Herne. . Für jedes Kind eine passende Lösung zu finden, ist Stephanie Jordan ein Anliegen. Sie leitet den Fachbereich Kinder, Jugend, Familie in Herne.

Seit einem guten halben Jahr leitet Stephanie Jordan den Fachbereich Kinder, Jugend, Familie bei der Stadt Herne. WAZ-Redakteurin Gabriele Heimeier sprach mit ihr über die aktuellen Schwerpunkte ihrer Arbeit, über den Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder und angesichts des Falls in Lügde über Pflegekinder und -eltern.

Bevor Sie Ihr jetziges Amt übernommen haben, haben Sie schon vier Jahre lang die Abteilung Erziehungshilfen geleitet. Was hat Sie in Ihrer neuen Funktion am meisten beschäftigt? Gab es Überraschungen?

Jordan: Was mich am meisten beschäftigt hat, war die Planung für den Ausbau der Betreuung von Kindern im u- und ü-3-Bereich. Wir sind dabei, die Strategieplanung für die nächsten Jahre aufzustellen. Das ist ein neues Feld für mich gewesen, in das ich mich intensiv einarbeiten durfte und festgestellt habe, wie spannend und umfangreich es ist.

Sehen Sie bei der Ausbauplanung langsam einen Silberstreif am Horizont?

Die Strategieplanung kommt, wir haben uns sehr intensiv damit auseinandergesetzt. Unser Ziel ist eine hundertprozentige Versorgung mit Plätzen für Kinder über drei Jahren und Plätze für 42 Prozent der Kinder unter drei Jahren. Wir sind unermüdlich dabei. Ich bin froh, wenn wir die internen Abstimmungsprozesse beendet haben und die weiteren Schritte klarer sind. Immer vor dem Hintergrund, dass unsere Annahmen mit der Entwicklung der Kinderzahl überein stimmen. Es kann natürlich sein, dass angepasst werden muss.

Damit Kita-Kinder in Herne nur im Spiel unter Planen campieren, treibt Herne den Ausbau der Tageseinrichtungen voran. Unser Bild zeigt eine Aktion der Kita Unser-Fritz-Straße.
Damit Kita-Kinder in Herne nur im Spiel unter Planen campieren, treibt Herne den Ausbau der Tageseinrichtungen voran. Unser Bild zeigt eine Aktion der Kita Unser-Fritz-Straße.

Hat es schon einmal Klagen auf einen Platz gegeben?

Nein. Wir suchen für jedes Kind nach Lösungen.

Bekommen Sie überhaupt noch qualifiziertes Personal für die Kitas?

Noch geht es. Langfristig gesehen werden wir uns da anders aufstellen müssen und sehen, dass wir selber ausbilden. Das ist ein Prozess, den wir auch mit den Trägern abstimmen müssen, aber das wird ein Thema werden.

Digitalisierung ein sehr spannendes Thema

Die Kitas sind auch die wichtigste Aufgabe für die nächste Zeit oder gibt es noch andere?

Jugendhilfe ist sehr breit gefächert. Kinderschutz ist ein zentrales Thema, aber auch die Digitalisierung, mit ihren Chancen und Herausforderungen. Die technische Seite ist eins, das andere ist die Frage, wie wir inhaltlich damit umgehen, welche konzeptionelle Ausrichtung wir brauchen und welche Zielsetzung wir haben. Wollen wir zum Beispiel Online-Beratung anbieten, vielleicht auch dauerhaft oder wollen wir Zielgruppen eher einen einfachen, niedrigschwelligen Zugang bieten? Das ist ein hochgradig spannendes Feld. Es sind so viele Themenfelder, die mir wichtig sind, zum Beispiel auch die frühen Hilfen. Da sind wir zwar schon sehr gut aufgestellt, aber wir müssen noch mal sehen, was wir ergänzen können.

Früher hatte man mit dem Jugendamt ja am liebsten gar nichts zu tun. Es wurde vorrangig als Ordnungsmacht mit Zwangsmöglichkeiten gesehen. Ist das heute noch so oder hat sich das geändert?

Sowohl als auch. Es gibt schon noch die Verknüpfung von Jugendamt mit Eingriffsbehörde. Aber das ist nur ein kleiner, wenn auch wichtiger Bereich. Wir kümmern uns außerdem um Kinderbetreuung, Jugendförderung, wirtschaftliche Hilfen, Beistandschaften, haben Beratungsstellen ..., aber diese Verknüpfung kommt nicht automatisch.

Größter Fachbereich der Stadt

Der Fachbereich ist mit inzwischen 560 Mitarbeitenden der personell größte der Stadtverwaltung und hat nach dem Fachbereich Soziales das zweitgrößte Budget. Hat es für Sie eine besondere Bedeutung, an der Spitze dieses Fachbereichs zu stehen?

