Mülheim. Die Eskalation unter Jugendlichen in der Mülheimer Stadtmitte will nun der Sicherheitsausschuss debattieren. Welche Lösungen bietet die Politik?
Wie lässt sich die Situation der Jugendgruppen im Umfeld der Haltestelle Stadtmitte lösen? Wie lassen sich erneute Massenschlägereien mit dutzenden Jugendlichen und großem Polizeiaufgebot wie am vergangenen Mittwoch verhindern? Kurzfristig will Stadtdirektor Frank Steinfort dort verstärkt Ordnungskräfte und Polizei kontrollieren lassen. Doch vor allem mittelfristig fehlt noch eine soziale Perspektive.
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Grüne: Jugendliche hier zu verdrängen, verlagert Problem nur
Und zudem eine Menge Fragen: Wie konnte der Zoff entstehen und eskalieren, wie viele Jugendliche waren tatsächlich involviert, spielte die Nationalität überhaupt eine Rolle? Und: Wie lange schon ist die Stadtmitte ein Treff großer Jugendgruppen und warum?
In einer Sondersitzung, voraussichtlich am Ende der ersten Maiwoche, wollen Grüne und CDU die vorhandenen Erkenntnisse im Gespräch mit den Akteuren vor Ort zusammentragen und besprechen. „Uns hat die akute Problematik überrascht. Jetzt ist es erst einmal wichtig, das Sicherheitsgefühl dort wiederherzustellen“, stimmt auch die Grüne Fraktionsvorsitzende Franziska Krumwiede-Steiner für verstärkten Polizei- und Ordnungsamtseinsatz. Doch Jugendliche einfach nur von dort zu verdrängen, sei keine Lösung. Denn dann hätte man das Problem nur woanders, befürchtet sie: „Man muss nach den Ursachen der Gewalt forschen.“
Zudem ist die Personaldecke der Polizei schon seit geraumer Zeit zu kurz: Das Team „SIE“, das den großen Raum Styrum-Innenstadt-Eppinghofen überwachen soll, ist deshalb gezwungen Schwerpunkte zu setzen, ohne andere Bereiche zu vernachlässigen. Das System offenbart nun seine Lücken.
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Koalition sieht drei Lösungsschritte: planerisch, sozial- und ordnungspolitisch
Drei Schritte wollen Grüne und CDU folglich in den Blick nehmen: Neben den schon genannten ordnungspolitischen Maßnahmen, geht es zudem um die planerische: „Wir arbeiten schon seit langem an einem Handlungskonzept Innenstadt, das zum Beispiel die Aufenthaltsqualität verbessern soll“, sagt der Grüne Fraktionsvorsitzende Tim Giesbert.
CDU-Fraktionschefin Christina Küsters weist auf die Vereinbarungen im Koalitionspapier hin: „Wir wollen gemeinsam gegen rechtsfreie und Angsträume einstehen. Mehr Licht und Farbe verhindern zwar keine Schlägerei, helfen aber, dass der normale Bürger sich nicht aus diesen Bereichen zurückzieht.“
Die dritte soll eine sozialpolitische sein, „angefangen vom kommunalen Dienst bis zu Sozialarbeit und Streetworkern“, die das Problem „mit einer neuen Schwerpunktsetzung“ angehen sollen.
Für junge Menschen ab 14 Jahren gibt es zu wenig Mittel und Räume
Dass der beherzte Plan vor allem finanzielle Tücken hat, weiß auch die Koalition: So sollen im Rahmen des Innenstadtkonzepts zwar Bereiche gerade für junge Menschen aufgewertet werden – etwa das Außengelände am Jugendzentrum Stadtmitte, der Schulhof an der Zunftmeisterstraße, die Spielplätze im Neuhof, an der Charlotten- und Bruchstraße, ein Erlebnisraum am Peisberg.
