Mülheim. Integration gelingt, wenn Hilfesuchende ausreichend betreut werden können: Bei der Mülheimer Awo und dem DRK aber ist die Situation schwierig.
Über mangelnde Arbeit können sich die Migrationsberatungsstellen für erwachsene Zuwanderer und Zuwanderinnen (MBE) nicht beklagen. Häufig verlasse sie hechelnd das Büro, sagt Constanze Bohmann, die bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Mülheim Migranten betreut. Nicht viel anders schaut es bei ihrem Kollegen Andreas Herget vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) aus.
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Gemeinsam stellten sie beim bundesweiten 7. Aktionstag für die Migrationsberatung die Wichtigkeit dieser Einrichtung für die Integration zugewanderter Menschen dar. Eingeladen in das Drogenhilfezentrum der Awo hatten sie dazu die Mülheimer Bundestagskandidaten von CDU, Grünen und SPD. Bei ihnen wollten die beiden Migrationsberater vor allem für eine stärkere finanzielle Unterstützung ihrer Arbeit werben.
Mancher Ratsuchende wird abgewiesen, weil die Beratungsstelle zu dünn besetzt ist
„Die an mich gestellten Anfragen kann ich als alleinige Vollzeitkraft nicht bewerkstelligen“, klagt Bohmann. Im letzten Jahr habe sie 289 Fälle bearbeiten müssen. Andreas Herget hat seit seinem Eintritt bei der Migrationsberatung Mitte April bereits 77 Fälle gezählt. Mancher Ratsuchende müsse aufgrund der ausgelasteten Beratungsstellen abgewiesen werden.
Die Zahlen im Bund sind ähnlich: Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege stellt fest, dass eine Vollzeitkraft 300 Beratungen pro Jahr leiste. „Bei 225 Arbeitstagen sind das sechs Stunden pro Fall im Jahr“, hat Andreas Herget ausgerechnet. Für eine umfassende Betreuung, die zum Gelingen der Integration beitragen soll, viel zu wenig, merkt der DRK-Berater an.
Experten fordern Erhöhung der finanziellen Zuwendungen
Auch für EU-Bürger mit Integrationsbedarf und Spätaussiedler
Das Beratungsangebot der MBE richtet sich an erwachsene Zuwanderer ab 27 Jahren. Zur Klientel gehören neben anerkannten Flüchtlingen u.a. auch EU-Bürger mit Integrationsbedarf und Spätaussiedler. In Mülheim stammen die Ratsuchenden nach Angaben von Constanze Bohmann (Awo) hauptsächlich aus Syrien, Irak, Afghanistan, Nigeria, Ghana und Ex-Jugoslawien.
Ziel der vom Bund geförderten MBE ist, durch ein umfassendes Case Management Migranten zu einem selbstständigen Leben in Deutschland zu verhelfen.
Von den anwesenden Bundestagskandidaten wünschen sich die Migrationsberater daher, sich in der nächsten Legislaturperiode für eine Erhöhung der finanziellen Zuwendungen und damit einhergehender verbesserter personeller Ausstattung einzusetzen. Herget und Bohmann unterstützen die Forderung der Bundesarbeitsgemeinschaft nach einer Aufstockung der Bundesmittel für alle Migrationsberatungsstellen in Deutschland um 10 Millionen Euro auf 81,2 Millionen Euro für 2022. So soll eine Halbierung der Beratungsfälle pro Vollzeitstelle erzielt werden.
Durch die Folgekosten der Pandemie, befürchtet Herget, drohe womöglich in Zukunft eher eine Reduzierung der Förderung. Astrid Timmermann-Fechter (CDU) kann ihm diese Sorgen nicht nehmen: „Der neue Bundestag wird erst einmal einen Kassensturz machen müssen.“ Dann könne man sehen, was machbar sei. Der Kandidat der SPD, Sebastian Fiedler, kontert: „Völlig egal, wie der Haushalt aussieht, dieses Geld muss einfach da sein.“ Kürzungen hält er für vollkommen absurd. Wenn keine Investitionen in diesem Bereich getätigt werden würden, entstünden durch die Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen noch größere Kosten.
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Die Qualität der Sprachkurse muss zunehmen, lautet eine weitere Forderung
Die offiziellen Zahlen zeigen die Erfolge der MBE bei der Eingliederung von Migranten in den Arbeitsmarkt: Durch die Beratung konnte 2019 der Anteil der ratsuchenden ALG II-Bezieher deutschlandweit um rund 23 Prozent gesenkt werden. Es sei noch eine bessere Quote möglich, so Bohmann, wenn die Qualität der Sprachkurse zunehme. Fehlende Deutschkenntnisse bilden oft ein Hemmnis bei der Arbeitssuche.
Franziska Krumwiede-Steiner von den Grünen sieht ein weiteres Manko: „Es kann nicht sein, dass Zugewanderte die in ihrem Heimatland erworbenen Qualifikationen bei uns häufig nicht anerkannt bekommen.“ So würden wichtige Fachkräfte dem Arbeitsmarkt verloren gehen.