Mülheim. Für Schüler aus Mülheim-Selbeck und Saarn ist der 753er unentbehrlich, sagen Eltern. Auch die Luisenschule könnte ohne den Bus Probleme bekommen.
Annette Riegel (47) war „geschockt“, als sie in der Zeitung las, dass die Buslinie 753, die Ratingen mit dem Mülheimer Hauptbahnhof verbindet, mit Inkrafttreten des neuen Nahverkehrsplans eingestellt werden könnte. Ihre Tochter, die erst in diesem Sommer auf die Luisenschule gewechselt ist, nutzt den Bus regelmäßig, um zwischen ihrem Zuhause in Saarn und dem Gymnasium am Oppspring zu pendeln. „Der kurze Schulweg ist bestechend“, so die Mutter. Er war einer der Hauptgründe für die Wahl der weiterführenden Schule in Holthausen.
Wenn die Zehnjährige regulär von 8 bis 13 Uhr Unterricht hat, kann sie als Alternative zum 753er auch gut mit dem Einsatzbus (E-Bus) fahren. Dieser aber verkehrt nur zu Stoßzeiten, einmal am Morgen und einmal am Mittag. Wenn die Schule zu anderer Zeit beginnt oder endet, ist die Tochter auf den 753er angewiesen, betont Riegel. Oder das Kind müsste mit anderen Linien den großen Bogen über die Innenstadt fahren – ein Umweg, den die Familie nicht akzeptieren möchte.
Mit dem Rad von Mülheim-Saarn zum Oppspring hochzufahren, ist keine Alternative
Radfahren sei ebenfalls keine Alternative: Dann müsste das Mädchen die stark befahrene Saarlandstraße hochstrampeln oder sich durch den gerade im Winter oft dunklen Witthausbusch kämpfen. „Das würde ich ihr nicht erlauben“, so die Mutter.
Bliebe nur das vielgescholtene Elterntaxi. Doch das lehnen selbst weiter entfernt lebende Familien ab: „Schon allein, weil ich immer gedacht habe, wir wollen eine Art Mobilitätswechsel hinbekommen“, so Christian Poets aus dem Neubaugebiet in Selbeck, „dazu passt eine Einschränkung des Nahverkehrs nicht.“ Der 51-Jährige, dessen mittlerer Sohn (12) die Luisenschule besucht, äußert zwar „Verständnis für die Sparzwänge der Kommune“, fordert aber mehr Kreativität beim Finden von Lösungen. Sein jüngstes Kind soll dem älteren Bruder eigentlich ab 2022 auf das Sportgymnasium folgen. „Unter den jetzt angedachten Bedingungen wäre das nicht möglich.“
Ohne den 753er wären die Töchter „von Tür zu Tür rund 70 bis 80 Minuten unterwegs“
„Wir in Selbeck fühlen uns oft vergessen“, sagt Katja Apeltrath (50), die unmittelbar hinter der Stadtgrenze auf Ratinger Stadtgebiet lebt, ihren Lebensmittelpunkt aber in Mülheim hat. Schon allein wegen der beiden Töchter, die seit Jahren auf die Luisenschule gehen. Die 13- und die 17-Jährige brauchen die Linie 753 dringend. Andernfalls nämlich wären sie zweimal täglich „von Tür zu Tür rund 70 bis 80 Minuten unterwegs“. So lang würde es wohl dauern, schätzt Apeltrath, wenn die Direktverbindung entfiele und der Nahverkehr nicht mehr zügig über die Mendener Brücke verlaufe, sondern auf der anderen Ruhrseite über die Broicher Mitte. „Dort müssten sie dann in die Straßenbahn steigen und in der Innenstadt erneut umsteigen. Das wäre inakzeptabel.“
Fahrgemeinschaften sind denkbar, ja, aber sie sind nicht das, was die Eltern wollen: Die Kinder sollen selbstständig werden. Und es sollen sich in die enge Straße An den Buchen nicht noch mehr Elterntaxis quetschen als jetzt schon. Ohne 753er müsse es „eine deutlich höhere Frequenz der E-Busse“ Richtung Oppspring geben, fordert Apeltrath. Die „oft übervollen“ Busse müssten dann aber auch deutlich „pünktlicher sein“ und dürften „nicht mehr so häufig ausfallen“.
Auch an Bezirksbürgermeisterin Elke Oesterwind wollen sich die Eltern wenden
Man erfahre von vielen Eltern aus Selbeck und Saarn, dass sie die Ideen zum neuen Nahverkehrsplan kritisch sehen. Oberbürgermeister Marc Buchholz sei eingeschaltet worden, auch an Bezirksbürgermeisterin Elke Oesterwind wolle man sich wenden.