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Doch die ursprünglich geplanten 80 Projekte mit rund 22 Millionen Euro Investition bis 2025 sind inzwischen auf 5 und 6,9 Millionen Euro gekappt. Giesbert: „Die planerische Perspektive ist keine schnelle. Die finanzielle Situation in Mülheim ist keine einfache, wir müssen Maßnahmen nach unseren Möglichkeiten umsetzen.“ Schwarz-Grün stellt nun in Aussicht, mit anderer Schwerpunktsetzung und zu beantragenden Fördermitteln, weitere Jugendprojekte zu ermöglichen.
Denn gerade Maßnahmen für Jugendliche sind in der neuen Planung nicht mehr dabei, ungewiss, wann diese verwirklicht werden können. Dabei ist der Lebensraum in Mülheim für junge Leute ab 14 Jahren seit Jahren eng beschnitten, machte unlängst Peter Possekel, Vorstand des Stadtjugendrings (SJR), deutlich: laut sein, Musik hören oder ein Bier trinken, ist für sie kaum mehr möglich – Corona hat ihre Lage nur verschärft.
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Streetworker wies im Bericht 2020 auf die kritische Lage hin
Was die Entwicklung rund um die Haltestelle Stadtmitte anbelangt, hätte man mit dem Negativtrend durchaus rechnen können: Von Jugendgruppen, die zwischen Hauptbahnhof, Forum und Ruhrpromenade pendeln, berichtet eine Zwischenbilanz der Polizei schon Mitte 2019.
Ähnlich hatte der Praxisbericht eines Streetworkers erst im vergangenen Jahr die Politik informiert über eine Clique männlicher Jugendlicher im Alter zwischen 13 und 16 Jahren, die der Polizei aufgrund „ihrer Affinität zur Gewalt und damit einhergehenden Straftaten“ bekannt sind. Diese gerieten auch „immer wieder mit Gewerbetreibenden in der Innenstadt in Konflikt“. Mehr ,Streetworking’ – so die Erkenntnis des Sozialarbeiters – verbessere die Situation.
SPD: „Nur mit Sanktionen zu arbeiten, ist der falsche Weg“
Für die SPD waren unter anderen diese Berichte ausschlaggebend, eine weitere Streetworker-Stelle zu fordern. „Damals wurde massiv auf die Missstände hingewiesen“, sagt Margarete Wietelmann, Fraktionsvorsitzende der SPD. Doch im Februar 2021 wurde ein entsprechender Antrag für eine solche Stelle von der politischen Mehrheit abgelehnt. Sie sei, so begründeten Grüne und OB Marc Buchholz, nur für ein halbes Jahr beantragt und ebenso nicht nachhaltig finanziert, um Vertrauen aufzubauen.
SPD erneuert Forderung nach zweitem Streetworker
Wietelmann sieht das anders: „Man beantragt immer erst eine Befristung, um ein Modellprojekt zu kreieren und anschließend die Mittel zur Fortsetzung zu begründen. So ist auch der erste Streetworker eingerichtet worden.“
Aus ihrer Sicht handelt es sich um Jugendliche, „die sich allein gelassen fühlen, die eine Ansprache brauchen“, das gehe auch aus dem Bericht des Streetworkers hervor. Kurzfristig sollen Streetworker und Verwaltungsmitarbeiter mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen. Für eine mittel- bis langfristige Perspektive fordert die Fraktionschefin, dass Bund und Land für solche kommunale Leistungen stärker in die Pflicht genommen werden müssen.
Wietelmann: „Wir brauchen mehr Streetworking. Nur mit Sanktionen zu arbeiten, ist nicht der richtige Weg. Meine Sorge ist, und man sieht es auch in anderen Städten, dass sich dann die Probleme nur verlagern. Für uns ist die aufsuchende Sozialarbeit eine Form der Prävention. Natürlich kostet das Geld, aber es minimiert ganz sicher die Kosten in der Zukunft. Wir können nicht einfach weggucken.“