Das Land Nordrhein-Westfalen fordert auch von Mülheimer Selbstständigen bis Oktober 2022 die Corona-Soforthilfen zurück. Das gefällt nicht jedem.
Es waren keine schönen Nachrichten, die vielen Selbstständigen in den vergangenen Wochen ins Haus flatterten: Das Land fordert die im vergangenen Jahr ausgezahlten Corona-Soforthilfen zurück. Bei vielen sorgt das für Ärger.
Im Frühjahr, genauer am 22. März, beschlossen die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Dazu gehörten auch die Schließungen aller Friseurgeschäfte. „Von einem auf den anderen Tag konnten wir sechs Wochen lang kein Geld verdienen“, sagt eine Friseurin aus Speldorf, die nicht namentlich genannt werden möchte. Umso dankbarer waren sie sowie ihre Kolleginnen und Kollegen über die größtenteils unkompliziert ausgezahlten Corona-Soforthilfen in Höhe von 9000 Euro.
Erste Wochen des Lockdowns flossen nicht in die Berechnung ein
Allerdings bemängeln gerade Beschäftigte aus der Friseurbranche, dass das Geld erst etwa zwei Wochen später beantragt werden konnte und die Berechnung erst mit dem Tag des Antrags startete. Damit flossen die ersten beiden Wochen des Lockdowns nicht mit ein, wohl aber die Zeit nach dem 1. Mai, wo Friseurinnen und Friseure zum Teil Sonderschichten schoben, um möglichst viele Kundinnen und Kunden zu bedienen und die Verluste der vorangegangenen sechs Wochen wieder auszugleichen.
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Wer damals geackert hat, sei jetzt der Gelackmeierte, sagen manche. Die 2000 Euro „Unternehmerlohn“ reichten vorne und hinten nicht. Den Frust kann auch Eva Melchers, stellvertretende Obermeisterin und Pressesprecherin der Friseurinnung Mülheim, gut nachvollziehen. „Wir sind in eine Situation gekommen, die wir in unserem ganzen Berufsleben noch nie hatten“, sagt sie. Als die Antragstellung begann, hätten die Mitglieder des Innungsvorstandes bis spät in die Nacht mit Kolleginnen und Kollegen kommuniziert, damit die Anträge richtig versandt werden konnten.
Innung kommunizierte bis tief in die Nacht mit ihren Betrieben
Eva Melchers bricht aber auch eine Lanze für die andere Seite. „Dass die Landesregierung das überprüft, muss einem klar gewesen sein“, betont die Mülheimerin. Schließlich seien die Soforthilfen nur für laufende und bestehende Betriebskosten während des Tätigkeitsverbots vorgesehen gewesen sowie für neue Kosten etwa für die Anschaffung von Hygienemitteln. All das muss nun anhand von Belegen nachgewiesen werden.
Die stellvertretende Obermeisterin befürchte, dass der ein oder andere Betrieb die Überbrückungshilfen falsch verstanden haben könnte. „Dabei waren die Voraussetzungen in den Anträgen klar zu erkennen“, findet Melchers. Die Innung habe daher klar an ihre knapp 60 Betriebe (von insgesamt 150 in Mülheim) appelliert: „Lest Euch bitte die Voraussetzungen durch.“
Stellvertretende Obermeisterin aus Mülheim: „Voraussetzungen waren klar zu erkennen“
„Ich kann den Frust und die Bitterkeit völlig verstehen, aber es war von vornherein klar“, sagt Eva Melchers. Die Corona-Hilfen seien nur als reine Überbrückung zu verstehen gewesen. Wer vorher schon Stundungen oder gar ein Insolvenzverfahren hatte, dem stand das Geld gar nicht erst zu. „Wenn ein Betrieb nicht richtig aufgestellt war, hatte er nun richtige Probleme“, bedauert Melchers.
Bis zum ursprünglichen Fristende am 31. Oktober haben laut Steuerzahlerbund 15 Prozent der Antragssteller noch keine Rückmeldung übermittelt. Diese Frist wurde nun bis zum 17. Dezember verlängert. Eva Melchers rät ihren Kolleginnen und Kollegen, sich von sich aus um das Thema zu bemühen oder sich gegebenenfalls an die Innung oder die Kreishandwerkerschaft zu wenden. Zurückgezahlt werden muss das Geld ohnehin erst bis Ende Oktober 2022.
Land zahlt 4,5 Milliarden Euro aus
Ob die Soforthilfen in der Form überhaupt zurückgezahlt werden müssen, ist Gegenstand von Auseinandersetzungen vor Gericht. Die Interessengemeinschaft „NRW-Soforthilfe“ argumentiert, dass Rahmenbedingungen erst nachträglich kommuniziert worden wären.
Ein Sprecher des NRW-Wirtschaftsministers Andreas Pinkwart (FDP) hält dagegen: „In den Bewilligungsbescheiden war von Anfang an klar geregelt, dass über den individuellen Liquiditätsengpass hinausgehende Mittel zu einem späteren Zeitpunkt zurückgezahlt werden müssten.“
Insgesamt zahlte die Landesregierung im Frühling 2020 an 426.000 Solo-Selbstständige, Freiberufler und Kleinunternehmer eine Summe von 4,5 Milliarden Euro aus.