Herne. Ihre Wahl verlief nicht reibungslos. Wie tickt Hernes neue Dezernentin Stephanie Jordan? Im Interview spricht sie über Kitas, Karriere und mehr.
Jugendamtsleiterin Stephanie Jordan ist Anfang März vom Rat zur neuen Dezernentin für Soziales, Kinder-Jugend-Familie und Gesundheit gewählt worden. Im April trat sie ihre Stelle an. Die WAZ sprach mit der 44-Jährigen über ihren neuen Job, große Herausforderungen und besondere Herner Orte.
Fast jedes dritte Herner Kind lebt in Armut. Es fehlen Hunderte Kita-Plätze. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch. Und die Pandemiefolgen werden noch länger spürbar sein. Wird Ihnen als neue Dezernentin in Herne bei dieser Ausgangslage nicht angst und bange?
Stephanie Jordan: Nein, aber ich habe großen Respekt vor den Herausforderungen. Und auch wenn es etwas abgedroschen klingt. Ich mag Herausforderungen. Und der neue Zuschnitt des Dezernats birgt die Chance, die Disziplinen enger miteinander zu verzahnen.
Mal abgesehen vom höheren Gehalt: Was hat Sie an dieser Stelle gereizt?
Ich möchte etwas bewegen. Ich habe nie den Plan gehabt, Karriere zu machen oder viel Geld zu verdienen. Ich habe Sozialarbeit und Sozialpädagogik aus Überzeugung studiert, weil ich einen Beitrag für die Gesellschaft und für die Menschen leisten wollte. Mit jeder Stufe, die ich genommen habe, habe ich gemerkt, dass ich mehr Möglichkeiten zur Gestaltung und zur Einflussnahme habe.
Sie sind seit 87 Tagen Dezernentin. Wie verlief der Start?
Sehr gut, aber zwischenzeitlich auch etwas ruckelig, was aber normal ist. Das Dezernat ist gut aufgestellt, ich habe ein gutes Leitungsteam. Das Schöne in Herne ist: Alle wollen etwas bewegen und haben Lust, gemeinsam zu arbeiten.
Der Fachbereich Kinder-Jugend-Familie ist für Sie alles andere Neuland. Was ist zurzeit die größte Baustelle? Die Kita-Situation?
Ja, sicherlich. Man darf aber nicht vergessen, dass wir beim Kita-Ausbau bereits sehr erfolgreich waren. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren gut 1000 Plätze geschaffen – das ist eine Macht! Für die nächsten Kita-Jahre haben wir weitere 800 Plätze geplant. Und aktuell sieht es so aus, dass wir die angemeldeten und geplanten Plätze im Laufe des Kita-Jahres alle realisieren können. Das wäre ein Novum in Herne. In den vergangenen Jahren hatte man bisweilen das Gefühl, dass wir zwei Schritte vor und drei Schritte zurück machen.
Wenn die Stadt ihre Ziele beim Kita-Ausbau erreicht, heißt das ja noch lange nicht, dass alle Eltern in Herne einen Platz für ihr Kind bekommen. Wie viele Plätze werden denn diesmal fehlen?
Man muss unterscheiden. Bei den über Dreijährigen streben wir eine 100-Prozent-Versorgung an, im U3-Bereich 42 Prozent. Der rechnerische Fehlbedarf liegt diesmal bei 736 Plätzen. In den vergangenen Jahren haben letztlich jeweils rund 1000 Plätze gefehlt. Eltern zu vermitteln, dass sie keinen Platz bekommen werden, ist sehr schwierig. Auf der anderen Seite steht Herne nicht allein da mit diesem Problem; in einigen anderen Großstädten und Landkreisen ist die Situation sogar noch dramatischer. Wir versuchen unser Bestmögliches, den Ausbau voranzutreiben. Wir schauen dabei auch auf die individuelle Situation der Familien und bemühen uns, um vielleicht doch noch etwas möglich zu machen.
Welche großen Aufgaben gibt es außerdem?
