Herne. Die neue Leiterin des Jugendamts Herne möchte eine Eltern-App für Kitas einführen. Was dahinter steckt, was sie außerdem plant, wie sie tickt.
Das Herner Jugendamt ist der größte Fachbereich in der Stadtverwaltung. Nach fünfeinhalb Monaten ohne Leitung haben die 678 Mitarbeitenden nun endlich eine neue Chefin: Annette Pradel hat zum 1. Oktober die Nachfolge von Stephanie Jordan angetreten, die bekanntlich Mitte April zur Dezernentin „befördert“ worden war. Bei ihrer Vorstellung im Rathaus Wanne haut die Rösratherin gleich mal einen raus: Sie wolle eine Eltern-App für Kindertagesstätten einführen, kündigt sie an.
Ein modern aufgestelltes Jugendamt sei ihr sehr wichtig. Nicht nur ihr: Die städtische Kita-Abteilungsleiterin habe ihr mitgeteilt, dass sie dieses Vorhaben auch „auf der Liste“ habe, so die 59-Jährige. Pradels Vorgängerin und Vorgesetzte Stephanie Jordan stellt sich hinter dieses Ziel. Durch eine solche App könnten Wege abgekürzt und Eltern schnell informiert werden, sagt die 44-Jährige. Eine Kita-App sei in Herne auch schon länger Thema, doch sie habe feststellen müssen, dass die Umsetzung „nicht immer einfach ist“, so ihr Hinweis.
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Neben der Digitalisierung will ihre Nachfolgerin Annette Pradel Schwerpunkte unter anderem bei den Kita-Plätzen („eine große Herausforderung“) sowie der Umsetzung des 2021 im Bund beschlossenen Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes setzen. Der rechtliche Rahmen sieht vor, dass Jugendämter bis zum 1. Januar 2028 für alle Kinder und Jugendlichen zuständig werden, ganz gleich ob eine Behinderung bzw. Beeinträchtigung vorliegt. Bislang waren die Zuständigkeiten auf mehrere Bereiche und Stellen verteilt. Ab 2024 soll ein sogenannter Verfahrenslotse den Prozess im Jugendamt koordinieren; auch das ist eine Vorgabe des Bundes.
Die neue Jugendamtsleiterin – sie setzte sich in einer externen Ausschreibung durch – blickt auf eine mehr als 30-jährige Berufserfahrung in Jugendämtern zurück. Zuletzt war sie für knapp fünf Jahre Teil einer Doppelspitze des Jugendamts in Gießen. Zum Ende ihrer Amtszeit in der hessischen Universitätsstadt gab es für sie bzw. fürs Jugendamt allerdings Negativ-Schlagzeilen (siehe unten).
Zuvor war Pradel mehr als 20 Jahre im Jugendamt Niederkassel sowie mehrere Jahre im Jugendamt ihrer Heimatstadt Rösrath beschäftigt. In diese Zeit fiel auch ihre bislang einzige Berührung mit Herne. Sie habe in Rösrath das Jugendparlament wieder ins Leben gerufen und fortan großen Wert darauf gelegt, dass die Jugendparlamentarier am jährlichen „Workshop unter Palmen“ in der Akademie Mont-Cenis teilnehmen, berichtet sie.
Umzug nach Herne: Wohnung in Horsthausen von Kollegen übernommen
In ihren ersten vier Wochen als Jugendamtsleiterin – ihr Büro ist im WEZ an der Hauptstraße – verbrachte Pradel täglich drei Stunden auf Autobahnen zwischen Rösrath („das Tor zum Bergischen Land“) und Herne. Das soll nun ein Ende habe: Am Freitagnachmittag fand die Schlüsselübergabe für ihre neue Wohnung in Horsthausen statt. „Wie es der Zufall wollte, ist es die Wohnung eines Kollegen“, so Pradel.
Der Umzug habe für sie hohe Priorität gehabt. „Mir ist ganz wichtig, das Leben hier mitzubekommen, alles zu spüren und zum gleichen Bäcker zu gehen wie alle anderen auch.“ Und im Sommer 2024 dann auch zum gleichen Volksfest. Eine Premiere: Auf der Cranger Kirmes sei sie noch nie gewesen, bekennt sie. Ihr erster Eindruck nach vier Wochen Herne: Sie habe die Stadt als sehr geradlinig empfunden, mit Menschen, „die das Herz am richtigen Fleck haben“.
>>> Kindeswohlgefährdung: Zu wenig Personal in Gießen, Vollbesetzung in Herne
In Gießen sah sich das von Annette Pradel geleitete Jugendamt jüngst mit gravierenden Vorwürfen konfrontiert. Aufgrund erheblicher Personalengpässe könne man nicht mehr ausschließen, dass Kinder zu Schaden kommen, begründeten Mitarbeitende des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) im August 2023 laut Gießener Anzeiger ihren Gang an die Öffentlichkeit.
„Kinderbetreuung steht vor dem Kollaps“, titelte der Gießener Anzeiger damals. Die Vorwürfe richteten sich laut Pressebericht aber nicht gegen Annette Pradel, sondern gegen die (grüne) Jugenddezernentin sowie das Gießener Haupt- und Personalamt. Im Gespräch mit der WAZ möchte die 59-Jährige dazu nicht Stellung nehmen. Nur soviel: „In Gießen konnte Verschiedenes nicht so gesteuert werden, wie es in Herne möglich ist. Der Part lag dort aber nicht bei mir“, so Pradel.
Im Vergleich zu Gießen (oder auch Ruhrgebietsstädten wie beispielsweise Gelsenkirchen) ist die personelle Situation im Herner ASD derzeit entspannt. „Wir haben keine unbesetzten Stellen“, sagt Dezernentin Stephanie Jordan zur WAZ. Heißt: 44 Mitarbeitende besetzen zurzeit im Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamts die 37,5 Planstellen. „Oben drauf“ kämen noch drei Stellen zur Betreuung älterer Jugendlicher sowie fünfeinhalb Stellen für eine „qualifizierte Vorfeldhilfe“. Diese Mitarbeitenden würden Familien in Krisensituationen für maximal drei Monate zur Seite gestellt, um zu prüfen, ob es einen weiteren Hilfebedarf gebe.
„Wir haben im Herner ASD gut aufgebaute und durchmischte Kernteams“, sagt Jordan über diese von ihr bis zum Wechsel an die Jugendamtsspitze im Jahr 2018 geleitete Abteilung. Außerdem bilde die Stadt in diesem Bereich über ein Duales Studium selbst aus. Alle Anstrengungen und Konzepte könnten aber nicht verhindern, dass es aufgrund der für die Mitarbeitenden teilweise sehr belastenden Tätigkeit auch in Herne eine gewisse Fluktuation gebe. „Morgens feiert man die Vollbesetzung, nachmittags kann das schon wieder anders aussehen“, so die 44-Jährige.
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Zur Statistik: Die Zahl der „Verfahren zur Einschätzung des Kindeswohls“, stieg 2022 in Herne zwar recht deutlich um 12,3 Prozentpunkte an (von 832 auf 934), pendelte sich damit allerdings auf das Vor-Corona-Niveau ein. Eine akute Kindeswohlgefährdung wurde im vergangenen Jahr in 97 Fällen festgestellt (minus 5), eine latente Kindeswohlgefährdung in 48 Fällen. Keine Kindeswohlgefährdung, aber einen Hilfebedarf gab es in 302 Fällen, keinerlei Handlungsbedarf bestand in 475 eingeleiteten Verfahren. Zahlen fürs laufende Jahr könnten erst Anfang 2024 genannt werden, so die Dezernentin.