Tatsächlich nicht. Mir liegt das Thema einfach total am Herzen. Jeder junge Mensch hat das Recht auf eine eigenständige Persönlichkeitsentwicklung. Das ist die Grundmaxime, dass wir dazu beitragen, dass sich junge Menschen gut entwickeln können, wir Rahmenbedingungen dafür schaffen, Unterstützung bieten, Angebote für die Familie machen. Und davon soll möglichst viel bei den Kindern und Jugendlichen ankommen.

Es hat in den vergangenen Wochen entsetzliche Vorfälle gegeben, die Kinder und Pflegekinder betrafen. Stichwort Lügde, wo über 30 Kinder jahrelang missbraucht wurden. Ein sechsjähriges Mädchen wurde sogar vom Jugendamt einem der mutmaßlichen Haupttäter als Pflegekind anvertraut. Können Sie sich so etwas in Herne vorstellen?

Klare Vorgaben für Pflegefamilien

Der Fall Lügde ist von außen wirklich schwierig zu bewerten. Es gibt hier in Herne ein ausgearbeitetes Qualitätshandbuch, mit klaren Vorgaben für die Eignungsfeststellung von Pflegefamilien. Dazu gehören u.a. ein erweitertes Führungszeugnis, Schufa-Auskunft, ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, ein ausführlicher Fragebogen, die Auseinandersetzung mit der persönlichen Lebensgeschichte der Pflegeeltern und auch deren Ziele und Werte im Hinblick auf Kinder. Es gibt Hausbesuche durch uns, wobei häusliche und räumliche Verhältnisse geprüft werden; dafür gibt es Standards. Etwas anders ist es, wenn es um Pflegeverhältnisse durch Verwandte geht. Aber auch da gibt es klare Absprachen mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst. Mir ist wichtig, dass wir ein gutes Auge darauf haben.

In Herne gibt es klare Vorgaben, nach denen die Eignung von Pflegefamilien festgestellt wird.
In Herne gibt es klare Vorgaben, nach denen die Eignung von Pflegefamilien festgestellt wird. © Astrid Hoyer-Holderberg

Gibt es für Pflegeltern Weiterbildungen?

Es gibt für alle einen Vorbereitungskurs. Wir bieten auch Wochenendseminare und spezielle Angebote für Bereitschaftspflegeeltern. Alle werden von uns beraten und begleitet, abhängig auch vom Bedarf. In diesem Rahmen finden auch Hausbesuche statt.

Wohngruppen vor allem für ältere Kinder

Bringt Herne auch Pflegekinder auswärts unter?

Es ist eine Herausforderung, Pflegeeltern zu finden. Wir fokussieren uns schon auf Herne, aber das ist auch vom jeweiligen Fall und dem Bedarf des Kindes abhängig. Man muss auch sehen, was zu dem Kind passt. In den ersten zwei Jahren ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich die leiblichen Eltern leben. Danach übernimmt, bei einem auf Dauer angelegten Pflegeverhältnis, das Jugendamt der Stadt, in der das Kind untergebracht ist.

Wann gibt man ein Kind in Pflegefamilie, wann in eine Wohngruppe?

In Wohngruppen wechseln die Bezugspersonen durch den Schichtbetrieb. In der Regel sind neun Kinder in einer Wohngruppe, es gibt aber auch kleinere Einheiten. Bei kleinen Kindern sehen wir zu, dass wir sie in Familien unterbringen. Ein familiäres Setting ist eigentlich nicht zu ersetzen durch eine Wohngruppe. Unser Anliegen ist, dass kleine Kinder in Familien groß werden, vor allem, wenn absehbar ist, dass die Unterbringung auf Dauer angelegt ist. Je älter die Kinder werden, desto herausfordernder wird es, Pflegefamilien für diese zu finden. Wir müssen aber auch schauen, ob sich Familien finden, die bereit sind, zeitlich befristet ein älteres Kind aufzunehmen, wenn klar ist, dass die Kinder nach einer bestimmten Zeit wieder zu den Eltern zurückgehen.

1000 Meldungen mit Hinweisen auf mutmaßliche Kindesgefährdungen gibt es in Herne pro Jahr, die Zahl der Inobhutnahmen ist von 77 im Jahr 2016 auf 150 im vergangenen Jahr gestiegen. Was sind die Gründe dafür?

Etwa 1000 Meldungen auf mutmaßliche Kindeswohlgefährdung gibt es in Herne inzwischen pro Jahr.
Etwa 1000 Meldungen auf mutmaßliche Kindeswohlgefährdung gibt es in Herne inzwischen pro Jahr. © Alexandra Roth

Häufig steckt hinter den Meldungen nichts. Es kommt auch vor, dass manche Kinder und Jugendliche mehrfach in Obhut genommen werden. Nicht jede Inobhutnahme lässt sich mit einem Gewalthintergrund verknüpfen. Manchmal melden sich Jugendliche selber. Es kann sich dann herausstellen, dass sie Regeln zu Hause nicht akzeptieren wollen und denken, in Wohngruppen gäbe es keine oder lockerere. Wenn sich dieses Missverständnis klärt, löst sich das Thema schnell auf. Ich möchte das Thema nicht herunterspielen, es gibt aber unterschiedlichste Hintergründe. Und natürlich gibt es auch schwerwiegende Gründe für Inobhutnahmen.