Dr. Heike Quednau, Leiterin der Luisenschule, sieht die Entwicklung ebenfalls mit Besorgnis: Sie habe aus einigen Familien gehört, dass man wohl oder übel darüber nachdenken müsse, das Kind von der Schule zu nehmen, falls der 753er abgeschafft wird. Aktuell kommen exakt 279 ihrer Schüler und Schülerinnen aus dem Postleitzahlenbezirk 45481, sprich aus Saarn oder Selbeck, und die allermeisten reisten mit besagter Linie an. „Und es beträfe ja auch künftige Kinder, die dann erst gar nicht mehr bei uns angemeldet würden.“ Die Otto-Pankok-Schule sei im Übrigen auch betroffen von den Planungen, „auch dorthin kommen viele Schüler mit genau dieser Verbindung“.
Gymnasium Broich hat keine Kapazitäten, um viele weitere Kinder aufzunehmen
Quednau hat zu dem Thema auch mit Kollegin Angela Huestegge gesprochen, die das einzige Gymnasium auf der anderen Ruhrseite leitet. Diese habe ganz klar gesagt, dass das Gymnasium Broich gar keine Kapazitäten habe, um etliche weitere Schüler aufzunehmen. Schon in diesem Frühjahr lagen dort so viele Anmeldungen zur fünften Klasse vor, dass Huestegge neun Kindern eine Absage schicken musste.
Schulbusse sollen Lücke nach Selbeck schließen
Aktuell fahren drei Busse von Selbeck halbstündlich oder stündlich zum Mülheimer Hauptbahnhof – es sind die Linien 131, 752 sowie 753. Innerhalb von spätestens 30 Minuten schafft man die Strecke zu dem wichtigen Nahverkehrsknoten.
Mit dem neuen System, das Parallelverkehre vermeiden will, gibt es vielleicht bald nur noch die Verbindungslinie V2. Diese soll im halbstündigen Takt verkehren und weitestgehend der heutigen Linie 131 folgen – bis zur Broicher Mitte. Wer dann weiter zum Bahnhof will, muss in die Straßenbahn 102 umsteigen. Eine direkte Verbindung in die Innenstadt wäre dann nicht mehr gegeben.
CDU und Grüne haben aktuell Vorschläge zur Verbesserung der Anbindung aus Selbeck zum Oppspring in den Nahverkehrs-Entwurf eingebracht: So soll ein südlicher Ringbus einen schnellen Umstieg an der „Alte Straße“ in Saarn möglich machen. Selbeck würde dann aber noch immer der direkte Anschluss an den Oppspring fehlen.
Zumindest was die Schülerinnen und Schüler aus Selbeck betrifft, kann der noch zu planende Schulbusverkehr diese Lücke schließen, kündigt der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Timo Spors, an.
Noch ist der Nahverkehrsplan nicht beschlossen, noch dürfen die Eltern hoffen, dass es doch anders ausgeht als befürchtet. Laut Roland Jansen, stellvertretender Leiter des Mülheimer Amtes für Verkehrswesen und Tiefbau, wolle man „der Politik bis Anfang 2022 etwas Beschlussreifes vorlegen“, vorab aber noch viele Fragen klären. Man müsse beim Nahverkehr insgesamt zwei Millionen Euro einsparen, da gehe kein Weg dran vorbei. Doch in Stein sei noch nichts gemeißelt. „Uns liegen schon eine Menge Anträge auf Veränderungen vor.“
„Umsteigen ist sicher eine Komforteinbuße“, so der Verkehrsplaner
Es werde „auf jeden Fall weiterhin einen Bus von Saarn zum Oppspring“ geben, wie das mit Selbeck aussehe, könne er noch nicht sagen, so Jansen. Er verstehe, „dass Umsteigen eine Komforteinbuße ist“, doch das Wechseln von einem Fahrzeug zum anderen bedeute nicht unbedingt, dass man sich langsamer von A nach B bewege. Im Gegenteil: Wenn man auf direkterem Wege fahre, Haltestellen so umbaue, dass man schnell umsteigen kann, und die Ruhrbahn pünktlicher unterwegs sei, könne man „am Ende vielleicht sogar schneller werden“.
Ob zusätzliche E-Busse eingesetzt werden, entscheide man übrigens erst, wenn das Netz beschlossen ist. Vorab werde man ganz sicher auch Gespräche mit allen beteiligten Schulen führen, verspricht Jansen.