Die Arbeitskräftesituation. Das gilt aber nicht nur für den Kinder- und Jugendbereich, sondern auch für den Bereich Soziales. Wir werden sehr viele Abgänge in den kommenden Jahren haben. In Kombination mit dem zu erwartenden Aufgabenzuwachs und der schwierigen finanziellen Situation ist das wirklich herausfordernd, wenn wir dabei alle Leistungen für Bürgerinnen und Bürger im Blick behalten wollen. Ich bin froh, dass ich während meiner Tätigkeit im Allgemeinen Sozialen Dienst noch Personalmanagement studiert habe und hoffe, dass wir weiterhin davon profitieren können.
Werden Sie den Fachbereich Soziales nur verwalten oder wollen Sie in Herne auch eigene Akzente setzen?
Hier komme ich wieder zurück zu meiner Motivation: Ich gestalte gerne. Ich versuche zurzeit, im Fachbereich Soziales einen Überblick darüber zu gewinnen, wo Spielräume bestehen. Es gibt aber zunächst mal viele gesetzliche Vorgaben, die es umzusetzen gilt. Auf der Verwaltungsseite wird es sicherlich auch um die Frage gehen, wie wir durch Digitalisierung die Arbeitsprozesse vereinfachen können.
Auf Bundesebene gibt es derzeit ein Ringen um die Kindergrundsicherung, die von vielen Jugend- und Sozialpolitikern gefordert wird. Auch von Ihnen?
Ja. Wenn die Kindergrundsicherung dazu beiträgt, die Bürokratie zu verschlanken und dass Mittel einfacher abgerufen werden können, ist das sicherlich ein Pfund. Die Kindergrundsicherung ist aber nur ein Aspekt, um Armut und Teilhabeeinschränkungen begegnen zu können.
Ihr drittes großes Feld ist die Gesundheit. Eine These: Der Fachbereich ist durch die Pandemie besser und professioneller aufgestellt denn je. Richtig?
Die personelle Situation im Fachbereich Gesundheit ist sicherlich komfortabler als vor der Pandemie. Der öffentliche Gesundheitsdienst hat durch die Krise einen Boost erfahren und ist deutlich gestärkt daraus hervorgegangen. Es gibt zahlreiche innovative Ideen, es sind gute Prozesse angestoßen worden - zum Beispiel die kooperative Suchthilfeplanung gemeinsam mit den Trägern.
Vom Dezernat zur Dezernentin. Sie waren in Herne ab 2014 vier Jahre Leiterin der Abteilung Erziehungshilfen bei der Stadt und anschließend fünf Jahre Fachbereichsleiterin für Kinder, Jugend und Familie. Nach dem Gesetz der Serie steht in sechs Jahren der nächste große Karrieresprung für Sie an. Haben Sie einen Karriereplan?
(Lacht) Nein, den habe ich nicht. Ich bin für acht Jahre gewählt worden und freue mich über das mir entgegengebrachte Vertrauen. Ich möchte hier etwas erreichen und denke nicht daran, in sechs Jahren wieder zu gehen …
Mussten Sie darüber nachdenken, sich als Dezernentin zu bewerben oder war sofort der Gedanke da: Das mache ich?
Beides. Ich war mit großer Leidenschaft Fachbereichsleiterin. Es war ein Stück weit ein Trauerprozess, sich davon zu verabschieden, inhaltlich derart in der Tiefe tätig sein zu können. Aber die Chance, die Themen auf höherer Ebene einzubringen und etwas zu bewegen, hat einen großen Reiz ausgeübt.
Es wird kolportiert, dass der Anstoß zu Ihrer Wahl von Oberbürgermeister Frank Dudda kam. Ist das richtig?
Dazu kann ich nichts sagen.
Bei Ihrer Wahl im Rat haben 23 Stadtverordnete Ihnen die Zustimmung verweigert. In der Opposition wurde gar der Vorwurf laut, dass es sich bei dem gesamten Besetzungsverfahren um eine Farce gehandelt habe. Hat Sie das geärgert?
