser Mann, der ihrem Bruder zwölf Goldringe bezahlte, um sie zur Frau zu bekommen – da war Chalat nicht einmal 14. Der sie einsperrte in seinem Haus und unter dem Niqab, der ihr das Lachen verbot und alles andere, das Freude machte, im Namen Allahs. „Mir wurde nur gesagt, was ich nicht darf, nie, was ich darf.“

Sie wusste nicht, was ein Islamist ist

Dieser Umar, der sie schlug, bis ihre Nase brach, ihre Trommelfelle barsten, bis die Wohnung in Sulaymaniyah voller Blut war und ausgerissener Haare. Der den Terror im Norden des Irak einen „Plan“ nannte und immer schon vorher wusste, wo am nächsten Tag ein Auto explodieren würde. Aber Chalat, die man früh aus der Schule nahm, weil sie ein Hausmädchen sein sollte nach islamischer Kultur, wusste nicht, was ein Islamist ist.

„Die Mädchen machen den Aufstand“: Chalat Saeed mit ihrer Tochter Nigin (links).
„Die Mädchen machen den Aufstand“: Chalat Saeed mit ihrer Tochter Nigin (links). © Olaf Fuhrmann

Chalat Saeed ist glücklich, weil sie den Mut hatte, sich scheiden zu lassen, sobald sie in Deutschland war. „Es war das Richtige“, sagt sie. Wie das Richtige war, Christin zu werden, weil Jesus, sagt sie, menschlich sei. Es ist ein sonniger Tag, sie sitzt auf einem Brunnenrand in Duisburg, ihr Kleid ist ärmellos, die Waden sind bloß, ihre Tochter Nigin trägt bauchfrei. Man kann die Freiheit sehen, die diese beiden empfinden. „Allah“, sagt Chalat Saeed, 39, „ist ein Gott der Männer.“

Die Geschichte ihres Lebens

Über Frauen wie ihre Mutter, notiert Nigin im Vorwort ihres eben erschienen Buches, „wurde nie geschrieben“. Also hat Chalat Saeed es nun selbst gemacht. Oder es machen lassen: Ihr Flüchtlingshelfer Martin Redies hat aufgeschrieben, was Saeed in vielen, vielen Stunden bei vielen Bechern Tee erzählt hat. Eine Geschichte von Kindheitsträumen und Zwangsehe, von Gewalt und Unterdrückung, die fesselnd wäre in jeder Zeile, selbst wenn sie nicht wahr wäre.

Die Mutter von vier Kindern wollte berichten, wollte ihre Geschichte öffentlich machen: „Für die Frauen, die dasselbe erlebt haben“, die nichts sagen, „weil sie Angst haben“, in denen, heißt es im Buch, „der Islam ausgebrochen ist wie eine Krankheit“. Und für ihre Töchter, damit es ihnen erspart bleibt. „Ich könnte ein neues Leben beginnen, ohne mich umzusehen. Aber das will ich nicht.“ Chalat Saeed will zurückblicken. Weil sie durch ihre Geschichte „stark geworden“ ist „für mein neues Leben“. Aber auch, weil es sie wütend macht, dass so viele andere Frauen sich nicht dasselbe trauen. Sie hat eine Freundin, die sagt: „Ich wünschte, ich hätte etwas von deiner Kraft.“ Und eine andere, „die weiß nicht mal, was ein Konto ist. Das macht mich so zornig“.

Er schrieb die Geschichte auf, als sei er selbst dabei gewesen: Martin Redies.
Er schrieb die Geschichte auf, als sei er selbst dabei gewesen: Martin Redies. © Olaf Fuhrmann

Ex-Mann in Duisburg, Bruder in Bochum

So zornig, dass sie manchmal ihre Angst vergisst. Und Chalat Saeed hat große Angst. Vor ihrer Familie, für die sie eine Schande ist, deren „Ehre“ sie verletzt hat. Vor ihrem Bruder, der in Bochum wohnt und dessen Frau jetzt die Goldringe trägt, für die sie einst verkauft wurde. Vor dem Ex-Ehemann, der immer noch in Duisburg ist und gegen den, das hat sie gehört, die Polizei ermittelt. „Ich will mir nicht mal vorstellen, was passiert, wenn er erfährt, dass ich dieses Buch geschrieben habe. Wenn er das herausfindet, könnte er mir und den Kindern etwas antun.“

Trotzdem würde die gelernte Näherin es wieder schreiben. „Ich freue mich, dass ich reden darf und andere daraus lernen.“ Sie will, dass die Menschen erfahren, dass Kurdinnen im Nordirak behandelt werden „wie Haustiere“, schlimmer noch: „Wie Vieh.“ Sie findet es „scheißegal“, Tochter Nigin übersetzt das genau so, „was ich noch verliere, ich kämpfe weiter“. Saeed spricht langsam, aber gut deutsch nach drei Jahren in Duisburg, obwohl sie noch keinen Sprachkurs gemacht hat. Nur diese wichtigen Botschaften lässt sie lieber ihre Tochter übermitteln. „Wenn wir mit diesem Buch anderen das Leben retten können...“, sagt die.

Chalat Saeed würde gern Busfahrerin werden

Möglich, dass Chalat Saeed auch ihre eigene Zukunft rettet. Noch hat sie keine sichere Bleibeperspektive in Deutschland, auch ihren Job als Näherin hat sie verloren: Die Firma hat Pleite gemacht. Gerade macht die 39-Jährige ihren Führerschein, sie würde gern auch noch mal in die Schule gehen oder, besser noch: Bus fahren. Oder Straßenbahn. Sie lacht. Sie meint es ernst.

Nigin, inzwischen 18, will Rechtsanwältin werden oder Richterin. Es sei wegen ihres Lebens, sagt sie. „Ich will einfach Gerechtigkeit. Die hatte ich nie.“ Nigin möchte bald selbst ein Buch schreiben. Es wird eine andere, es wird ihre Geschichte. „Im Islam“, sagt sie, „machen die Töchter den Aufstand.“