Wenn der Weg das Ziel ist: Dieter Schnapka reiste mit sechs PS nach Wladiwostok. Sein Diesel-Motorrad, schaffte die vielen tausend Kilometer fast problemlos.
Das Wohnzimmer von Dieter Schnapka führt in eine andere Welt: Möbel und Bilder, Skulpturen und Teppiche, Masken, Wandbehänge, Vasen und Kultgegenstände zeigen, dass der 62-Jährige schon einiges von der Welt gesehen hat. Der Mülheimer reist, mit Rucksack oder Motorrad, auf Wegen, die den meisten Touristen verborgen bleiben dürften. Seit September ist er von seiner letzten großen Tour zurück: Mülheim – Wladiwostok – Mülheim. Eine Strecke – 15 000 Kilometer einfach – die er mit einem ganz besonderen Vehikel bewältigte: Sein Motorrad, eine Royal Enfield Diesel, hat nur 6,25 PS.
Wer reist, kann viel erzählen. Und Schnapka, der seit gut 20 Jahren das gewohnte Umfeld für mehrere Wochen verlässt, um in eine völlig neue Welt einzutauchen, hat schon viel erlebt. 1986 unternahm er seine erste Motorrad-Reise in die Türkei, besuchte Karawansereien und Moscheen, die der Pauschalreisende kaum zu sehen bekommt.
Auf dem Landweg nach Ägypten
Vier Jahre später ging es, wieder auf zwei Rädern, auf dem Landweg nach Ägypten, über die Türkei, Syrien, Jordanien, bis nach Abu Simbel – und über die Osttürkei zurück. Damals war der ehemalige Mülheimer Feuerwehrmann noch im Dienst, da mussten die Urlaubstage angespart und zusammengelegt werden. Inzwischen ist er pensioniert, kann sich mehr Zeit lassen beim Reisen, doch das, was ihn antreibt, ist unverändert: „Ich brauche den Wind um die Nase.” Es kommt ihm nicht auf das Vier-Sterne-Hotel an, Schnapka reist mit schmalem Gepäck und Zelt, schläft in kleinen, preiswerten Unterkünften, die auch die Einheimischen nutzen. „Ich kann mich auf das Allernotwendigste beschränken.”
1993 fuhr er, begleitet von zwei Freunden, auf seiner Honda XLV 750 in die Ukraine, zwei Jahre später nach Usbekistan, mit einer BMW R 100 GS. Asien ist seine Leidenschaft, doch 2004 lockte es ihn zum Nordkap. Was schon weit genug gewesen wäre, doch Dieter Schnapkas Suzuki V-Strom trug ihn noch durch Finnland, das Baltikum und Polen, wo er Opole, die Mülheimer Partnerstadt, besuchte.
Tunesien, Marokko bereiste er per Krad, Thailand, Nepal, Indonesien besuchte Schnapka mit dem Rucksack. In Indien rollte dem Globetrotter 1993 ein Diesel-Krad über den Weg – er war sofort angetan.
Ein Motorrad aus Bombay
Drei Monate später hatte der Motorradhändler von Bombay aus nach Deutschland geliefert: Ein Motorrad der ursprünglich britischen Marke Royal Enfield mit 350 ccm und 6,26 PS; Spitzengeschwindigkeit: 80 km/h. Und damit 15 000 Kilometer nach Waldiwostok? Die weiteste Reise seines Lebens mit der schwächsten Motorisierung? „In der Langsamkeit liegt der Reiz des Reisens,” ist Schnapka überzeugt. „Man hat viel mehr Zeit, um seine Umgebung aufzunehmen.” 66 Tage hatte er Zeit. Das Maschinchen lief klaglos – bis es auf dem Rückweg, knapp vor der deutschen Grenze, mit einem Getriebeschaden liegenblieb.
Bis dahin trug die Enfield Dieter Schnapka – der die Strecke nach Wladiwostok am Japanischen Meer mit seinem Freund Reinhard Hötger, 52, und dessen Dieselkrad-Eigenbau bewältigte – nicht nur über Asphalt, sondern auch über hunderte Kilometer unbefestigte Piste. In den Höhen des Altaigebirges („Da gibt es keine Hinweisschilder, man muss die Leute fragen.”) ging dem Diesel schon mal die Luft aus; er musste geschoben werden.
Viele helfende Hände
Auch einige Flüsse mussten mangels Brücke durchquert werden. Es gab einen Sturz, der glimpflich ausging, es gab kleinere technische Probleme, doch die wurden gemeistert, mal mit viel Glück, mal mit helfenden Händen. „Auf einen Schutzbrief kann man sich dort nicht verlassen, man muss allein damit umgehen,” sagt Dieter Schnapka, der gute Erfahrungen gemacht hat: „Im Osten wird noch viel improvisiert.” Und nicht immer wird Geld dafür verlangt.
Dieter Schnapka fuhr von Wladiwostok zurück nach Moskau mit der Transsibirischen Eisenbahn, die auch sein Motorrad transportierte. Von Moskau aus ging es wieder auf eigener Achse Richtung Deutschland. Und hier ist er innerlich noch gar nicht so richtig angekommen, derweil seine Enfield in der Garage auf die nötige Reparatur wartet. Aber sein Fernweh ist nur vorübergehend gestillt. Nach Usbekistan würde er gern noch mal mit der Enfield fahren: „Wenn man kein Vertrauen in die Technik hat, darf man sich nicht draufsetzen.”