Mülheim. Im Ringen um Wohnraum in Mülheim schlägt der Baudezernent vor: Höher bauen, wo Fläche fehlt. Sozialhilfeempfänger bekommen einen Klimabonus.
Nach längerer Pause ist das „Bündnis für Wohnen“ in Mülheim wieder aktiv geworden, dem vor allem von Seiten der SPD jüngst noch Untätigkeit vorgeworfen wurde. In einer virtuellen Sitzung kamen die Fachleute aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung zum Ergebnis: „Die Situation der Haushalte mit niedrigem Einkommen hat sich gebessert.“ So heißt es in einer umfassenden Mitteilung des Bündnisses. Dabei wird besonders auf die Bezieher von Sozialleistungen geschaut.
Mietgrenzen für Sozialhilfeempfänger in Mülheim jetzt mit Klimabonus
Rund 30 Prozent der Haushalte in Mülheim gelten als Geringverdienende, etwa ein Fünftel lebt von Grundsicherung. Ihre Miete zahlt das Sozialamt, im Rahmen sogenannter Angemessenheitsgrenzen. Diese Mietobergrenzen wurden in Mülheim kontinuierlich angehoben: Laut Bericht des Bündnisses sind sie jährlich um 1,7 bis 2,4 Prozent gestiegen, die ortsübliche Vergleichsmiete demgegenüber nur um 1,5 Prozent. Bedarfsgemeinschaften mit nur einer Person dürfen aktuell eine Nettokaltmiete von 6 Euro/qm ausgeben, dreiköpfige Familien maximal 5,84 Euro.
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Grundlage ist das „Schlüssige Konzept für die angemessenen Kosten der Unterkunft“, das erstmals 2012 durch das Bochumer Inwis-Institut für Mülheim erarbeitet, 2016 und 2020 fortgeschrieben wurde. Auf Initiative von Grünen und SPD wurde dort zuletzt auch ein Klimabonus eingearbeitet von bis zu 0,65 Euro. Sozialhilfebezieher bekommen ihn als Zuschlag, damit sie auch energetisch höherwertige Wohnungen beziehen oder nach einer Modernisierung in ihrem Zuhause bleiben können. Mülheim sei derzeit die einzige Kommune bundesweit, die solch einen Klimabonus gewährt, erklärte Michael Neitzel, Chef des Institutes für Wohnungswirtschaft (Inwis) in der virtuellen Sitzung.
Immer mehr Haushalte bekommen Wohngeld
Immer mehr Haushalte in Mülheim beziehen nach Auskunft von Sozialamtsleiter Thomas Konietzka auch Wohngeld - teils sind sie aufgrund der Corona-Krise dazu gezwungen, weil ihre Mietkosten mehr als 40 Prozent des Nettoeinkommens aufzehren.
Ein Kraftakt bleibt in Mülheim der Bau und Erhalt von öffentlich geförderten Wohnungen. Deren Zahl ist seit 2010 um mehr als 650 Wohnungen auf aktuell 4902 zurückgegangen. In den vergangenen fünf Jahren hat sich das Niveau aber stabilisiert. Die Stadt schätzt, dass es in 2021 etwa 20 Sozialwohnungen weniger werden. Im vergangenen Jahr sind nur 48 neue Sozialwohnungen hinzugekommen. Vertreter des Mülheimer Wohnungsunternehmens SWB stellen in Aussicht, dass bis 2025 etwa 560 öffentlich geförderte Wohnungen geschaffen werden.
Das Bündnis für Wohnen blickt aber nicht nur auf den sozialen Wohnungsbau, sondern sieht Nachholbedarf in allen Bereichen. Entscheidend sei die Verfügbarkeit von Bauland. Der Leiter des Stadtplanungsamtes, Felix Blasch, beziffert, dass in den vergangenen Jahren jeweils rund 280 Wohnungen in Mülheim gebaut wurden, 295 müssten es sein. Er sieht eine Reserve von 1475 Wohneinheiten, überwiegend in Neubaugebieten.
Dezernent Vermeulen kritisiert SPD: „Partei hat kaum Präsenz gezeigt“
Wenn Fläche fehlt, könnte man über zusätzliche Etagen nachdenken. Bau- und Planungsdezernent Peter Vermeulen brachte in der wohnungspolitischen Konferenz Aufstockungen ins Gespräch: Man könnte dort, wo es passt, „in die Höhe statt in die Fläche bauen“. Er machte deutlich, dass er sich mehr politische Teilnehmer am virtuellen Treffen gewünscht hätte, und kritisierte speziell die SPD: „Die Partei, die dieses Thema angestoßen hat, hat heute kaum Präsenz gezeigt.“
Wietelmann: Gut, dass Bedarf an Sozialwohnungen endlich erkannt wird
Zweites Treffen des Bündnisses
Dem Mülheimer Bündnis für Wohnen, das sich am 23. Oktober 2019 offiziell gegründet hat, gehören Vertreter der örtlichen Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie Fachleute aus Sozialverbänden, Politik und Stadtverwaltung an.
Moderiert wurde die jüngste, virtuelle Sitzung von Alexander Rychter, Direktor des Verbandes der Wohnungswirtschaft Rheinland Westfalen.
Es war das zweite Treffen des Bündnisses. Der nächste Termin ist für die zweite Jahreshälfte 2021 geplant.
Diesen Schuh ziehen sich die Sozialdemokraten auch tatsächlich an. Aufgrund einer „organisatorischen Panne“ sei die Einladung zum Treffen des Bündnisses für Wohnen zunächst übersehen worden, sagt Fraktionschefin Margarete Wietelmann. Sie habe sich daher erst gegen Ende der Veranstaltung zuschalten können. „Wir freuen uns aber, dass der Bedarf an Sozialwohnungen jetzt endlich erkannt wird“, so Wietelmann. Die Idee, die Geschosszahl im größeren Stil zu erhöhen, sieht sie äußerst skeptisch: „So sollten wir unser schönes Mülheim nicht verändern.“ Durchaus könnte man aber, wo es sich anbietet, Dachgeschosse zu Wohnraum ausbauen.
SPD-Parteichef Rodium Bakum bewertet den jüngsten Arbeitsbericht des Bündnisses nicht als Fortschritt: „Nichts davon ist neu, alles wurde bereits in den Ausschüssen beschlossen.“