Mülheim. Mitglieder der „Freiheitsboten“ verbreiten Verschwörungserzählungen. Auch die Mülheimer Ortsgruppe wittert hinter der Pandemie geheime Mächte.

Sie halten die Corona-Pandemie für eine weltweite Inszenierung der Regierungen und machen gegen die Corona-Auflagen Front: In der Mülheimer Ortsgruppe der „Freiheitsboten“ treffen sich im Messengerdienst Telegram Corona-Leugner, Impfgegner, Rechte und Esoteriker zum täglichen Chat. Wir haben eine Zeit lang mitgelesen.

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Wer auf Telegram das Stichwort „Mülheim“ in die Suche eingibt, findet schnell die Gruppe „Mülheim/Ruhr Freiheitsboten“, die rund 140 Mitglieder hat. Die aktiven Nutzer teilen täglich Artikel, Videos oder Links zu Beiträgen anderer Kanäle. Meist sind sie politischen Inhalts, immer richten sie sich gegen die aktuellen Corona-Maßnahmen. Denn das eint die Mitglieder im Geiste: ein grundlegendes Misstrauen gegen Wissenschaftler, Politiker, Polizisten, Journalisten, kurz „das Regime“. Mitmenschen, die sich an die Regeln halten, nennen sie „Unwissende“, „Pandemimis“, „Zeugen Coronas“ oder „Schlafschafe“.

Viele Teilnehmer glauben, die US-Wahl sei gefälscht worden

Die Timeline offenbart ein Sammelsurium verschiedenster Menschen und ihrer Verschwörungserzählungen: Die „Lichtwächterin“ ist etwa davon überzeugt, mindestens 150 Jahre alt zu werden, weil lineare Zeit nur eine Täuschung sei, die uns über Jahrtausende einprogrammiert wurde. Ein anderer teilt einen Beitrag, der beweisen soll, dass alle Länder dieser Welt keine souveränen Staaten seien, sondern Firmenkonstrukte der Finanzmafia.

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Bei der Erstürmung des Kapitols durch Anhänger des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump stach QAnon-Anhänger Jacob Chansley  besonders ins Auge.
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Ein Nutzer schreibt: „Was wir jetzt sehen, ist ein Theater, um die Menschen aufzuwecken. Trump & Co. haben die Vorarbeit geleistet. Befreien müssen wir Menschen uns selber. Jeder für sich.“ Genau wie Ex-Präsident Trump glauben viele Telegram-Teilnehmer, die US-Wahl sei gefälscht worden. Die Stürmung des Kapitols durch seine Anhänger halten sie für inszeniert, um Trumps Lager in Verruf zu bringen.

Rechtsextremes Magazin macht Werbung für seine Artikel

Eine Nutzerin propagiert die „Germanische Heilkunde“ des zu Lebzeiten verurteilten Betrügers Ryke Geerd Hamer, der schwere Erkrankungen wie Krebs durch „die Lösung innerer Konflikte“ heilen wollte und dem zahlreiche gutgläubige Patienten zum Opfer fielen. Wem das nicht genug ist, findet im Chatverlauf noch Werbung für kostenlose „Ich lasse mich nicht Zwangsimpfen"-Aufkleber oder einen Link zu dem „Kinderbuch“ „Paul, das Schlafschaf“, ein Tier, das sich an die Regeln des bösen Schäfers „Manni“ hält und am Ende tot in einem Container landet. Die Botschaft: „Wacht endlich auf! Niemand will euer Bestes!“

„Freiheitsboten“ als Flyer-Verteiler?

Telegram ist ein Soziales Netzwerk, das – anders als Twitter, Facebook oder Whatsapp – keine rechtswidrigen Inhalte filtert und auch nichts gegen Desinformationen unternimmt.

Die Gruppierung „Freiheitsboten“ wurde ursprünglich vom Arzt und Corona-Gegner Bodo Schiffmann ins Leben gerufen, der seit Mai 2020 Verschwörungstheorien zur Corona-Pandemie verbreitet und sich an Protesten gegen die Pandemie-Maßnahmen beteiligt.

Die Mitglieder der „Freiheitsboten“ verteilen bundesweit Flyer mit Desinformationen zur Corona-Pandemie und dem Thema Impfen. Ob sie auch hinter der letzten Flyer-Aktion in Styrum stehen, kann zumindest angenommen werden, da in einer der Wurfsendungen auf eine Internetseite der Freiheitsboten verwiesen wird und Bodo Schiffmann als Absender im Impressum auftritt.

Auch das „Compact-Magazin“, als „rechtsextremer Verdachtsfall“ vom Verfassungsschutz beobachtet, macht im Mülheimer Kanal regelmäßig Werbung für seine Artikel. Manche Beiträge rufen gar zu Gewalt auf: „(...) Glaube manchmal, dass nur noch Gewalt hilft, um die Deppen da zu stürzen. Richter, Polizei, Beamte, Medien – alle spielen mit. Es wird brennen müssen.“

Wie ordnet die Polizei solche Aussagen ein?

Polizei: Die Aktivitäten der Freiboten werden fortlaufend bewertet

„Der Polizei Essen ist diese Gruppierung bekannt“, sagt Polizeisprecher Pascal Schwarz-Pettinato. „Unserer Einschätzung nach handelt es sich hierbei allerdings nicht um eine Ortsgruppe der Querdenkerbewegung.“ Diese wurde etwa in Baden-Württemberg im vergangenen Dezember als rechtsradikal eingestuft. Dennoch habe die Polizei die Gruppe „im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten im Blick“. Hinweise auf weitere „Querdenker-Gruppen“ in Mülheim habe die Polizei aktuell nicht.

Die Aktivitäten der „Mülheimer Freiheitsboten“ seien jedoch „in unserem Zuständigkeitsbereich gering und werden fortlaufend bewertet“. Häufig sind die Beiträge in der Gruppe beleidigend gegenüber Minderheiten, auch werden Zitate von Politikern gepostet und diese in Verbindung mit dem Nationalsozialismus gebracht. Ab wann werden solche Beiträge strafrechtlich relevant?

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„Beiträge mit beleidigenden oder volksverhetzenden Inhalten können immer zur Anzeige gebracht werden. Ob die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen letztlich auch vorliegen, entscheiden dann die Staatsanwaltschaften“, erklärt Pascal Schwarz-Pettinato und schiebt hinterher: „Hinweise auf strafbare Handlungen nehmen wir sehr gerne entgegen.“