Mülheim. Was vermissen Ältere in der Pandemie besonders? Fragen wie diese haben wir in unserem Corona-Check gestellt, Mülheimer Senioren haben geantwortet.
„Ganz gut“ gehe es ihnen, „einigermaßen überstanden“ haben sie die Pandemie bislang und sich „mit der Situation arrangiert“. So antworten etwa Doris Silberkuhl, Annegret Gensinger und Dieter Schnapka auf die Frage, wie sie – als Mülheimer der älteren Generation – die Corona-Krise bislang erlebt haben. Sie alle blicken auf ein langes Leben mit Höhen und Tiefen zurück, vermisst aber haben sie doch so manches in der Zeit des strengen Lockdowns.
In unserer großangelegten Umfrage zur Pandemie unter dem Titel Corona-Check haben die befragten Mülheimer, die 60 Jahre alt und älter sind, angegeben, dass sie am allermeisten die Treffen mit Familie und Freunden vermissen – 86,1 Prozent lautet das Umfrage-Ergebnis in dieser Kategorie.
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81-jährige Mülheimerin: Für unsere Generation ist die Pandemie verlorene Zeit
„Das alles, was in den vergangenen Monaten nicht möglich war, können wir nicht mehr nachholen. Für uns ist das verlorene Zeit“, sagt Doris Silberkuhl und drückt damit ein Empfinden aus, das mancher in ihrem Alter teilt. Doris Silberkuhl ist 81 Jahre alt, sie lebt in ihrem Haus in Speldorf, erfreut sich an ihrem Garten, telefoniert viel mit Bekannten – mit denen, die noch da sind. Doch die Seniorin sagt: „Die persönlichen Kontakte fehlen mir. Vorher habe ich mich etwa noch regelmäßig mit den Mitgliedern unseres alten Kegelclubs getroffen – die habe ich seit Beginn der Pandemie nicht mehr gesehen.“ Gleichwohl fühle sie sich nicht einsam. Die 81-Jährige sagt: „Ich kann mich gut beschäftigen.“
„Nicht alle sind einsam, die alleine sind“, merkt Jörg Marx, Sozialplaner der Stadt Mülheim, an. Ältere hätten durch vorangegangene Krisen bereits Lebenserfahrung gesammelt und das Wissen: Auch das geht vorbei. „Macher hat auch vor der Pandemie schon zurückgezogen gelebt“, sagt Marx und ordnet ein: „Wir haben in Mülheim einen relativ großen Anteil an Single-Haushalten.“ Viele dieser Menschen höheren Alters, so weiß Jörg Marx, nutzten vor der Pandemie die Begegnungsstätten im Stadtgebiet regelmäßig als Anlaufstelle. „Der Besuch dort gibt den Menschen eine Tagesstruktur, doch das ist weggefallen“, sagt der Sozialplaner. „Wir wissen aus Gesprächen mit den Mitarbeitern der Begegnungsstätten, dass die Älteren dieses Angebot vermissen.“
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Mancher ältere Mülheimer ist in den Monaten der Pandemie pessimistischer geworden
Rückmeldungen wie diese seien wertvoll, um zu überblicken, wie alte Menschen durch die Pandemie kommen. Mehr als kurze Schlaglichter aber seien sie nicht. Jörg Marx sagt: „Wir haben keinen Überblick darüber, wie es den Menschen überhaupt geht in der Krise.“ Nicht wenige in ihrem Umfeld seien durchaus über die Monate der Pandemie pessimistischer geworden, hat Annegret Gensinger beobachtet.
