Mülheim. Es steht fest: Der Präsenzunterricht bleibt bis auf Weiteres ausgesetzt – die Schulen sind in Mülheim am Montag zu. Die Inzidenz ist zu hoch.
Viele Lehrer, Schüler und Eltern werden aufgeatmet haben, als sie am Freitagmittag hörten: Die Mülheimer Schulen bleiben zunächst geschlossen. Den Tag über hatten sich die Ereignisse ein weiteres Mal in dieser Pandemie überschlagen: Hatte es am Morgen noch geheißen, alle Schüler müssten ab kommender Woche definitiv wieder in den Wechselunterricht, verkündete die Stadt gegen 13 Uhr das genaue Gegenteil. Und bremste damit auch eine Umfrage aus, die empörte Eltern zuvor in Gang gesetzt hatten.
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Die Info über die von vielen ersehnte Kehrtwende kam vom Land: Alle Schulen in NRW-Kommunen, die über einer Corona-Inzidenz von 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche liegen, dürften ihre Schulen am Montag nicht öffnen, hieß es. In Mülheim lag die Inzidenz am Freitag bei 227,4. Auch zwölf andere Städte müssen zunächst beim Distanzunterricht bleiben. „Wir sind sehr froh, dass es nun eine landesweit einheitliche Regelung in Sachen Schulschließungen gibt“, kommentierte Mülheims Krisenstabsleiter, Dr. Frank Steinfort, die Entwicklung.
Mülheims Stadtdirektor: Darum war man lange Zeit gegen die Schließung
Er machte klar, dass es durchaus „gute Gründe gegeben“ habe, warum die Stadt sich zuvor nicht zu einer Schließung entschieden hatte. So sei es „Tatsache, dass in Schulen keine Infektionen stattfinden, sondern vornehmlich im privaten Kreis, in der Familie oder beim Zusammentreffen mit Freunden“. Schülerinnen und Schüler hätten besonders unter der Pandemie zu leiden, unter anderem, weil Online-Unterricht teilweise nur sehr verzögert stattfände. „Auch die sozialen Kontakte haben stark gelitten“, so Stadtdirektor Steinfort. „Für eine gesunde Entwicklung unserer Kinder dürfen wir auch das nicht außer Acht lassen.“
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Der Präsenzunterricht bleibt also bis auf Weiteres ausgesetzt – ausgenommen davon sind lediglich die Abschlussklassen. Die Notbetreuung wird weiterhin angeboten.
Eltern erklärten Vorgehen der Stadt mehrheitlich für „unangemessen“
Am Freitagvormittag noch waren alle Beteiligten davon ausgegangen, dass die Schulen am Montag wieder öffnen – trotz rasant steigender Corona-Zahlen. Denn die Stadt hatte sich ja klar positioniert. Aus der Elternschaft und von Schulleitungen wurde der Protest minütlich lauter. Die unmissverständliche Forderung: Lasst die Schulen zu! Auf eine vom Schulpflegschaftsvorsitzenden des Otto-Pankok-Gymnasiums, Matthias Hahn, initiierte Umfrage reagierten innerhalb kurzer Zeit 2000 Eltern. Mit großer Mehrheit erklärten sie das Vorgehen der Stadt für „unangemessen“, kündigten Widerstand an.
Gegen 9 Uhr hatte Hahn seine Umfrage, die über den Link https://bit.ly/3e5mImo zu erreichen ist, auf den Weg gebracht – via E-Mail an die Vorsitzenden der Pflegschaften der weiterführenden Mülheimer Schulen. „Adressen von Grundschul-Vertretern hatte ich nicht“, so Hahn, „die Mail aber ist vielfach weitergeleitet worden, so dass auch die Grundschulen schnell mit an Bord waren.“
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Umfrage-Ergebnis ging an Krisenstab, Schulamt und OB
„In unserer Elternschaft überwiegt die Fassungslosigkeit gegenüber der Entscheidung“, hatte Hahn zur Begründung geschrieben. Und: „Wenn wir als einzelne Schule auf die Stadt zugehen, ist die Wirkung eher klein. Wenn wir alle Schulen mobilisiert bekommen, können wir sicherlich kurzfristig etwas erreichen.“ Hahn berichtete schon nach kurzer Zeit von unzähligen Antworten: „Das geht hier gerade richtig ab. Ich scheine einen Nerv getroffen zu haben.“ Etliche Eltern hätten ihm gespiegelt, „dass es nicht sein kann, dass es Ausgangssperren gibt, aber die Schulen aufbleiben. . .“
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Am Nachmittag, als die Entscheidung des Landes stand, informierte Hahn OB Marc Buchholz, Krisenstabsleiter Frank Steinfort und Peter Hofmann, den Abteilungsleiter für den Schulbereich, über die Umfrage. In seinem Schreiben hieß es unter anderem: „403 von 2000 Rückmeldungen finden die Entscheidung des Krisenstabes angemessen – 1597 aber finden sie nicht angemessen.“ Er wolle den Verantwortlichen ein Gefühl für die Sorgen und Nöte der Eltern vermitteln. „Und ich wünsche mir, dass zukünftige Entscheidungen nicht wieder zu einem Aufschrei in der Elternschaft führen müssen. Ich möchte mich lieber um die Weiterentwicklung innerhalb der Schule kümmern und nicht als ,Feuerwehrmann’ einen Flächenbrand löschen.“
Mülheims Schulleiter teilten die Skepsis der Eltern
Mülheims Schulleiter teilten die Skepsis der Eltern. Laut Andreas Illigen, Sprecher der Schulleitervereinigung, hatten sie sich ebenfalls klar gegen die Öffnung ausgesprochen. Es sei ja absehbar, dass der Inzidenzwert hoch bleibt, wahrscheinlich sogar steige. Die Schulen müssten also ohnehin sehr wahrscheinlich wieder schließen – „also sollten wir direkt im Distanzunterricht bleiben und unser mittlerweile gutes Konzept nicht schon wieder unterbrechen“, so Illigen am Vormittag.
Ähnlich klang Anja Güngör vom Stadtverband Bildung und Erziehung: „Ich halte es für sehr gewagt, die Schüler wieder in die Schulen zu holen“, so die Gewerkschaftsvertreterin, die für Lehrkräfte und andere Beschäftigte an Schulen spricht. Sie erkenne zwar die Not der Eltern, die durch Homeschooling und Betreuung sehr gefordert seien – „doch das Risiko, dass Menschen sterben, ist einfach zu hoch“.
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„Die Beschäftigten haben wirklich Angst“
Ihr Telefon stehe nicht mehr still, Kurznachrichten empörter Lehrer füllten den Handy-Speicher. „Der Baum brennt.“ Die Lehrkräfte seien auch einfach nicht ausreichend mit Schutzmaterialien ausgerüstet, um sich aktuell vor eine – wenn auch halbierte – Klasse zu stellen. Gerade vor dem Hintergrund der angedachten zwei Selbsttestungen pro Woche fehle es an Handschuhen, Kitteln, Visieren. „Und es sind ja auch längst noch nicht alle geimpft.“
Von Ärzten und Wissenschaftlern höre man, dass in den Krankenhäusern kaum noch Betten frei sind, dass möglicherweise an Triage gedacht werden muss und dass viele Betroffene mittlerweile in genau dem Alter sind, welches auch die Beschäftigten haben. „Die Beschäftigten haben wirklich Angst – um sich, ihre Familien und die Schüler. Die Gefahr zu sterben, ist real. Wir sollten nicht auf das Gesetz vom Bund warten – sondern jetzt handeln und die Schulen zulassen.“ Ihr Wunsch ging Stunden später in Erfüllung.