Mülheim. Der Vorsitzende schmeißt hin, ein anderer erhebt Rassismus-Vorwürfe gegen Vorstände: Turbulent geht’s zu beim Bürgerlichen Aufbruch Mülheim.

Als eine Art Verstärkung der besonderen Art, als ein Ausrufezeichen für die selbst vermutete Popularität der eigenen Wählergemeinschaft hatte der Bürgerliche Aufbruch Mülheim vor der Kommunalwahl 2020 personellen Zuwachs aus vorderster Reihe der Grundsteuer-Demonstranten verkündet. Keine zwei Jahre später steht der BAMH vor einem Scherbenhaufen. Nun warf der zuletzt erst frisch gewählte Vorsitzende hin.

Dieser Vorsitzende, es war Alexander Kocks, dereinst einer der Initiatoren, die den Bürgerprotest gegen die massive Erhöhung der Grundsteuer mit mehr als 700 Menschen vor Mülheims Rathaus organisiert hatten. Kocks hatte sich vor der Wahl 2020 wie einige Mitstreiter dem BAMH angeschlossen. Anfang September wählten ihn die Mitglieder der Wählergemeinschaft gar zum Vorsitzenden, als Nachfolger für den einzig verbliebenen Stadtverordneten des BAMH, Frank Wagner.

Initiator der Mülheimer Grundsteuer-Demo, Alexander Kocks, schmeißt entnervt hin

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Der BAMH, der sich 2016 gegründet hatte im Zusammenschluss von Ratsmitgliedern von CDU, AfD und MBI und 2020 bei seinem ersten Antritt bei einer Kommunalwahl krachend an seinen Zielen vorbeigerauscht war (1,8 Prozent, ein Ratsmandat), sah sich nach offizieller Mitteilung im September noch „hervorragend aufgestellt“ im Vorstand. Nun aber hat der Vorsitzende Ende Oktober seinen Rücktritt erklärt, wegen „unüberwindbarer Differenzen“, wie Kocks selbst schmallippig kundtat.

Auf Nachfrage der Redaktion wurde Kocks nun deutlicher, auch weil ihn die Redaktion mit mitunter bündnisinternen Chats konfrontierte, die im Umlauf sind. Maßgeblich für seinen Entschluss, dem BAMH nach nicht einmal zwei Jahren den Rücken zu kehren, war demnach, dass Kocks keinen Rückhalt für seine strategische Planung sah. Wie aus anderer Quelle bestätigt, hatte Kocks bei der Mitgliederversammlung Anfang September seine Marschroute ausgegeben, den BAMH mit Blick auf die nächste Kommunalwahl an die Freien Wähler anzudocken.

Alexander Kocks: „Ich wollte alles komplett auf links drehen“

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Er selbst sagt: „Ich wollte alles komplett auf links drehen.“ Dazu sollte ein neues auch jenes BAMH-Wahlprogramm ersetzen, das in seinen Grundzügen weiter klar die Handschrift des unrühmlich geschassten Ex-Fraktionschef Jochen Hartmann trug – und von diesem 2014 schon für den AfD-Wahlkampf entworfen worden war.

Das Andocken an die Freien Wähler soll beim BAMH schon länger diskutiert worden sein nach dem Debakel bei der Wahl 2020. Die Mitgliederversammlung soll hierfür auch keinen Widerspruch formuliert haben, erst im Nachgang soll Kocks deutlich der Wind ins Gesicht geblasen sein. Für Kocks fühlte sich das an „wie ein Messer im Rücken“.

Liebäugelt Kocks damit, in Mülheim die Freien Wähler zu etablieren?

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Wochenlange intensive Arbeit am Thema sei umsonst gewesen. Die Konsequenz für Kocks: der enttäuschte Rückzug. Für ihn sei politisch „nun erst mal Pause“, so der allein erziehende Vater aus Styrum. Ein Comeback sei aber in Planung, nur noch nicht spruchreif. Mit was Kocks liebäugelt, verriet er nicht. Jedenfalls schloss er aus, sich einer anderen Partei oder Gruppe im Mülheimer Stadtrat anzuschließen. So bleibt offen, ob Kocks womöglich im Alleingang versuchen könnte, die Freien Wähler in Mülheim salonfähig zu machen. Bei der Bundestagswahl erreichten sie mit einem Kandidaten des Essener Bürger Bündnisses 0,5 Prozent der Zweitstimmen in Mülheim.

