Mülheim. Mülheims Jugendstadtrat soll „jugendgerechter“ werden und anders heißen. Vor dem Ratsentscheid nächste Woche gab es jetzt eine Enttäuschung.
Anderthalb Jahrzehnte nach Gründung des Jugendstadtrats (JSR) in Mülheim steht erneut ein wichtiger Ratsbeschluss an: Am 22. April soll das Stadtparlament über die Bildung eines neuen Jugendgremiums entscheiden, denn der Jugendstadtrat hat keine Zukunft mehr. Um das künftige Modell wird aber noch gerungen.
Mülheimer Jugendstadtrat hat keine Zukunft mehr
Die Zeit des aktuellen Jugendstadtrats ist eigentlich längst abgelaufen. Bereits im Frühjahr 2020 hätten Neuwahlen stattfinden sollen, doch diese wurden - ebenfalls nach einem Ratbeschluss - um ein Jahr verschoben. Schon vorher hatten die jungen Delegierten offen kritisiert, dass ihre Arbeit oft übergangen werde, sie sich von der „großen Politik“ nicht ernstgenommen fühlten. Die Reform wollten sie aber nicht aus der Hand geben und entwickelten eigenständig ein neues Konzept für ein Mülheimer Jugendgremium. Im September 2020 wurde es öffentlich präsentiert. Kernpunkte sind: stärkere Vernetzung, mehr projekt- und anlassbezogene Arbeit.
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Im Dezember nahm der Stadtrat dieses Konzept zur Kenntnis und beauftragte die Verwaltung mit der Umsetzung des neuen, noch namenlosen Modells. Es wird jedenfalls nicht mehr Jugendstadtrat heißen. Am Montag wurde eine Vorlage im Jugendhilfeausschuss diskutiert. Am Tag danach äußerte sich ein JSR-Vertreter besorgt und enttäuscht. Zwar wurden viele ihrer Vorschläge aufgegriffen, doch das anvisierte Wahlverfahren geht in eine Richtung, die den Jugendlichen gar nicht gefällt.
Neues Modell entwickelt – Jugendgremium ist noch namenlos
Was ist geplant? Das neue Gremium tritt unter dem Motto „vielfältig, vernetzt, meinungsstark“ an. Seine Arbeit soll „jugendgerechter“ und „niederschwelliger“ werden. Junge Leute können künftig wählen, ob sie nur kurzfristig an einem Projekt mitarbeiten oder langfristig mitwirken möchten.
Die Initialzündung soll nach den Sommerferien erfolgen: Erstmals 2021 und dann im Zwei-Jahrestakt soll es eine öffentliche Auftaktveranstaltung mit attraktivem Rahmenprogramm geben, die möglichst viele Mülheimer Jugendliche erreicht. Wann und wie die Pandemie das erlaubt, ist noch offen. Jedenfalls können sich 14- bis 21-Jährige bei dieser Veranstaltung melden, wenn sie Mitglied des Jugendgremiums werden möchten – vielleicht auch nur in einer Projektgruppe. Dafür genügt eine schriftliche Erklärung.
Alle 14- bis 21-Jährigen können mitwirken, auch nur in Projektgruppen
Einmal pro Quartal tagt dann das Jugendgremium in öffentlicher Sitzung. Die Organisationen AGOT (Arbeitsgemeinschaft der offenen Türen), Stadtjugendring Mülheim und Ring Politischer Jugend (RPJ) Mülheim können daran beratend teilnehmen. Die SPD hat mit einem Änderungsantrag für den Jugendhilfeausschuss, der mehrheitlich angenommen wurde, noch bewirkt, dass die Jugendorganisationen der Parteien im RPJ jeweils einen eigenen Vertreter schicken können. „Schließlich sind Jusos, Grüne Jugend, Junge Union und Junge Liberale konkurrierende Organisationen“, erläutert der stellvertretende Ausschussvorsitzende Filip Fischer (SPD) diesen Vorstoß, der mehr Meinungsvielfalt in das neue Jugendgremium bringen soll.
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Von hier aus soll auch ein Leitungsgremium gewählt werden (sofern mindestens 17 Jugendliche aktiv mitarbeiten): vier bis acht Personen, die das Jugendgremium im Stadtrat, in den Bezirksvertretungen und Ausschüssen vertreten, wo sie ein Rederecht bekommen. Jährlich soll die Hälfte der Leitungsmitglieder neu gewählt werden. Auf Wunsch des jetzigen JSR soll es keine Vorsitzenden mehr geben, stattdessen drei Sprecher oder Sprecherinnen.
