Mülheim/Guben. Wenn aus Toten Werke für die Ewigkeit werden. Zu Mülheims Körperwelten-Ausstellung haben wir den Ort aufgesucht, wo Körper plastiniert werden.
Eigentlich gibt es so gut wie nichts, was Mülheim mit der im tiefsten Osten gelegenen Stadt Guben verbindet. Wäre da nicht die Ausstellung „Körperwelten - eine Herzenssache“ auf dem ehemaligen Tengelmann-Gelände. Die dort zu sehenden Exponate anzufertigen, ist das Betätigungsfeld des Unternehmens Gubener Plastinate GmbH. Wir waren vor Ort.
Ein massiver Gebäudekomplex aus Backstein, direkt am Ufer der Neiße gelegen, dient als Sitz der 2006 gegründeten Firma. Gegenüber auf der anderen Seite des Flusses beginnt schon das polnische Hoheitsgebiet. Früher befand sich auf dem rund 30.000 Quadratmeter großen Areal eine bekannte Tuchfabrik.
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„Manche Körper lagern wir Monate oder Jahre, bis wir beginnen“
Heute arbeiten in den Räumlichkeiten etwas über 90 Mitarbeiter, davon 60 allein in der Plastinatenherstellung, sagt der Geschäftsführer Rurik von Hagens. Den größten Personalaufwand benötigen dabei die Präparation und die Positionierung der Körper. Allein die Präparation mache die Hälfte der mindestens 1200 Arbeitsstunden aus, die für ein Ganzkörper-Objekt gebraucht werde.
Bevor mit dem Herausarbeiten der anatomischen Strukturen überhaupt begonnen werden kann, muss erst einmal der Verwesungsprozess des verstorbenen Körpers unterbrochen werden. Dies erfolgt durch die Injektion des Konservierungsmittels Formalin. Danach kann es dauern, bis an ihm weitergearbeitet wird. „Manche Körper lagern wir Monate oder Jahre, bis wir mit der Plastination beginnen“, so von Hagens. Man richte sich da ganz nach dem Bedarf.
An Seziertischen präparieren auch Mitarbeiter ohne anatomische Vorkenntnisse
Das Werk von Gunther von Hagens
Gunther von Hagens (geb. 1945) entwickelte während seiner Lehrtätigkeit als Anatom an der Universität Heidelberg die Plastination als Konservierungsmethode für den menschlichen Körper, da er mit den gängigen Verfahren unzufrieden war.
Seine Innovation brachte ihm in der Fachwelt viel Lob ein, in das sich aber immer mehr Kritik mischte, als er damit begann, öffentlich seine Exponate zu präsentieren.
Seine als von ihm als „Demokratisierung der Anatomie“ bezeichneten Ausstellungen wurden vor allem in Deutschland Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Bis heute ist es Brandenburger Schulklassen zum Beispiel untersagt, die Ausstellung der Plastinate in Guben zu besuchen.
Ist die Nachfrage vorhanden, landen die Körper oder Teile davon auf den Seziertischen der Präparatoren. Nicht jeder, der hier arbeitet, besitzt anatomische Vorkenntnisse. Eine Mitarbeiterin arbeitet gerade mit Messer und Skalpell am Kopf. Neben sich hat sie ein Anatomiebuch aufgeschlagen. Vor drei Jahren habe sie noch im Büro gearbeitet, berichtet sie.
„Wichtig sind vor allem Geduld und Geschicklichkeit für Feinarbeit“, nennt Rurik von Hagens die Hauptkriterien für eine Qualifizierung als Präparator. Das Wissen über Anatomie ergebe sich dann im Laufe der Zeit.
Bei der Imprägnierung: Aus der Flüssigkeit in einer Truhe steigen Bläschen auf
Wenn Muskeln, Gefäße und Nerven freigelegt worden sind, dürfen sich die fein sezierten Körper im benachbarten Gebäude ein Bad gönnen: Jetzt beginnt mit der Entwässerung und Entfettung durch das Lösungsmittel Azeton der wirkliche Prozess der von Gunther von Hagens 1977 erfundenen Plastination. Laut ist es in der Halle mit den mehr als 30 Truhen, in denen die Präparate 16 Wochen gelagert werden. Durch Erzeugung von Überdruck wird vermieden, dass das explosive Azeton aus den Boxen in die Atmosphäre entweicht.
Einen Raum weiter zeigt Rurik von Hagens weitere Truhen. Der Sohn des Plastinations-Erfinders hebt von einer den Deckel an. Aus der trüben, dunkelgrauen Flüssigkeit steigen Bläschen herauf. „Das ist der Kernschritt der Plastination“, erklärt er, „die forcierte Imprägnierung: Das zuvor ins Gewebe eingedrungene Lösungsmittel wird im Vakuum ausgetauscht gegen Silikon.“
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Drähte, Nadeln und Schnüre fixieren den Körper und bringen ihn in die gewünschte Pose
Bilden sich keine Blasen mehr, ist der Vorgang beendet und die Plastinate kommen nach Trocknung wieder in die Werkstatt. Nun kommen Drähte, Nadeln und Schnüre zum Einsatz, fixieren den Körper und bringen ihn in die gewünschte Pose. „Ansonsten würde ja alles in sich zusammenfallen“, erläutert Rurik von Hagens die Positionierung. Nach der Aushärtung mit einem Gas als letzten Schritt werden die Hilfsmittel entfernt und mit der darauf folgenden Färbung ist das Plastinat schließlich fertig.
Ein Jahr nimmt das gesamte Verfahren der Plastination in Anspruch. Der größte Teil der Produktion (90-95 Prozent) verkaufe man an wissenschaftliche Institute, berichtet Rurik von Hagens. Ein ganzer Körper koste stolze 70.000 Euro. Der Rest wandere in eine der elf weltweit und gleichzeitig laufenden Ausstellungen.
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Insgesamt gibt es fast 20.000 Menschen, die ihren Körper spenden wollen
Mangel an Menschen, die ihren Körper plastiniert haben möchten, habe man in Guben nicht. Insgesamt gebe es fast 20.000 Körperspender, davon sind 2500 bereits verstorben. Ob jemand ausgestellt werden möchte, kann frei entschieden werden, versichert von Hagens.
Hauptbeweggrund sei für die meisten Körperspender, nach dem Tod für die Wissenschaft nützlich zu sein. Andere ziehen die Plastination vor, weil sie eine Beerdigung oder eine Einäscherung ablehnen. Oder es sind einfach Kostengründe: „Die Bestattungskosten entfallen und innerhalb von Deutschland übernehmen wir zudem die Überführungskosten“, so Rurik von Hagens.
Die Ausstellung mit rund 200 Exponaten im Technikum auf dem alten Tengelmann-Areal ist verlängert bis zum 21. November. Für Familien im Funke-Verbreitungsgebiet gibt es ein Ferien-Special mit 20 Prozent Rabatt (nur im Vorverkauf, gültig zwischen 5. und 15. August). Erhältlich nur unter wir-lieben-tickets.de.