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Die 73-Jährige lebt in Heißen und engagiert sich im dortigen Nachbarschaftshaus – eigentlich, denn die Angebote sind auch dort coronabedingt quasi auf ein Minimum reduziert. „Ich finde immer etwas zu tun und mache aus allem das Beste“, sagt die ehemalige Inhaberin von Elektro Gensinger am Hingberg. „Wenn ich noch jünger wäre, hätte ich noch ein anderes Leben geführt“, sagt die 73-Jährige mit Blick auf die Einschränkungen durch die Pandemie. So aber sagt sie genügsam: „Ich habe mich darauf eingestellt, gehe früh einkaufen, wenn’s noch leer ist, und bin ansonsten viel mit meinem Hund an der frischen Luft.“
Ob sie Sorge habe, etwas zu verpassen? „Ich habe mein Leben zu einem großen Teil gelebt“, sagt die Seniorin. Aber auch jetzt will sie „noch das Beste draus machen“, anpacken und helfen, wo es nötig ist. „Wenn ich merke, dass jemand in meinem Umfeld düstere Gedanken hat, versuche ich, ihn wieder aufzubauen.“
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Corona-Hilfetelefon der Stadt wird eher selten angewählt
Seitens der Stadt sei das Corona-Hilfetelefon (0800/100 38 39) eingerichtet worden, das rund um die Uhr zu erreichen ist. „Diese Nummer wird sehr selten genutzt“, sagt Sozialplaner Marx, „aber wenn, dann hören wir, dass die Menschen sich einsam fühlen.“ Über das Netzwerk der Generationen und die Quartierspunkte werde dann Unterstützung vermittelt. „Es hat sich in der Pandemie bewährt, was wir über die Jahre als Netzwerk aufgebaut haben“, betont Marx. Ziel war und bleibe es, dass die Menschen in Mülheim besser aufeinander aufpassen.
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Aufeinander aufpassen, sich umeinander kümmern, das liegt auch Dieter Schnapka in den Genen. Der ehemalige Feuerwehrmann lebt im Hochhaus am Hans-Böckler-Platz und gilt vielen dort als die gute Seele. Seit über zehn Jahren engagiert sich der 75-Jährige als Bürgerlotse, steht normalerweise regelmäßig im Forum und weist älteren Menschen gezielt den Weg zu den für sie richtigen Ansprechpartnern. „Aber das mussten wir ja wegen Corona drangeben“, sagt Schnapka. Kein Grund für ihn, die Füße still zu halten.
Unterstützung für die Nachbarn im Hochhaus am Forum
Er ist weiter im Hochhaus unterwegs und unterstützt diejenigen, die alleine nicht zurechtkommen – gerade auch während der Pandemie. „Ich bin der Mann für die besonderen Fälle, wenn der Hausmeister nicht mehr zuständig ist“, sagt der 75-Jährige und unterstreicht: „Aber in erster Linie bin ich Nachbar.“ Er begleitet Ältere zum Arzt, hilft, wenn jemand „allmählich vergesslicher wird“, bringt auch schon mal etwas vom Einkaufen mit oder schaut nach, wenn der betreuende Hilfsdienst bei ihm anruft, weil sich Frau Müller oder Herr Meier lange nicht gemeldet hat. Schnapka hilft, wo er kann und sagt: „Es gibt nichts Schöneres, als die Dankbarkeit in den Augen eines Menschen.“ Der ehemalige Feuerwehrmann ist immer für seine Nachbarn da.
Doch eigentlich wäre Dieter Schnapka viel lieber mal wieder nicht da, sondern unterwegs – in der großen, weiten Welt . Denn der Senior ist passionierter Motorradfahrer und kann gar nicht zählen, wie oft er bereits auf zwei Rädern um den Globus gereist ist – häufig alleine, nur mit Zelt und dem Nötigsten bepackt. „Meine Motorradreisen fehlen mir schon sehr“, sagt der Mülheimer mit Fernweh. Damit geht es ihm wie 65,6 Prozent der älteren Mülheimer, die bei unserer Umfrage auf die Frage „Was vermissen sie besonders?“ geantwortet haben.
Wenn die Grenzen wieder offen wären, würde sich Schnapka auf sein Diesel-Motorrad, eine Royal Enfield, setzen und losbrausen – etwa nach Aserbaidschan. Bis nach Wladiwostok, in die entlegensten Winkel der Türkei, hoch nach Nepal und Tibet und bis nach Ägypten auf dem Landweg hat er es beispielsweise längst geschafft. „Das Reisen, die Erfahrungen und Begegnungen mit den Menschen, das hat mich reich gemacht“, sagt der 75-Jährige rückblickend. All das war nun durch die Pandemie über ein Jahr lang nicht möglich. Und mit Blick in die Zukunft meint er: „Mir läuft langsam die Zeit davon.“