Mülheim. Mülheims Krisenstabsleiter macht schlecht integrierte Migranten in Styrum mitverantwortlich für hohe Corona-Zahlen. Ein Stimmungsbild im Viertel.
Wenig los ist am Donnerstagmittag auf der Oberhausener Straße in Mülheim-Styrum. Am Sültenfuß wartet eine Handvoll Menschen auf die Straßenbahn, alle tragen wie vorgeschrieben Maske, außer eine Seniorin, die raucht. Wie fühlen sich die Bewohner des Stadtteils, der mit Abstand die höchste Sieben-Tage-Inzidenz in Mülheim verzeichnet und in dem Krisenstabsleiter Frank Steinfort Teile der Bevölkerung sieht, „die wir nicht mit unserer Kommunikation erreichen“? Ein Stimmungsbild.
Somasondaram Jeyasingam arbeitet in „Sithappa’s Kiosk“ auf der Oberhausener Straße. Neben Zigaretten und Spirituosen stehen sri-lankanische Spezialitäten und Fertig-Semmelknödel im Regal, an den Ladenscheiben kleben von außen acht Zettel, die auf Maskenpflicht und Abstandsregeln hinweisen. Ja, in Styrum hielten sich nicht alle die Regeln, sagt der 63-Jährige, der erst vergangenen Monat selbst an Covid-19 erkrankt war und drei Tage im Krankenhaus verbringen musste. Auch sein Chef sei zehn Tage mit Corona ausgefallen.
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Styrumer Trinkhallen-Betreiber: „Ich weiß nicht, ob die Infektionszahlen stimmen“
„Viele Leute hier machen keine Tests, sie gehen nicht zum Arzt“, sagt Jeyasingam. In und rund um die Döner-Imbisse, die Pizzerien sei viel los, Mitarbeiter bereiteten Essen zu ohne Maske, ohne Handschuhe. Sein Sohn Jeyapragasam Jeyasingam sieht aber eine Verbesserung: „Viele waren mittlerweile selbst betroffen oder kennen Betroffene und nehmen die Situation nun ernster“, so der 27-Jährige, der ein Geschäft in Duisburg betreibt. Es sei nicht mehr viel los auf den Straßen, dabei sei Styrum doch ein familiärer Stadtteil, in dem man sich wohlfühlt, in dem sich alle kennen.
Es gebe aber auch nicht wenige, die den Infektionswerten nicht trauten, die sie für Manipulationen der Regierung hielten. Und so zweifelt auch Backiyanathar Pratheeban, der wenige Meter weiter eine Trinkhalle betreibt: „Ich weiß nicht, ob die Zahlen stimmen.“ Er selbst halte sich jedenfalls an die Regeln, die meisten anderen auch. „Auf den Straßen ist abends nichts mehr los. Das ist schlecht fürs Geschäft.“ Das Ordnungsamt sei viel unterwegs und der 35-Jährige Styrumer melde auch selbst Verstöße. „Ich will nicht meine Nachbarn überwachen, aber wenn da mehr als fünf Leute sind, beschwere ich mich.“
Sieben-Tage-Inzidenz in Mülheim-Styrum bei 456,6
Dass sich der Krisenstabsleiter und Stadtdirektor so deutlich positioniert hat, einen Grund für die hohen Infektionszahlen in „Parallelgesellschaften“ sieht, die sich nicht an Regeln halten, das haben die meisten hier nicht mitbekommen. Wohl aber, dass die Zahlen hoch sind in Styrum. Am Donnerstag lag die Inzidenz laut Angaben der Stadt bei 456,6.
„Die Situation ist schlimm“, sagt eine junge türkischstämmige Kassiererin in „Karadeniz Market“, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Sie kenne einige, die krank sind, glaubt auch wie Frank Steinfort, dass der Ramadan zu den Infektionen beiträgt. „Aber ich mache nicht mit beim Fastenbrechen in großen Gruppen.“
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Mülheimer Hausarzt: Impfbereitschaft in Styrum sehr hoch
Dr. Udo Pfannkuch ist Hausarzt in Styrum, seine Praxis ist eine von zweien im Stadtteil. Ja, der Ramadan trage zum Infektionsgeschehen bei, das Fastenbrechen im großen Familienkreis werde oft „corona-bedingt nicht eingestellt“. An Informationen mangele es seiner Meinung nach aber nicht. „Dass Corona schädlich ist, hat sich überall rumgesprochen; der Informationsstand unserer Patienten ist gut“, so Pfannkuch. „Aber die Leute wollen eine gewisse Normalität, es kommt eine Nachlässigkeit ins Verhalten.“ Allerdings sei die Impfbereitschaft – auch unter den Migranten – sehr hoch.
Eine Nachlässigkeit, die Bezirksbürgermeister Heinz-Werner Czeczatka-Simon verärgert. Er selbst sieht seine Mutter kaum, hat den persönlichen Kontakt zu Freunden eingestellt. Sich an die Corona-Regeln zu halten, sei eine Frage des gesunden Menschenverstands, nicht des Migrations- oder Bildungshintergrundes. „Alle müssen mitgekriegt haben, in welcher Situation wir sind.“ Verhielten sich alle stringent, dürften die Zahlen nicht so hochgehen.
Wenige Schüler der Styrumer Grundschule besuchen die Notbetreuung
Den Infektionszahlen nun mit Wurfzetteln in Briefkästen zu begegnen, hält Czeczatka-Simon für wenig hilfreich. Ähnlich sieht es Simone Müller-Dausel, die die Styrumer Gemeinschaftsgrundschule an der Augustaschule leitet. „Nachdem die Inzidenzzahlen aus den Stadtteilen veröffentlicht wurden und die Stadt angekündigt hat, auch über die Schulen zu informieren, dachte ich, ich erhalte bis Montag eine Mail mit einem Elternbrief“, so die Schulleiterin. „Aber bis jetzt ist nichts gekommen.“
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Zwar besuche nur ein kleiner Teil der Schüler die Notbetreuung, doch sei der Kontakt mit den Familien trotzdem eng, die Verbreitung von Informationen über die Schulen und Kitas sicherlich wirksamer als in den Briefkästen.
Styrumer Grundschulleiterin: „Die Aussagen haben mir die Schuhe ausgezogen“
Die Aussagen Frank Steinforts hätten ihr „die Schuhe ausgezogen“, sagt Müller-Dausel. „Ich war sprachlos ob der Heftigkeit.“ Sie zweifle nicht die Feststellung des Gesundheitsamtes an, dass unter den Corona-Infizierten besonders viele Migranten seien, fragt sich aber, warum man entstandene Parallelkulturen in Zusammenhang mit Corona-Infektionen stellen muss. „Warum macht man jetzt dieses Fass auf?“
Sie erlebe eine große Sorge, auch Angst bei den Familien, auch bei denen mit Migrationshintergrund. „Die Eltern sind sehr kooperativ“, sagt Simone Müller-Dausel. „Aber der Familienzusammenhalt hat noch eine andere Wichtigkeit und die Familien sind größer“, sieht die Schulleiterin eine Erklärung für die hohen Infektionszahlen in Styrum.