Gelsenkirchen. In Gelsenkirchen ist der Migrantenanteil unter den Intensivpatienten offenbar groß - und die Zahl der Impfwilligen gering. Ärzte sind ratlos.
Noch immer gibt es keine stichhaltige Datenlage, doch immer Ärzte und Pfleger bestätigen, was der Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, bereits vor Wochen in einem Gespräch mit Ärzten beklagt haben soll: Der Anteil der Corona-Intensivpatienten, die zugewandert sind oder einen Migrationshintergrund haben, ist überproportional hoch im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung.
Auch Klaus Rembrink, Bezirksleiter der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) in Gelsenkirchen, erklärt im Gespräch mit dieser Redaktion, dass er ratlos sei. Zwar werde selbstverständlich auch im Gelsenkirchener Impfzentrum nicht statistisch erhoben, ob die Impfwilligen einen Migrationshintergrund haben, „aber wie auch meinen Kollegen in den Impfzentren der Region ist mir aufgefallen, dass Migranten in Relation zu ihrem Anteil an der Stadtbevölkerung auch in Gelsenkirchen deutlich unterrepräsentiert sind“, so Rembrink.
Woran liegt die Impfskepsis unter Migranten?
Eine Erklärung dafür hat auch der hiesige Ärzte-Chef nicht. Dabei interessiert es ihn sehr, woran die offensichtliche Impf-Skepsis in migrantischen Communities liegt. Rembrink erklärt, dass er und seine Kollegen nämlich helfen würden, um zugewanderte Gelsenkirchener und ihre Nachkommen davon zu überzeugen, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen.
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„Aus einem nicht ersichtlichen Grund gibt es in der muslimischen Bevölkerungsgruppe massive Vorbehalte gegen die Impfung sowohl mit Astrazeneca, aber auch mit Biontech“, berichtet auch Dr. Anja Schulenburg, Obfrau der Herner Kinderärzte, die sich auf ihre Erfahrungen als Impfärztin im Impfzentrum sowie in der Praxis beruft. „Wenn wir langfristig die Zahlen runter haben wollen, müssen wir gerade diese Familien erwischen, die häufig in beengten Wohnungen, häufig in großen Familien leben“, sagt Schulenburg.
Tatsächlich markieren in vielen Städten die Infektionszahlen recht exakt die sozialen Grenzen innerhalb einer Stadt. Betroffen von einer Corona-Erkankung scheinen vor allem arme Familien und Menschen mit Migrationshintergrund zu sein. So zeichnet sich in den großen Städten des Ruhrgebiets ein recht klares Nord-Süd-Gefälle ab. In Quartieren, wo viele große Familien leben, die Arbeitslosigkeit sowie der Migrantenanteil hoch sind, sind die Infektionszahlen deutlich höher als in bürgerlichen Stadtvierteln.
„70 bis 80 Prozent der Corona-Intensivpatienten haben einen Migrationshintergrund“
Auch in Gelsenkirchen war das Infektionsgeschehen bisher in Stadtteilen mit einem relativ hohen Migrantenanteil höher als in anderen Stadtteilen. Die enorme Diskrepanz in den Stadtteil-Inzidenzen wie sie zwischen dem Duisburger Norden (Marxloh, Hamborn usw.) und dem Stadtsüden herrscht (nur halb so hoch), ist aus Gelsenkirchen bisher allerdings noch nicht bekannt. Eine Antwort der Stadtverwaltung auf eine WAZ-Anfrage zum aktuellen Infektionsgeschehen in den hiesigen Stadtteilen steht indes noch aus.
Zugleich häufen sich Berichte, wonach ein großer Teil der Intensivbetten in den Kliniken durch Migranten belegt seien. Auch Klaus Rembrink weiß dies zu bestätigen. Von seinen Kollegen der Intensivstationen in den Gelsenkirchener Krankenhäusern wisse er, dass etwa 70 bis 80 Prozent der dortigen Covid-Patienten einen Migrationshintergrund haben. Rembrink treiben diese Zahlen um. Der erfahrene Mediziner würde gerne verstehen, was die Gründe sind, um den Betroffenen zu helfen.
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Der Verweis auf mögliche „Sprachbarriere“ greife laut Experten jedenfalls zu kurz. „Die Pandemie ist ein weltweites Phänomen und trifft alle Kulturen“, hatte Caner Aver, Integrationswissenschaftler am Zentrum für Türkeistudien in Essen der WAZ kürzlich gesagt. In allen Sprachen werde darüber berichtet, die Grundregeln seien überall gültig.
Ein Faktor könne sein, dass Menschen mit Migrationsgeschichte häufiger in Berufen mit erhöhtem Ansteckungsrisiko tätig sind, erklärte Aleksandra Lewicki, die an der University of Sussex zu institutioneller Diskriminierung, Gleichstellungspolitik und politischer Mobilisierung forscht, in einem Interview mit dem „Mediendienst Integration“.
Dazu komme, dass Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland gesundheitlich weniger gut versorgt seien. Der Berliner Senat hat erst kürzlich eine Studie veröffentlicht, die den Zusammenhang von prekären Wohnverhältnissen und dem Risiko für eine Infektion belegt: „Je höher der Anteil der Arbeitslosen beziehungsweise Transferbeziehenden in den Bezirken ist, desto höher ist die Covid-19-Inzidenz“, heißt es.
Halten sich Migranten seltener an die Corona-Regeln?
Ebenfalls nicht statistisch belegbar, aber eine Beobachtung, die in Gelsenkirchen zuletzt auch Bezirksbürgermeister Michael Thomas Fath (SPD) geäußert hat: Vorsätzliche Missachtung geltender Regeln durch Gruppen von Zuwanderern. Fath bezog sich dabei auf illegale Treffs mit bis zu 30 Personen auf der gesperrten Sportanlage Auf der Reihe in Rotthausen.
Immer wieder berichtet auch die Gelsenkirchener Polizei von Einsätzen, bei denen sie Feste mit Dutzenden Teilnehmern auflösen muss und die Teilnehmer Zuwanderer sind oder eine Migrationsgeschichte haben. Zuletzt wurde die Polizei am vergangenen Wochenende wegen einer Grillparty mit 70 Teilnehmern zur Rotthauser Straße gerufen. Nach Angaben der Polizei handelte es sich um Gäste „aus dem Zuwanderermilieu und/oder um Teilnehmer mit Migrationshintergrund“ - dem Vernehmen nach aus Rumänien. Auch zuvor berichtete die Polizei schon mehrfach von illegalen Festen mit 60 oder 70 Teilnehmern, oftmals hatten die Beteiligten einen rumänischen Migrationshintergrund.
Zuletzt hatte auch Oberbürgermeisterin Karin Welge während einer Pressekonferenz gesagt: „Wir wissen, dass das in einigen Gesellschaftskreisen noch immer viel zu viele Zusammenkünfte und in der Folge Ansteckungen gibt.“ Konkreter wurde die OB allerdings nicht.