Nein, das ist Demokratie. Ich freue mich immer über demokratische Prozesse. Das kann anstrengend sein, aber das macht es nun mal aus. Ich bin überzeugte Demokratin.
Sie haben im April nach Ihrer Wahl auf hartnäckige Nachfragen der WAZ erklärt, dass Sie in die SPD eintreten werden. Sind Sie inzwischen Genossin?
Ja, ich bin SPD-Mitglied.
Die SPD hat Sie im Rat als Dezernentin vorgeschlagen. War das der Preis, den Sie zahlen mussten?
Ich habe das gerne gemacht. Für mich war immer die Maßgabe, dass ich mich nicht verkaufe. Meine Grundausrichtung könnte ich so beschreiben: Ich bin in meinem Herzen sozialdemokratisch, und mir liegt viel am Klimaschutz. Ich habe bisher nicht die Veranlassung gesehen, in einer Partei zu wirken – auch weil mir meine Unabhängigkeit immer wichtig war. Es ist aber gut, dass ich nun Teil der SPD bin und dort mitgestalten kann.
Sie wohnen in Essen. Werden Sie als Dezernentin nach Herne ziehen?
Ich habe bereits eine Wohnung in Herne-Mitte bezogen. Das war Teil der Stellenausschreibung, was ich nachvollziehen kann. Es ist ein Unterschied, ob man morgens in die Stadt fährt und abends wieder zurück, oder ob man hier wohnt. Ich liebe das Ruhrgebiet. Ich werde meinen Schwerpunkt nun in Herne haben, aber nach wie vor auch andere Bezugspunkte im Ruhrgebiet.
„Die Wanner Einkaufsstraße ist besonders“
Entweder/oder: Weißwurst oder Currywurst?
Keines von beiden. Ich bin seit 30 Jahren Vegetarierin.
Wintersport oder Sommerurlaub?
Mittlerweile Sommerurlaub. Ich verbringe aber meine Winter im Allgäu, weil ich dort herkomme. Die Berge waren früher fast das Einzige, was wir dort hatten, also fuhr ich Snowboard. Aus Klimaschutzgründen tue das ich heute aber nicht mehr.
Mein Lieblingsort in Herne ist …
Ich finde den Stadtgarten und Schloss Strünkede schön. Und ich finde die Wanner Einkaufsstraße besonders. Das war der Ort, an dem ich in Herne angekommen bin. Ich saß dort oft in der Mittagspause in der Fußgängerzone. Wanne ist liebenswert und bunt, könnte aber schöner werden, worum sich die Stadt ja auch bemüht.
Richtig oder falsch: Wenn meine Dezernentenkollegen Karlheinz Friedrichs und Hans Werner Klee 2024 in den Ruhestand gehen, würde ich mich freuen, wenn mindestens eine weitere Frau in den Verwaltungsvorstand einzieht?
Ich würde mich über eine weitere Frau freuen, aber das hängt ja von den Bewerbungen und der Qualifikation ab.
>>> Geboren in Schwaben, aufgewachsen in Bayern
- Stephanie Jordan ist geboren in Sigmaringen (Baden-Württemberg) und aufgewachsen in Sonthofen im Allgäu (Bayern). Die Familie zog häufiger um, weil der Vater bei der Bundeswehr war.
- Ins Ruhrgebiet kam sie fürs Studium der Sozialarbeit und der Sozialpädagogik in Essen. Ihre erste Stelle hatte sie bei der Stadt Bochum im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD). 2014 wechselte sie in die Herner Verwaltung.
- Als Dezernentin für Soziales, Kinder-Jugend-Familie und Gesundheit ist Jordan Chefin von rund 840 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ihr Büroleiter ist Patrick Eickelkamp (bisher: Fachbereich Gesundheit“), der einst auch von der Verwaltung an die SPD-Fraktion „ausgeliehen“ bzw. freigestellt war.
- Die 44-Jährige ist nicht verheiratet, lebt aber in einer langjährigen Partnerschaft.