Herne. Die Herner Firma Heitkamp ist für ihr Brücken-Schnellbausystem ausgezeichnet worden. Experten sehen viel Potenzial im Kampf gegen marode Brücken.
Vor wenigen Wochen schlug die IHK-Initiative Rheinland Alarm und warnte vor einem neuen Brückendesaster. Eine Vielzahl von Brücken im Land sei marode, doch die Erneuerung dauere zu lange. Was die Wirtschaftsvertreter nicht wussten: Es existieren bereits schnelle und nachhaltige Lösungen für Ersatzbauten. Eine kommt aus Herne und ist nun preisgekrönt.
Heitkamp ist Ende Mai mit dem Deutschen Brückenbaupreis ausgezeichnet worden. Das Wanne-Eickeler Unternehmen hat den erstmals vergebenen Sonderpreis für Nachhaltigkeit verliehen bekommen. Aufhorchen lässt die Begründung der Jury: Die von Heitkamp auf der A3 realisierte Brücke sei „ein höchst beachtenswerter Schritt auf dem Weg zum klimaneutralen Bauen“. Sie sei „richtungsweisend bei Baugeschwindigkeit, Ressourcenschonung und CO2-Einsparung“.
„Der Preis ist die Anerkennung für fünf Jahre Arbeit und Hartnäckigkeit“
Die Formel für diesen Erfolg nennt sich „bewehrte Erde“. So funktioniert die Bauweise, die sich Heitkamp inzwischen hat patentieren lassen: Die Brückenpfeiler werden nicht mehr aus Beton hergestellt, sondern mit Erdreich und Kunststoffgittern. Die Gitter werden Lage für Lage übereinandergeschichtet, die Erde dazwischen maximal verdichtet. So geht keine Zeit mehr ins Land für das Aushärten von Beton, außerdem gibt es keine Eingriffe in den laufenden Verkehr - keine Tempobegrenzung, keine Einspurigkeit, keine Warnbaken.
Heitkamp-Chef Jörg Kranz nahm den Preis in Dresden nicht selbst in Empfang, weil er in Urlaub weilte. Seine Freude schmälert das nicht. „Für mich ist der Preis die Anerkennung für fünf Jahre Arbeit und Hartnäckigkeit, trotz aller Widerstände das Projekt voranzutreiben und umzusetzen“, sagt er im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Kranz ist zuversichtlich, dass das System in Zukunft flächendeckend zum Einsatz kommt.
Denn nach dem „Piloten“ an der A3 bei Emmerich sind inzwischen weitere dieser Brücken in Betrieb. Die Autobahn GmbH hat das Heitkamp-Schnellbausystem bereits im vergangenen Jahr beim Ausbau der A43 eingesetzt, um den Bau einer Brücke auf Recklinghäuser Stadtgebiet zu beschleunigen. „Die konventionelle Bauweise hätte uns ein halbes bis dreiviertel Jahr Zeit gekostet, deshalb haben wir den zweiten Teil der Brücke mit dem nun ausgezeichneten System bauen lassen“, so A43-Projektleiterin Carola Ziebs der Autobahn GmbH im Gespräch mit der WAZ. Die Arbeiten seien mit dem neuen System Ende 2022 beendet worden, in der konventionellen Bauweise hätte es bis Ende August 2023 gedauert.
Schnellbausystem könnte beim A43-Ausbau Jahre an Bauzeit sparen
„Wir haben sehr, sehr gute Erfahrungen mit dem System gemacht. Ich glaube, dass das eine Bauweise für die Zukunft sein wird, auf die wir öfter zurückgreifen werden“, so Ziebs. Nicht nur die Auswirkungen für die Autofahrer seien deutlich geringer, sondern auch für Anwohner, die eine Baustelle vor der Nase hätten. Der Bau von Brücken würde bei einem Autobahnausbau immer die meiste Zeit in Anspruch nehmen. Mit einem Schnellbausystem könne man viel Zeit einsparen, sodass man auch den Vorwurf entkräften könne, dass alles „ewig und drei Tage“ dauert. Rechne man die Beschleunigung von einem halben Jahr bei der Brücke in Recklinghausen auf den gesamten Ausbau der A43 bis Witten hoch, könnten sogar mehrere Jahre Zeit gespart werden, so Ziebs. „Wir müssen in Zukunft auf solche Systeme zurückgreifen, weil es eine riesige Anzahl an Brücken gibt, die neu gebaut werden müssen.“
Aktuell baut Heitkamp auch die Brücke Hafenbahn auf der A40 im Zuge der Rheinquerung. Laut Kranz liegt die Zeitersparnis im Vergleich zur herkömmlichen Bauweise bei rund neun Monaten.