Wahlverfahren für das künftige Leitungsgremium ist umstritten
So jedenfalls die Vorstellung des bisherigen Jugendstadtrates. Nun grätschte aber die SPD-Fraktion mit einem umfangreichen Antrag dazwischen, der unter anderem vorsieht, dass alle Mülheimer Jugendlichen die Möglichkeit bekommen, diesen Leitungskreis zu wählen. Bislang wurden Wahlurnen aufgestellt in allen weiterführenden Schulen und im Medienhaus. „Künftig soll es eine öffentliche Wahlveranstaltung geben“, so Filip Fischer, der selber von 2015 bis 2018 Vorsitzender des Jugendstadtrates war. „Und wer sich da ausweisen kann, ist legitimiert zu wählen.“ Die anderen Fraktionen trugen den Antrag mit, „die Verwaltung war partout dagegen“, berichtet Fischer.
JSR startete vor fast 15 Jahren
Geburtsstunde des Mülheimer Jugendstadtrates (JSR) war ein Ratsbeschluss vom 21. September 2006. Im darauffolgenden Dezember wurde er zum ersten Mal gewählt.
Bei der letzten Wahl, am 14. März 2018 an den weiterführenden Schulen, kandidierten insgesamt 32 Jugendliche - ein neuer Rekord. Die Wahlbeteiligung lag bei 18,8 Prozent.
Dem noch amtierenden Jugendstadtrat gehören 18 Jugendliche an, zehn Mädchen und acht Jungen.
Fünf Vertreterinnen und Vertreter kommen allein von der Gustav-Heinemann-Schule, darunter die JSR-Vorsitzende Klara aus der Fünten.
Nicht nur die Verwaltung ist gegen ein breites, öffentliches Wahlverfahren. Auch JSR-Mitglied Moritz Kösters (18), der für den Jugendstadtrat in der Ausschusssitzung sprach, wirkt wenig begeistert. Er sagte am Dienstag: „Wir können mit ganz vielen Punkten leben, aber das geht absolut gar nicht und würde unsere Arbeit völlig zunichte machen.“
JSR-Mitglied: Wahlrecht für alle Jugendlichen würde unsere Arbeit zunichte machen
Denn dann müssten alle Mülheimer Jugendlichen zu einer Wahl eingeladen werden, wie es sie bisher schon gab. „Wir haben mit maximalem Aufwand eine Beteiligung von knapp 19 Prozent erzielt“, so Moritz Kösters. „Denn es durften auch Leute entscheiden, die mit dem Gremium gar nichts zu tun haben.“ Sein Kommentar zum Wahlmodell, wie es die Politik präferiert: „Wenn das so durchgeht, ist die Arbeit des verbliebenen Jugendstadtrates nahezu umsonst gewesen. Dann haben wir die gleichen Probleme wie schon seit Jahren.“
Noch ein anderer Punkt könnte problematisch werden: Das neue Gremium soll weiterhin durch die Verwaltung begleitet werden. Das Rats- und Rechtsamt unterstützt die Jugendvertreter bei der Geschäftsführung, das Amt für Kinder, Jugend und Schule in pädagogischer Hinsicht. Der aktuelle Jugendstadtrat hat deutlich kritisiert, dass er bislang zu wenig Rückhalt bekommen habe. Wie auch? Im Jugendamt stehen dafür momentan 20 Prozent einer Vollzeitstelle zur Verfügung, und eigentlich ist allen klar, dass das neue Modell noch intensivere Betreuung benötigt.
Zusätzliche Stelle im Jugendamt wäre nötig, ist aber nicht in Sicht
„Grundlage für den Erfolg bzw. für die Umsetzung des Konzeptes“ sei eine zusätzliche Fachkraft im Jugendamt, heißt es in der Verwaltungsvorlage, Sozialpädagoge oder Sozialarbeiterin. Diese gibt es aber nicht. „Wir brauchen mehr personelle Ressourcen“, sagt auch Filip Fischer. „Aber darauf gab es noch keine Antwort.“ Immerhin wird das jährliche Budget erhöht: Statt 6400 Euro dürfen die Jugendvertreter in Zukunft 16.400 Euro ausgeben.