Sven Weisenhaus und Alexander Kocks (von links) waren die Köpfe des Mülheimer Protestes 2019 gegen die satte Erhöhung der Grundsteuer um 39 Prozent. Hier übergibt Kocks’ Tochter Loreley  im Februar 2019 die Unterschriften der Initiative „AufRuhr“ an den damaligen OB Ulrich Scholten und Kämmerer Frank Mendack.
Sven Weisenhaus und Alexander Kocks (von links) waren die Köpfe des Mülheimer Protestes 2019 gegen die satte Erhöhung der Grundsteuer um 39 Prozent. Hier übergibt Kocks’ Tochter Loreley im Februar 2019 die Unterschriften der Initiative „AufRuhr“ an den damaligen OB Ulrich Scholten und Kämmerer Frank Mendack. © Martin Möller / Funke Foto Services | Martin Möller

Kocks könnte dafür womöglich in Sven Weisenhaus einen Mitstreiter schon gefunden haben. Weisenhaus, einst ebenso wie Kocks beim Grundsteuer-Protest an vorderster Front aktiv, hat dieser Tage ebenfalls den BAMH verlassen. Der Redaktion liegen Facebook-Chats vor, in denen Weisenhaus Teile des BAMH-Vorstandes scharf kritisiert. „Schwulenfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit und Fake-News, insbesondere im Hinblick auf die Corona- und die Klimakrise, sind für mich ein KO-Kriterium bei meinem politischen Engagement“, erklärte Weisenhaus da.

Kritik: Schwulen- und fremdenfeindlich, Klima- und Corona-Krise wird geleugnet

Gegenüber dieser Redaktion wiederholte er seinen Vorwurf aus dem sozialen Medium, dass Teile des Vorstandes nicht nur jene beklagenswerten Äußerungen und Posts trotz seines Protestes toleriert hätten, sondern selbst davon nicht abgelassen hätten. Im Facebook-Chat hatte Weisenhaus in dieser Hinsicht auch Frank Wagner als einzig verbliebenes Ratsmitglied und stellvertretenden Vorsitzenden des BAMH kritisiert, „die fragwürdigen Themen in die Wählergemeinschaft hineingetragen“ zu haben.

Weisenhaus kritisierte, dass Wagner „es nicht unterlässt, fragwürdige Inhalte in den BAMH hineinzutragen und damit zu riskieren, dass der BAMH mit der AfD in einen Topf geworfen oder gleichgesetzt wird. Auch ist er und andere Mitglieder des BAMH meiner Aufforderung nicht nachgekommen, sich von solchen Inhalten klar zu distanzieren.“

Abfällige Bemerkungen wie „Kopftuchträger“ für Menschen mit Migrationshintergrund seien für ihn ebenso nicht tragbar wie längst durch Faktenchecks widerlegte Youtube-Videos von Leugnern der Klima- und Corona-Krise in den Whatsapp-Chat der Wählergemeinschaft zu stellen, so Weisenhaus nun im Gespräch mit der Redaktion. Es gebe eine Vielzahl solch „problematischer“ Chatbeiträge.

BAMH-Vize Wagner weist Vorwürfe zurück und lehnt Anschluss an Freie Wähler ab

Für den Bürgerlichen Aufbruch Mülheim aktiv in Stadtrat und Vorstand: Frank Wagner.
Für den Bürgerlichen Aufbruch Mülheim aktiv in Stadtrat und Vorstand: Frank Wagner. © BAMH

BAMH-Vize Wagner weist die Vorwürfe von Weisenhaus („ein Störenfried“) zurück. Man könne „absolut“ nicht davon sprechen, dass im Chat fremdenfeindlich oder homophob agiert werde, wenn auch nicht auszuschließen sei bei einer Gruppe von 20 Leuten, „dass da mal ein blöder Satz gefallen ist“. Wagner betonte, dass sich der BAMH bewusst von der AfD distanziere – und dies in der Vergangenheit auch dazu geführt habe, „dass wir uns von Leuten getrennt haben“, so das Ratsmitglied in Anspielung auf die Trennung vom Ex-Fraktionsvorsitzenden Jochen Hartmann, dem solche Entgleisungen intern vorgeworfen wurden, ohne das diese bestätigt wären.

Wagner bestätigt für den BAMH die Gefahr einer Spaltung. Rund die Hälfte der rund 30 Mitglieder liebäugele mit einem Wechsel zu den Freien Wählern, einige hätten ihn schon vollzogen. Wagner selbst stellt für sich fest, den BAMH eigenständig halten zu wollen. Er lehne es ab, die lokalpolitische „Freiheit, die wir jetzt haben“, aufzugeben und sich in das Korsett einer Partei zu zwängen.

Sollte eine BAMH-Mitgliederversammlung den Übergang zu den Freien Wählern beschließen, was laut Wagner mit einfacher Mehrheit möglich wäre, wird er wohl nicht mitgehen: „Ich fühle mich da nicht zu Hause.“