Mülheim. Auf dem Mülheimer Kahlenberg startete am Montag der erste Lauftreff für seheingeschränkte Menschen. Ein Besuch vor Ort.
Die neueste Trainingsgruppe auf dem Mülheimer Kahlenberg-Sportplatz ist bereits von Weitem zu erkennen. Mehrere Teilnehmerinnen tragen neonfarbene Warnwesten, auf denen wahlweise „Blind Runner“ oder „Blinden Guide“ steht. Der SC Eintracht Mülheim stellt den ersten Lauftreff für Menschen mit einer Sehbehinderung.
„Die werden morgen alle böse sein, weil sie Muskelkater haben“, scherzt Nicole Appelmann, während die restliche Gruppe bereits mit Dehnübungen beschäftigt ist. Die frühere Leichtathletin hat die neue Trainingsgruppe ins Leben gerufen. „So etwas gibt es sonst auch in Essen oder Oberhausen nicht“, stellte sie einen echten Bedarf fest.
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Die gebürtige Mülheimerin ist selbst seit dem Teenageralter sehbehindert und musste 2019 nach einem Keimbefall auf dem linken Auge einen weiteren Rückschlag ihrer Sehkraft wegstecken. „Der Sport hat mir Kraft gegeben, nicht aufzugeben, auch wenn vieles heute nicht mehr möglich ist“, erzählt sie.
SC Eintracht hat Erfahrung mit Inklusion
Über die Stadt Mülheim und hier insbesondere die ehemalige Bürgermeisterin Margarete Wietelmann kam der Kontakt zwischen den Initiatorinnen und der SC Eintracht Mülheim zustande. Der Verein verfügt bereits über eine erfolgreiche inklusive Judo-Gruppe. Sie stellte am Wochenende beim Drachenboot-Rennen das einzige inklusive Boot.
„Wir versuchen, den Rahmen zu schaffen und das Angebot langfristig in unserem Verein zu etablieren“, sagt der Vorsitzende Bodo Schreiner. Der Lauftreff findet ab sofort an jedem ersten Montag im Monat von 16 bis 17.30 Uhr auf dem Kahlenberg-Sportplatz an der Jahnstraße statt. Wer mitmachen möchte, meldet sich bei Nicole Appelmann 0172/26 26 915.
Mentale und sportliche Unterstützung fand sie in der Mülheimer Triathletin Sabine Hempel. Die frühere Teilnehmerin am Iron Man auf Hawaii stellte sich komplett auf die Bedürfnisse von Nicole Appelmann ein und fungierte längst nicht nur als läuferische Begleitung. „Nicole hat sich seitdem wieder viel mehr getraut, ist zum Beispiel wieder allein mit der Bahn gefahren“, erzählt Hempel, die beim neuen Lauftreff als Trainerin dabei sein wird.
Teilnehmende haben gesundheitliche Schicksalsschläge hinter sich
Mit dem neuen Angebot soll auch anderen Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung die Möglichkeit gegeben werden, eine ähnliche Unterstützung zu erfahren. „Das Ziel ist, dass es sich noch weiter herumspricht“, sagt Nicole Appelmann. Vor allem bis zu den jüngeren Menschen. „Viele von denen gehen gar nicht raus, die wollen wir kriegen“, sagt die Sportlerin.
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Beim ersten Mal hat sich eine Gruppe von knapp zehn Personen zusammengefunden. Dazu gehört auch die stellvertretende Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenverein Mülheim, Gabriele Dreischärf-Brans. „Ich sehe nur noch ein bis zwei Prozent“, berichtet sie bei der Vorstellungsrunde. Teilnehmerin Erika hat bereits zwei Schlaganfälle hinter sich. „So wollte ich nicht enden“, sagt sie.
Läuferinnen und Läufer mit sehr unterschiedlichen Ambitionen
Zu den ambitionierten Läufern gehören in erster Linie der Italiener Daniele und der 55-jährige Harald Schulze. Obwohl er je nach Wetterlage maximal fünf Prozent sieht, läuft er heute sogar Ultramarathons. „Er läuft sogar im Uhlenhorst alleine“, weiß Nicole Appelmann zu berichten. Auf dem Kahlenbergplatz orientiert sich der Läufer vor allem an der Kante der Bahnumrandung. „Wenn man Strecken wie zehn Kilometer läuft, dann tut einem eher der Rücken weh, weil ich ja die ganze Zeit nach unten gucken muss“, erklärt der 55-Jährige.
Bei der Lauftreff-Premiere geht es zunächst vor allem darum, das Laufen in Paaren zu üben. Über ein Gummiband sind Läufer und Guide verbunden. „Der Guide passt sich dem Läufer an“, betont Sabine Hempel. Dabei sei vor allem die Stimme wichtig, mit der der Guide seinem Schützling Hinweise etwa über mögliche Hindernisse gibt.
Auch Kraftübungen werden in das Training integriert
Die frühere Triathletin, die sich mittlerweile dem Crossfit verschrieben hat, wird aber auch Kraftübungen auf dem Kahlenberger Outdoor-Gym in das Training integrieren. „Sehbehinderte Menschen haben einfach ein größeres Sturzrisiko. Wer etwas bessere Muskeln und eine anständige Körperspannung hat, fällt nicht wie ein nasser Sack“, sagt die gelernte Intensivkrankenschwester.
Ziel der neuen Laufgruppe sei es, irgendwann gemeinsam eine größere Runde vom Kahlenberg aus zu laufen – etwa durch den Witthausbusch. Fernziel ist die Teilnahme an einem offiziellen Wettkampf. Wenn der erste Muskelkater einmal abgeklungen ist.