Mülheim. Seit Jahren schwinden in Mülheim nicht nur die Orte für Jugendliche, sondern auch die Toleranz. Wie Stadt und Akteure gegen den Trend angehen.
Wie kinderfreundlich ist Mülheim? Es kommt darauf an, wen man fragt: Kinder, Eltern oder Anwohner von Spielplätzen. Schwieriger noch: Wie aufgeschlossen ist die Stadt für Jugendliche? Die konfliktreichen Debatten in den vergangenen Jahren etwa am Bottenbruch, am Ruhrufer und am Dennekamp haben deutlich gemacht, wie ungeheuer schmal der Korridor gerade für junge Menschen ab 14 ist. Eine neue Kampagne will neue Freiräume schaffen und Konflikte lösen.
Die Konflikte zwischen Jugendkultur und Erwachsenen gibt es nicht erst seit Corona. Peter Possekel, Vorstand des Stadtjugendrings (SJR), hat da einen klaren Blick auf die Entwicklungen in einer Stadt, die immer älter wird: „Es gibt seit Jahren zu wenig Räume, die eine Qualität für Jugendliche bieten, wo sich Jugendliche selbstverständlich aufhalten dürfen, auch laut sein, Musik hören dürfen oder ein Bier trinken. Vieles stagniert, manches wird schlimmer.“
Stress mit Polizei und Ordnungsamt: Junge Menschen werden oft verscheucht
Eine Perspektive, die Benedikt Mintrop vom SJR und selbst Anfang Zwanzig, bestätigt. „Viele halten sich in der Innenstadt auf, auf dem Synagogenplatz, am Hafen, in der Müga. Aber sie müssen oft ihre Treffs wechseln, weil sie dort von Anwohnern, der Polizei oder dem Ordnungsamt verscheucht werden.“ Es bleibt vielen noch die Freilichtbühne als ein Ort, wo man gemeinsam sitzen kann, ohne bezahlen zu müssen. Und ohne kurz darauf vertrieben zu werden. „Im Augenblick wird sie super vermisst“, melden ihm Jugendliche zurück.
Doch das Schwinden von öffentlichen Räumen etwa in der Innenstadt durch Privatisierung hat mit dazu beigetragen, dass ihre Treffs weniger werden. Hinzu kommt eine mangelnde Toleranz von Erwachsenen. „Wir brauchen wieder ein Verständnis für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen“, wirbt Possekel.
Neue Kampagne "Macht mal Platz!" wirbt für mehr Verständnis
Und auch eine neue Kampagne, die der SJR, die Arbeitsgemeinschaft der Offenen Türen (AGOT) und das Amt für Kinder, Jugend und Schule (Abteilung Jugendarbeit) just gestartet haben. „Macht mal Platz!“ wendet sie einen Spruch, der vielen jungen Leute vermutlich zu den Ohren rauskommt, in eine – hoffentlich – positive Richtung.
„Wir sind Lobbyisten für Kinder und Jugendliche. Unsere Aufgabe ist es, dass ihre Orte nicht wegfallen, dass sie attraktiver werden“, wollen auch Gabi Bartelmai und Monika Kühner vom Amt wieder mehr Akzeptanz bei den Älteren erreichen, etwa mit Beteiligungsverfahren. Für Kühner ist es zentral, dass Plätze, wo Mülheimer sich treffen, auch für junge Menschen geöffnet werden, „damit die Stadtgesellschaft wieder in einen Dialog kommt“.
Der Jugendliche - das unbekannte Wesen
Aber haben darauf auch Jugendliche Bock? Deshalb steht allen voran erst einmal die Frage nach dem Jugendlichen – dem unbekannten Wesen: Wo halten sie sich überhaupt gerne auf? Ein von Jugendlichen „neu“ entdeckter Ort scheint die Hochschule zu sein. Der sehr funktional gehaltene Campus eignet sich offenbar prima fürs Skaten.
So will die Kampagne Kinder und Jugendliche auffordern, „ihre Orte“ in der Stadt zu zeigen und in den sozialen Medien zu präsentieren. Das soll allerdings nur der Auftakt für weitere Schritte sein, an deren Ende neue Orte erschlossen werden oder „alte“ jugendtauglicher werden sollen. Die Akteure setzen dabei auf Beteiligung in Workshops – nicht nur mit jungen Leuten und Experten, sondern auch mit Erwachsenen.
Junge Leute sind bereit, Verantwortung zu tragen
Und wenn es zu Konflikten wegen Lärm oder Müll kommt? Kühner und Possekel sehen das mit pädagogischer Gelassenheit: „Jugendliche müssen etwas dürfen können. Wenn sie Verantwortung für einen Ort bekommen, zeigt sich, dass sie kreative Ideen haben, aber auch bereit sind, dafür Verantwortung zu tragen.“
Mehr Infos zur Kampagne „Macht mal Platz!“ gibt es auf der Homepage des Mülheimer Stadtjugendrings: www.sjr-mh.de, sowie auf zahlreichen Plakaten in der Stadt.