Gehen Sie jeder Meldung nach?

Ja. Wenn gravierende Gründe für eine mögliche Gefährdung genannt werden, gehen wir dem nach.

Kinderschutz kennt keine Pause

Wie schnell geht das, zum Beispiel am Freitagabend?

Dafür gibt es eine Rufbereitschaft. Kinderschutz kennt keine Pause. Das läuft auch über die Feuerwehr und Polizei.

Müssen Ihre Kollegen manchmal selbst die Polizei in Anspruch nehmen, weil sie gefährdet sind?

Es gibt eine Zusammenarbeit, je nach Einschätzung kann die Polizei hinzugezogen werden.

Werden die Mitarbeiter auf schwierige Situationen vorbereitet?

Es gibt Deeskalationstrainings und Trainings zu Gesprächsführung. Die Gefährdungsüberprüfung findet immer zu zweit statt. Grenzwertige Situationen für Mitarbeiter sind aber kein Tagesthema. Mir ist es ein Anliegen, frühzeitig bei den Familien zu sein, bevor etwas schief läuft und womöglich eskaliert. Deshalb haben wir für die Familien auch viele Angebote.

Ein ganzes Paket mit Info-Material und kleinen Geschenken bringen die Mitarbeitenden des Fachbereichs Kinder, Jugend, Familie bei dem Besuch von Neugeborenen mit.
Ein ganzes Paket mit Info-Material und kleinen Geschenken bringen die Mitarbeitenden des Fachbereichs Kinder, Jugend, Familie bei dem Besuch von Neugeborenen mit. © Thomas Schild, Archiv

Werden die Angebote denn auch angenommen?

Die Hausbesuche nach der Geburt werden zum Beispiel super angenommen. Da liegen wir bei 90 Prozent. Wir haben aber auch vieles andere in die Wege geleitet, wie die Angebote in den Familienzentren und im Familienbüro. Zum Beispiel das Familienfrühstück, mit dem wir in Wanne angefangen haben, kommt sehr gut an. Das gibt es jetzt auch in Herne-Mitte.

In der Vergangenheit war immer wieder Thema, der Allgemeine Soziale Dienst, der ASD, sei überlastet. Wie sieht es jetzt dort aus?

Wir sind am Personal immer dran. Der ASD ist überall von einer gewissen Fluktuation geprägt. Es ist eine Herausforderung, Fachkräfte zu finden. Mir ist es ein Anliegen, dass der ASD vernünftig ausgestattet ist, dass die Rahmenbedingungen stimmen, um gut arbeiten zu können.

Bitte ergänzen Sie . . .

Ich bin Sozialarbeiterin/-pädagogin geworden, weil . . .

. . . ich es besser machen wollte als die, die ich als Jugendliche kennen gelernt habe.

Am besten entspanne ich mich . . .

. . . bei Bewegung. Ich mache gerne Sport, gehe spazieren, laufe, fahre mit dem Rad.

Das letzte Buch, das ich gelesen habe . . .

. . . Ich lese gerne entspannende Unterhaltung, schwere Kost brauche ich abends nicht mehr. (lacht) Ich habe letztens alle Harry-Potter-Bücher noch einmal gelesen, weil ich es genial finde, wie viele Themen die Autorin darin verpackt hat.

Wenn ich einen Wunsch frei hätte. ..

... würde ich mir wünschen, dass unterschiedliche Professionen gut zusammen arbeiten, auf Augenhöhe und immer vor dem Hintergrund, die Logik des anderen verstehen zu wollen.

>> ZUR PERSON

Stephanie Jordan ist in einer Kleinstadt (Sonthofen) in der Nähe von Oberstdorf im Allgäu aufgewachsen.

Zum Studium kam sie ins Ruhrgebiet und verliebte sich hier in Region und Leute.

Die heute 39-Jährige beendete 2005 ihr Studium an der Uni Duisburg Essen. Es folgte ein Anerkennungsjahr bei der Stadt Essen.

Danach war sie Bezirkssozialarbeiterin beim ASD in Bochum, dann stellvertretende Teamleiterin und schließlich Teamleitung im ASD Bochum. Ihr berufsbegleitendes Studium an der FOM Essen schloss sie als Magister Artium (Human Ressources) ab.

In Herne leitete sie vier Jahre die Abteilung Erziehungshilfen; dazu gehören neben dem ASD auch der Pflegekinderdienst/Adoptionsvermittlung, die Jugendhilfe im Strafverfahren und das Familienbüro.