Bundesverkehrsministerium sieht Vorteile bei der Nachhaltigkeit
Auch Petra Beckefeld, Direktorin der Landesbehörde Straßen.NRW, sieht auf Grund der bisherigen Erfahrungen gute Chancen für das System. Heitkamp hatte nach der Hochwasserkatastrophe drei zerstörte Brücken neu gebaut. „In unserem Fall der schnellen Wiederherstellung der Infrastruktur an vielen Stellen durch die Zerstörung durch Hochwasser war diese innovative Bauweise sehr vorteilhaft“, teilt Beckefeld auf Anfrage der WAZ mit. Sinnvoll wäre ein Einsatz insbesondere dort, wo die technisch passenden Erdmassen ausgebaut und innerhalb der Baustelle als Widerlager wiederverwendet werden könnten. Hinsichtlich der umwelttechnischen Nachhaltigkeit („CO2-Ausstoß“) wären der Material- und Maschineneinsatz im Vergleich zu herkömmlicher Betonbauweise zu vergleichen.
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Auch im Bundes- und NRW-Verkehrsministerium gerät die neue Bauweise zunehmend in den Fokus. Im Bundesministerium hat man die Heitkamp-Entwicklung von Anfang an wissenschaftlich begleitet. Mit dem Pilotprojekt habe nachgewiesen werden können, dass bewehrte Erdkörper ausreichend tragfähig hergestellt werden können, um im Brückenbau als Widerlager eingesetzt werden zu können. Gerade mit Blick auf die Nachhaltigkeit böte bewehrte Erde Vorteile: „Durch die Verwendung von örtlich anstehendem Erdstoff, fallen in der Regel keine größeren Transportwege an. Darüber hinaus werden größere Betonmassen, die normalerweise für die massigen Widerlager eingesetzt werden, ersetzt, und es bedarf für den Aufbau der Widerlager lediglich Kleingeräte. Diese Bauweise erlaubt darüber hinaus eine vollständige Rückgewinnung sämtlicher Baustoffe ohne nennenswerte Aufbereitung für den Fall eines Rückbaus und kann zurecht als nachhaltig eingestuft werden.“
Dazu passt, dass zwei voneinander unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen von Uni-Instituten in Essen und Münster nachgewiesen haben, dass mit dieser Bauweise rund zwei Drittel an CO2-Emissionen eingespart werden können.
Das NRW-Verkehrsministerium weist darauf hin, dass diese und andere innovative Bauweisen vor einer flächendeckenden Umsetzung zunächst ihre Praxistauglichkeit unter Beweis stellen müssten, da Brückenbauten für eine Nutzungsdauer von 80 bis 100 Jahren geplant seien. Allerdings könnten sie einen von mehreren Bausteinen für die beschleunigte Sanierung der Brückeninfrastruktur in NRW bilden. Das Bundesverkehrsministerium sieht gerade Potenzial für kleinere Brücken mit einer Spannweite von bis 40 Metern - für Bauwerke wie die Rahmede-Talbrücke kommt das System nicht in Frage.
Heitkamp-Chef: Wir könnten pro Jahr bis zu 30 Brücken bauen
Jörg Kranz schätzt, dass sein Unternehmen mit diesem System pro Jahr bis zu 30 Brücken in kürzester Zeit bauen könnte, „wenn wir uns entsprechend darauf vorbereiten können. Aber der Bedarf ist ja vorhanden“. Und Heitkamp ist nicht allein auf weiter Flur. Es gebe Marktbegleiter, die andere Schnellbausysteme anböten. Das erhöhe die Zahl der Brücken, die ersetzt werden könnten, so Kranz. Gerade für klamme Kommunen und Landkreise sei diese Bauweise interessant.
Die Schnellbausysteme kommen den Forderungen der IHK-Initiative Rheinland entgegen: „Mit innovativen Ansätzen, die eine schnelle Verbesserung der Infrastruktur ermöglichen, können wir mehr Tempo erreichen. Beispiele wie das von Heitkamp entwickelte neue Brückenbauverfahren zeigen, dass allein durch standardisierte Bautechnik eine verkürzte Bauzeit realistisch möglich ist.“